Kapitel 8: Weisser Raum

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2 Stunden später...

Ich sitze seit knapp eineinhalb Stunden in einem stillen, vollkommen weissen Raum. Meine Gedanken rasen. Nach meinem Zusammenbruch hat mich Julia ins Polizeipräsidium gebracht, wo sie mich in einen Verhörraum brachte, und mir sagte, ich solle ein wenig Geduld haben und meine Gedanken sortieren. Ich bat sie, immer noch unter Tränen, meine Eltern nicht anzurufen. Sie hat mir versprochen vorerst nichts in diese Richtung zu unternehmen.

Ich frage mich wie es jetzt weiter geht. Muss ich zurück? Was passiert mit meinen Eltern? Bekommen sie eine Strafe?

Wenn ich nicht zurückmuss, wohin gehe ich? Muss ich in ein Heim?

Ich habe Angst. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich richtig Angst.

Angst vor meinen Eltern, Angst vor der Zukunft, Angst, dass alles anders wird aber gleichzeitig Angst, dass alles so bleibt wie früher.

Gleichzeitig bin ich erleichtert. Ich konnte endlich jemandem alles erzählen und ich wurde verstanden. Ich wurde endlich verstanden...

Ich habe das Gefühl ich sitze schon eine Ewigkeit hier drin als Julia wiederkommt.

«Alles okay?» fragt sie. Ich nicke nur stumm. Ich wüsste nicht, was ich sonst sagen soll. Ich weiss nicht wies mir geht oder was ich fühle. Alles und irgendwie nichts. Ich kanns nicht beschreiben.

«Kann ich dir ein paar Fragen stellen?»

Wieder nicke ich einfach.

«Zuerst einmal kann ich dir versprechen, das du, wenn du nicht willst, nicht zurück zu deinen Eltern musst. Sie werden später befragt und wahrscheinlich unter anderem aufgrund von Verdacht auf Kindeswohlgefärdung. Das ist für dich wahrscheinlich alles sehr überfordernd. Wir werden uns um alles kümmern, aber vermutlich wirst du vor dem Gericht aussagen müssen.»

Ich spüre, wie mir die Farbe aus dem Gesicht weicht. Ich sollte gegen meine Eltern aussagen?

Mit zittriger Stimme antworte ich: «Ich weiss nicht, ob ich das kann!»

Julia beruhigt mich.

«Das schaffst du schon. Du wirst alles vorher mit einem professionellen Anwalt durchgehen und absprechen.»

«Ok.» Mehr sage ich nicht. Es ist mir alles zu viel.

«Dann hätte ich noch ein paar Fragen...

... Du musst nicht mehr zurück zu deinen Eltern. Hast du irgendwelche Verwandten, bei denen du wohnen könntest?»

«Ich habe nicht mehr wirklich viel Kontakt mit anderen. Meine Onkel und Tanten sehe ich kaum noch. Aber Vielleicht meine Oma? Früher habe ich sie sehr gemocht, aber inzwischen haben wir keine so enge Bindung mehr. Sie wohnt auf dem Land und hat einen eigenen Bauernhof! Ich weiss aber nicht, ob sie das will. In den letzten Jahren war ich nicht ganz so freundlich zu ihr. Ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen um mich macht.»

Julia sieht mich an. Ich sehe, wie sie Mitleid mit mir hat und versucht Worte zu finden, sagt schlussendlich aber doch nichts dazu. Dafür bin ich ihr sehr dankbar.

Kurz darauf verlässt sie den Raum und lässt mich nochmals zurück. Ich habe ihr Omas Telefonnummer gegeben und Julia hat versprochen möglichst bald anzurufen und ihr zu erzählen was vorgefallen ist. Und wieder sitze ich allein da und meine Gedanken kreisen wieder...

Zwischen Applaus und SelbstzweifelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt