Kapitel 6: Es reicht...

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Ich öffne langsam meine Augen. Mein Wecker zeigt 5:59. Noch eine Minute, bis meine Mutter ins Zimmer stürmt und mich anschreit.

5, 4, 3, 2, 1...

«Warum bist du noch nicht aufgestanden? Heute haben wir zwei Shootings. Da solltest du schon lange wach sein und dich vorbereiten! Zack, zack!»

Eigentlich würde ich den Schreianfall einfach ignorieren. Doch heute ist irgendetwas anders. Ich kann nicht mehr. Das muss ein Ende haben. Dieser Tropfen hat das Fass zum Überlaufen gebracht.

«Selber Zack, zack» sage ich mehr zu mir selber, doch sie hat es gehört. «Was hast du gerade gesagt?» Faucht sie bedrohlich. «Es ist gerade mal sechs Uhr. Mein Wecker klingelt in diesem Moment erst und der Wettbewerb fängt erst in fünf Stunden an! Und Ausserdem...»

So gings dann eine Stunde lang weiter und wir haben uns gegenseitig angeschrien. Jetzt reichts mir. Ich nehme meinen Rucksack aus der Ecke, packe mein Handy und eine Powerbank ein, ziehe meinen Over-Ear Kopfhörer an und stürme aus dem Haus. Einfach weg. Ich weiss nicht, wohin oder wie weit ich gehe, ich gehe einfach der Strasse entlang und höre dazu das neue Album meines Lieblingskünstlers. Ich versuche möglichst lange meine Tränen zurückzuhalten. Doch kurz vorm Bahnhof breche ich komplett zusammen. Ich setze mich an den Strassenrand und lasse die Tränen einfach laufen. Ich weine und weine und weine...

Nach dreissig Minuten habe ich keine Tränen mehr. Ich stehe langsam auf und gehe langsam in Richtung des Bahnhofs. Gerade fährt ein Zug ein. Ich kaufe mir online, noch während ich einsteige, ein Ticket bis zur Endstation. Einfach so weit weg wie möglich, denke ich mir und setze mich hin. Auf der Fahrt schweifen meine Gedanken ab und schlafe bald mal ein...

«... fahren in den Bahnhof ein. Endstation. Bitte alle aussteigen.»

Ich öffne langsam meine Augen und sehe aus dem Fenster. Typischer, voller Hauptbahnhof. Viele Menschen, alles grau und nass. Der Nebel macht den Eindruck nicht besser.

Als ich aussteige, stinkt es heftig nach Rauch, Alkohol und Energy Drinks. Ich drehe die Lautstärke meiner Kopfhörer auf und werde schneller. Weg hier.

Als ich mich von dem ganzen Trubel entferne, denke ich darüber nach was ich jetzt tun sollte. Ich spüre meinen Bauch knurren. Ich könnte mir meinen Wunsch endlich erfüllen. Es wäre der erste McDonalds Burger seit acht Jahren. Soll ich wirklich? In dem Moment sehe ich das grosse M und meine Entscheidung ist gefallen.

Ich stehe seit 15 Minuten vor diesem Bildschirm und kann mich einfach nicht entscheiden. Plötzlich sehe ich die Chicken Burger und bestelle mir einen solchen. Ohne Pommes. Das wäre einfach noch zu viel für meinen Magen. Nachdem ich mein Essen von der Theke abhole, setze ich mich in die hinterste Ecke des Ladens.

Als ich esse, fange ich unterbewusst an die anderen Menschen zu beobachten. Die überforderte Mutter mit der schreienden Tochter, der traurig aussehende Jugendliche oder die gestresste Mitarbeiterin. Wenn man genau hinschaut, sieht man in jedem Gesicht stress und Probleme. Ich fand es schon immer super interessant andere zu beobachten, aber heute sehe ich nicht nur die leeren Körper. Ich sehe, dass Menschen dahinterstecken wie ich. Und alle tragen ihre Probleme mit sich herum...

Zwischen Applaus und SelbstzweifelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt