Nach nur 20 Minuten kommt Julia wieder zurück. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht. «Gute Nachrichten, deine Oma freut sich auf dich!»
Ich sehe sie zweifelnd an: «Ist sie nicht wütend, dass ich ihr nie was erzählt habe? Ich war bei den letzten Begegnungen echt undankbar, sogar unfreundlich!»
Julia sieht mich beruhigend an.
«Ich habe ihr alles erklärt und sie sagte sie versteht dich. Sie hat sogar gesagt, dass sie es vielleicht an deiner Stelle nicht anders gemacht hätte. Sie freut sich dich wieder zu sehen und sie freut sich das du an sie gedacht hast.»
Ich zweifle an ihren Worten, sage aber nichts mehr dazu. Ob sie sich wirklich auf mich freut? Wir haben seit Jahren nicht wirklich geredet. Sie kennt mich eigentlich gar nicht.
Aber wenn ich so darüber nachdenke, tut das niemand. Niemand der meine Probleme, Träume, Ängste oder Hobbies kennt. Niemand mit dem ich meine Gedanken teile. Meine Oma kennt immerhin mein altes, 8-jähriges, ich. Das ist noch immer mehr als die meisten anderen Menschen.
Ich merke erst das Julia wieder angefangen hat zu sprechen, als ich ihren fragenden Blick spüre und aufsehe.
«Sorry, war grad in Gedanken. Was hast du gesagt?»
Julia schmunzelt und wiederholt: «Wir können direkt los, wenn du willst. Brauchst du noch was von zuhause?»
Ich schüttle schweigend meinen Kopf. Den Gedanken abzuhauen hatte ich nicht zum ersten Mal. Ich hatte schon lange einen gepackten Rucksack unter meinem Bett stehen. Ich könnte ein paar Tage easy leben, ohne nach Hause zu gehen.
Als wir in einen der Polizeiwagen auf dem Parkplatz vor dem langweiligen Gebäude steigen, spüre ich die Panik wieder aufsteigen. Was kommt jetzt?
Julia sieht das anscheinend, macht Musik an und fängt ein lockeres Gespräch an. Smalltalk wenn man so will. Ich bin einfach froh, dass ich heute noch über was anderes sprechen kann als meine Karriere oder meine Eltern.
«Und? Weisst du schon, was du nach der Schule machen willst?»
Ich überlege kurz.
«Naja, bis jetzt war der Plan zu modeln...»
«Und das willst du?» fragt sie mich zweifelnd.
Das 'nein' kam viel zu schnell und Julia sieht mich fragend von der Seite an, bevor sie sich wieder auf die Strasse konzentriert. Nach einer kurzen Pause rede ich weiter: «Eigentlich ist mein Traum zu Innenarchitektur zu Studieren. Doch ich weiss nicht ob meine Noten dafür ausreichen. Ich habe mich in den letzten Jahren nicht wirklich auf die Schule konzentriert. Ausserdem müsste ich vorher noch ins Gymnasium, in das ich auch erst aufgenommen werden muss. Und...»
Julia unterbricht mich, als ich weiterreden will.
«Mach dir da mal nicht so 'n Stress. So motiviert wie du gerade klingst, kannst du fast nicht mehr scheitern. Ausserdem, alles, was du in der Schule verpasst hast, kannst du wieder aufholen. Mit deinem Durchhaltevermögen wird das schon alles klappen.»
Ich muss lächeln. Eigentlich hat sie recht. Es ist nie zu spät, um Sachen zu lernen oder nachzuholen. Vielleicht könnte ich ja wirklich studieren? Bis jetzt war das nicht mehr, als ein unerreichbarer Traum für mich.
Wir reden noch eine Weile, ich muss jedoch irgendwann eingedöst sein. Als ich meine Augen wieder öffnen ist es schon dunkel. Das Navi zeigt noch zehn Minuten an. Ich werde wieder nervös, lasse mir aber dieses Mal nichts anmerken und sitze eine Zeitlang einfach still da.
Ich erschrecke mich schon fast als das Navi ertönt: «In 200 Metern rechts abbiegen.»
Ich erkenne die Strasse, in die wir einbiegen. Noch vier Minuten. Ich sehe auf einmal das Gesicht von Oma vor mir und fange an, mich zu freuen sie wieder zu sehen. Ihren Bauernhof, ihr herzliches lachen und ihr 'berühmter' Apfelkuchen. In diesem Moment merke ich wie sehr sie mir in den letzten Jahren gefehlt hat.
«Ihr Ziel befindet sich rechts.»
Als wir langsam auf den grossen Vorplatz vor der Scheune fahren, empfängt uns meine Oma freundlich. Als ich dann aussteige, nimmt sie mich herzlich in den Arm. Mir kommen fast die Tränen, als ich bemerke, wie ehrlich sich die Umarmung anfühlt. In dem Moment bin ich einfach erleichtert. Alles wird gut...
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Zwischen Applaus und Selbstzweifeln
Fiksi RemajaMila wird von ihren Eltern gezwungen an verschiedenen Schönheitswettbewerben und Fotoshootings teilzunehmen, bis sie einfach nicht mehr kann...