Kapitel 7: Julia

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Auf einmal sehe ich ein bekanntes Gesicht. Eine etwa 23-jährige Frau in Polizeiuniform kommt direkt auf mich zu. Ich frage mich, warum sie mir so bekannt vorkommt. Dann fällt es mir wieder ein. Das war die nette Makeup Artistin die mich vor ein paar Monaten für das Nachthemd Shooting geschminkt hat. Wir haben uns damals nett unterhalten und sie war die Einzige in der letzten Zeit, die mich ein wenig zum Lachen gebracht hat.

Ich hätte nie erwartet das sie einmal in Polizeiuniform zu sehen. Und das hier ist der unpassendste Moment, um die Polizei zu sehen. Ich bin von zuhause abgehauen und bin hier allein, in einer mir unbekannten Stadt als 16-jähriges Mädchen. Und genau jetzt steht die Polizei vor mir...

Hat mich meine Mutter als vermisst gemeldet? Wenn ja, weiss es die Polizistin? Schöpft sie Verdacht, wenn ich hier allein sitze? Muss ich jetzt zurück?

Ich denke an alles und gleichzeitig ist mein Kopf wie leer...

«Hey. Kennst du mich noch? Was machst du denn hier?»

Ich muss wohl ziemlich verwirrt ausgesehen haben. Denn gleich danach sagt sie: «Ich bin Julia. Ich habe dich mal bei meinem Nebenjob getroffen...»

Ich unterbreche sie: «Natürlich kenne ich dich noch! Du hast mir geholfen in diesen schrecklichen Nachthemden nicht ganz so schrecklich auszusehen.» Ich versuche ein Lachen zustande zu bringen, doch das funktioniert nicht so ganz. Das noch verheulte Gesicht sieht man wohl auch noch.

Sie bemerkt das wohl auch: «Alles okay? Bist du allein hier?»

Oh Sh*t. Was sag ich jetzt?

Julia bemerkt mein Zögern und hakt nochmals nach: «Kann ich dir helfen?»

Ich schaue auf den Boden. Nein. Niemand kann mir helfen. Und schon gar nicht die Polizei. Oder Vielleicht doch?

«Hey, geht's dir nicht gut?»

Das wars. In diesem Moment breche ich zusammen. Schon wieder. Julia sieht mich zuerst geschockt an, bevor sie mich wortlos in den Arm nimmt. Nach weiteren fünf Minuten führt sie mich nach draussen ins Polizeiauto. Da erzähle ich ihr alles. Von den Wettbewerben die ich eigentlich gar nicht will, davon wie ich tagelang nichts ass und wie mich meine Eltern tagtäglich anschreien und unter Druck setzen.

Julias Augen werden immer grösser. Sie ist die Einzige seit Jahren die mich sieht. Nicht mein Bühnen-Ich oder mein stilles, verschlossenes Schul-Ich. Mein echtes ich. Das, dass ich jahrelang versteckt habe. Das, dass niemand sehen durfte. Jetzt lass ich alles raus. Ich kann es nicht aufhalten. Die Worte sprudeln einfach aus mir heraus. Und Julia hört mir einfach zu. Ohne mich zu unterbrechen oder nachzufragen.

Genau das habe ich schon so lange gebraucht. 

Zwischen Applaus und SelbstzweifelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt