Irgendwie habe ich wohl gedacht nach so einem Vorfall verändert sich alles. Vielleicht sehen meine Eltern ja endlich, wie es mir geht? Vielleicht darf ich wieder mehr essen? Oder vielleicht kann ich studieren? Mein Leben leben?
Doch ich habe falsch gedacht. Es ging alles ganz genau so weiter wie zuvor. Ich weine mich immer noch jeden Abend in den Schlaf. Ich kann das alles nicht mehr. Warum mache ich mir wegen sowas auch Hoffnungen? Es hat alles nur noch schlimmer gemacht. Ich stehe 24/7 unter Beobachtung, dass ich nicht doch noch zum Arzt gehe und sie verrate. Ihr vertrauen zu mir ist gleich null. Ich bin zurück bei einer Mahlzeit pro Tag. Ab und zu kaufe ich im Kiosk in der Schule heimlich einen Riegel. Obwohl, kaufen ist übertrieben. Die Besitzerin kennt mich, und schenkt mir manchmal einen, wenn ich besonders müde aussehe. Doch auch sie weiss nicht, was bei mir zuhause abgeht. Das weiss immer noch niemand.
Meine Mutter interessiert meine Gesundheit immer weniger. Sie ignoriert es, wenn mir schwindelig wird, ich mich übergeben muss, oder wenn ich in der Schule einschlafe. Doch ich muss aufpassen. Meine Lehrer sind darauf aufmerksam geworden. Die eine Lehrerin hat mich schon darauf angesprochen und mich gefragt, wie es mir ginge. Ich sagte ihr, ich sei einfach müde und habe zu wenig geschlafen. Sie hat mich gehen lassen, doch seitdem lässt sie mich nicht mehr aus den Augen. Ob im Unterricht oder in den Pausen, ich werde den ganzen Schultag beobachtet.
In den nächsten Wochen versuche ich mehr Schlaf zu bekommen und weniger aufzufallen. In der Schule setze ich mich in die hinterste Reihe und arbeite still mit. Doch meine Fassade, die ich Jahrelang aufrecht gehalten habe, fängt an zu bröckeln. Zwischen den Runden der Wettbewerbe weine ich heimlich in der Kabine. Ich rede mit eigentlich niemandem mehr. Weder in Wettbewerben noch in der Schule. Lehrer und Fotographen werden aufmerksam auf meine Schwindelattacken und meine Müdigkeit. Make-Up Artists fragen mich leise in der Kabine, ob man mir helfen könne. Ich antworte nicht. Die meisten denken ich sei abgehoben gegenüber dem Personal. Den stummen Hilferuf versteht niemand...
Ich weiss nicht, ob ich will das sie ihn erkennen. Ich will meine Eltern nicht enttäuschen. Doch ich will so nicht weitermachen. Eigentlich sollte ich einfach verschwinden. Es wäre alles einfacher. Meine Eltern wären allein und würden in einen normalen Alltag verfallen. Meinen Lehrern und Klassenkameraden würde nichts auffallen und ich müsste diesen ganzen Schei*s nicht mehr mitmachen. Alle wären zufrieden...
Ausser Oma.
Plötzlich denke ich an Oma. An die Tage, als ich bei ihr auf dem Bauernhof übernachtet habe. Oder als sie mir an Weihnachten die sprechende Puppe geschenkt hat. Diese Puppe habe ich geliebt. Ich habe jahrelang mit ihr gespielt. Die Puppe war wie ein Geschwisterersatz. Wenn ich sie heute ansehe, denke ich an meine Oma. An diese Zeiten.
Heute sehe ich sie nur noch einmal im Jahr an Weihnachten. Ich spreche dann immer möglichst wenig und versuche sie davon zu überzeugen, dass das davonkommt, dass ich einfach ein asozialer Teenager geworden bin. Ich weiss nicht, ob sie es mir abkauft, oder ob sie einfach nichts dazu sagt.
Zwei Stunden später kann ich endlich einschlafen...
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Zwischen Applaus und Selbstzweifeln
Teen FictionMila wird von ihren Eltern gezwungen an verschiedenen Schönheitswettbewerben und Fotoshootings teilzunehmen, bis sie einfach nicht mehr kann...