Kapitel 4: Hochzeitskleider

3 2 0
                                    

Seit vier Tagen habe ich nichts gegessen. Ich habe starke Kopfschmerzen und mir ist die ganze Zeit schwindelig. Ausserdem ist mir übel. Wahrscheinlich kommt das vom Schwindel. Meine Eltern denken ich simuliere nur, wenn ich sage ich müsse mich kurz setzen. Sie glauben mir nicht, wenn ich sage, dass ich vor Hunger kaum schlafen kann. Ich habe es aufgegeben es ihnen überhaupt zu erzählen.

Ich weine mich immer noch jeden Abend in den Schlaf. Ich kanns nicht aufhalten. Sobald ich mich hinlege, laufen die Tränen. Und dann noch dieser unerträgliche Hunger. Mein Körper wehrt sich gegen jeden einzelnen Schritt. Jede einzelne Bewegung. Trotzdem, täglich mindestens ein Fotoshooting oder ein Wettbewerb.

Das Shooting heute zieht sich schon ewig in die Länge. Modeln für Hochzeitkleider ist das Allerschlimmste. Es dauert schon ewig diese Kleider auch nur anzuziehen. Und dann diese komplizierten Locations und Hintergründe und die Kleider dürfen auf keinen Fall dreckig werden. Dazu kommt noch das ich mich in diesen Kleidern nicht setzen kann.

Ich ziehe mir grade das vierte Kleid heute an als ich den Schwindelanfall des Jahrhunderts bekomme. Ich muss mich setzen. Das gibt Falten ins teure Kleid. Ich hoffe es fällt niemandem auf. Ich bin kurz vorm Kotzen. Doch als ich Schritte auf mich zukommen höre, stehe ich mühselig auf und ziehe mich fertig an. Danach verlasse ich meine Kabine. Ich muss mich auf dem Weg konzentrieren damit ich nicht zusammenbreche. Es dreht sich alles als ich endlich vor so einer hässlichen Rosenhecke stehe. Mir wird schlecht, doch ich muss durchhalten. Nur noch drei Kleider.

Alles dreht sich immer schneller. Meine Ohren klingeln. Ich höre die Anweisungen von hinter der Kamera, doch ich verstehe sie nicht mehr. Ich spüre noch, wie meine Knie nach vorne klappen, spüre den Aufschlag auf dem Boden, dann ist alles schwarz. Pechschwarz. Ich höre noch wie die Leute um mich rum aufschreien und bin dann ganz weg.

Wenige Minuten später wache ich wieder auf. Mit Kopfschmerzen des Todes. Ich fühle mich nicht dazu in der Lage die Augen zu öffnen. Ich höre aufgeregte Stimmen, doch ich kann sie nicht zuordnen. Nach einer weiteren Minute öffne ich langsam die Augen. Ein aufgeregtes Kamerateam wuselt aufgeregt herum. Meine Mutter sitzt desinteressiert auf einem Stuhl, ausserhalb des Trubels.

Als die junge, eher kleine Fotografin bemerkt, dass ich wach bin kommt sie auf mich zu. Ich versuche mich aufzusetzen, doch mir wird wieder übel, als ich mich bewege. Ich setze mich also auf, und muss mich übergeben, was richtig unangenehm ist, wenn man vier Tage nichts gegessen hat. Irgendjemand bringt mir eine Flasche Wasser. Ich spüle mein Mund aus. Es dreht sich immer noch alles.

Irgendjemand hat wohl einen Krankenwagen bestellt, denn ich höre aus der Ferne Sirenen. Meine Mutter hört sie anscheinend auch. Ihr Blick verfinstert sich. Als die Rettungskräfte eintreffen, versucht sie, sie abzuwimmeln. Ohne Erfolg. Als die Retter mich entdecken, kommen sie mit einer Trage auf mich zu. Ich beschreibe ihnen, wies mir geht. In dem Moment schaltet sich meine Mutter wieder ein.

«Das ist doch nicht nötig. Sie hat einfach nur zu wenig getrunken, da ist nichts. Wir machen fertig für heute und morgen geht's ihr wieder gut. Oder Mila?»

Sie sieht mich erwartungsvoll an. Ich sage nichts. Ich sehe sie auch nicht an. Der Sanitäter sieht seinen Kollegen vielsagend an. Nach diesem Moment kann meine Mutter diskutieren so viel sie will. Die Sanitäter bringen mich kurze Zeit später in den Rettungswagen. Sie informieren meine Mutter darüber in welches Krankenhaus sie fahren, damit sie hinterherfahren kann. Danach fahren wir los. Mir wird wieder übel. Ich lasse mir nichts anmerken und schliesse meine Augen. Ich spüre den besorgten Blick des Sanitäters. Ich ignoriere ihn. Er soll von mir denken, was er will.

Ich bereue jetzt schon, dass ich meine Mutter vorhin so enttäuscht und einfach nichts gesagt habe. Es gibt einen Grund, warum ich nichts esse. Ich habe es nicht anders verdient. Meine Eltern werden so enttäuscht sein. Und das Hungern wird sich zu 100% verlängern. Und was passiert jetzt? Ich darf niemandem erzählen wies mir wirklich geht. Auch nicht den Ärzten. Ich darf mir auf gar keinen Fall irgendwas anmerken lassen. Ich behaupte einfach, dass ich eine Grippe hatte und darum sehr wenig gegessen habe. Ob das klappen kann?

Als wir ankommen, werde ich in ein kleines Zimmer geführt. Mir wird gesagt ich solle kurz warten, dann bin ich allein. Ich schaue mich im Zimmer um. Ich sitze auf einem Stuhl in der Ecke neben der Tür. Schräg gegenüber stand eine Liege. Daneben ein Pult mit Computer und einem Rollhocker und diverse medizinische Geräte. So wie es eben bei jedem zweiten Arzt aussieht.

In dem Moment kommt ein Mann mit weissem Kittel hinein. Ich schätze mal das ist der Arzt. Er stellt mir ein paar Fragen, die er wahrscheinlich 100-mal am Tag stellt. Ich bestehe auf meine Ausrede. Danach fragt er mich, ob ich mich auf die Waage stellen könne. 45 Kilo. Die Augen des Arztes werden gross. Er hat sich aber nach wenigen Millisekunden wieder gefangen. Er sagt mir, dass ich stark untergewichtig bin. Als ob ich das noch nicht wüsste. Aber ich ziehe meine Ausrede weiter durch. Nach einer weiteren halben Stunde lässt er mich endlich wieder gehen. Was sollte er auch sonst tun? Mich einsperren?

Im Vorzimmer wartet meine Mutter. Bis wir im Auto sitzen, spricht niemand von uns auch nur ein Wort. Im Auto erkläre ich ihr meine Ausrede. Sie nickt nur und spricht immer noch nicht mit mir. Doch sie entspannt sich merklich als sie merkt, dass ich nicht alles offen erzählt habe. Vielleicht bleibt es doch bei den fünf Tagen? 

Zwischen Applaus und SelbstzweifelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt