Prolog

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«...und die Gewinnerin der dreiundzwanzigsten Ausgabe des Grossen Schweizer Schönheitswettbewerbes ist... Mila Lehmann

Geschafft! Zum vierten Mal in Folge! Ich halte eine vorbereitete Rede und der Wettbewerb ist dann auch schon wieder zu ende. 

Die Rede ist so zirka: «Ich danke meinen Eltern, dass sie mich unterstützen, und meiner Schule, dass ich trotz des Unterrichts hier teilnehmen darf...»

Bla Bla Bla.

Die Rede ist 1 zu 1 von letztem Jahr kopiert, welche von der, des vorherigen Jahres kopiert wurde. Ich hasse es eigentlich, vor fremden Menschen zu sprechen. Man gewöhnt sich jedoch ziemlich schnell daran, einfach zu ignorieren, wie viele Menschen einem zuhören.

Nach dieser Qual gehe ich in meine Garderobe und lasse mir extra viel Zeit. Meine Mutter muss ich so schnell noch nicht sehen. Sie wird so wütend sein! Ich bin während der Show zweimal gestolpert und das bodenlange Kleid hatte die falsche Farbe. Als ob ich dafür etwas könnte. Aber es ist ihr egal, wer wirklich Schuld daran hat. Ich wars. Ich bin immer an allem schuld. Dabei habe ich weder das Kleid noch die zu grossen Schuhe ausgesucht.

Ich weiss wirklich nicht, wie ich meine Eltern schon fast 16 Jahre ertragen kann. Sie schreien mich eigentlich schon gefühlt mein ganzes Leben an. Manchmal fühle ich mich, als hätte ich kein eigenes Leben, geschweige denn, eine eigene Meinung. Ich war immer allen gegenüber sehr verschlossen und das wurde nur noch schlimmer, als ich mit diesen Wettbewerben angefangen habe. Anfangen musste.

Ausserdem war das Kleid heute so eng, dass man meinen Bauch gesehen hat. Eigentlich habe ich kein Problem mit meinem Bauch, im Gegenteil sogar, aber meine Mutter ist da anderer Meinung. Ich habe die letzten vier Tage höchstens eine Mahlzeit pro Tag zu mir genommen. Gestern gar keine. Was sich nicht ändern wird nach meiner Leistung heute. Und sogar, wenn ich essen darf, die Zuckerfreie Diät wird nicht unterbrochen. Wie lange ich schon darauf warte, mal wieder einen selbstgemachten Kuchen von Oma zu essen. Oder einfach mal wieder einen Burger von McDonalds. Merkt man, wie hungrig ich bin?

Meine Mutter kontrolliert mich schon mein ganzes Leben. Ich hasse diese Wettbewerbe abgrundtief. Aber sie sind seit fast acht Jahren ein Teil von mir. Zeit fürs Zeichnen oder mich mit Freunden treffen habe ich fast gar nicht mehr. Obwohl. Ich habe nicht mal mehr wirkliche Freunde. Mit wem sollte ich mich schon treffen? In der Schule bin ich nur noch die komische Schmink-Tussi. Auf jeden Fall wirke ich so auf andere.

In der Schule werde ich von vielen ausgelacht für meine Fotoshootings und Schönheitswettbewerbe. Ich kann sie sogar verstehen. Ich meine, was ich hier mache, ist ziemlich lächerlich. Ich stolziere ein paar Mal hin und her und 200 Radom Leute feiern es. Nach dem Wettbewerb treffe ich dann auch noch andere Mädchen, die diese Dinge wirklich interessiert und die denken ich liebe diese Dinge genauso wie sie. Diese Mädchen sind, glaube ich, die einzigen, die sich wirklich für mich interessieren. Oder eben für mein Bühnen-ich. Ich habe sogar schon sowas wie «Fans». 90 Prozent davon sind sechsjährige Mädchen, aber besser als gar nichts.

Ich schliesse diesen Sommer die obligatorische Schule ab und werde diesen Schei*s dann wahrscheinlich Vollzeit machen. *Juhu! * Dabei war es schon immer mein Traum ins Gymnasium zu gehen und danach Innenarchitektur zu studieren. Doch meine Eltern sind da ganz anderer Meinung. Sie haben wahrscheinlich sogar recht. Ich verdiene schon jetzt übermässig viel Geld mit dem Zeug. Aber Spass habe ich dabei bei bestem Willen nicht.

Das Schlimmste ist aber, dass ich von den ganzen Gewinnen nicht mal was habe. Meine Eltern sind nämlich der Meinung, dass, solange sie mir sowieso noch alles bezahlen, ich kein eigenes Geld benötige. Und ausserdem haben sie die ganze Mühe und ich mache ja generell alles falsch. Sie wissen nicht, wie schwer es ist auf diesen ganzen Bühnen zu stehen, zu lächeln und einem nicht anmerken zu lassen, wie wenig man dieses ganze Zeug feiert. Noch schlimmer, wenn man dabei hungrig ist. 

Zwischen Applaus und SelbstzweifelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt