Intermezzo - Isanna

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Am Weißen Berg

Isanna streifte sich Helm und gepolsterte Haube vom Kopf und wuschelte sich durch die kurzen verschwitzen Haare, um sie etwas aufzulockern. Schild und Speer hatte sie bereits an die Mauer gelehnt, doch sie sehnte sich danach, auch den Rest der Rüstung abzulegen.

Ihr Blick streifte ihre Gefährten, die, ähnlich wie sie, erschöpft und grimmig wirkten. Normalerweise waren die Übungskämpfe zwar ernsthaft, aber von gegenseitigen Neckereien und fröhlichem Gelächter durchzogen. Schließlich war der Weiße Berg ein Hort der Freude und die Zeiten zwischen den Schließungen auch Zeit zum Entspannen und Vergessen.

Isanna legte den Helm auf einem Mauerstein ab, konnte für einen Moment nicht den Blick von einer der Verzierungen auf dem silbrigen Metall lösen. Das Licht der Sonne spiegelte sich in der verkratzten, aber polierten Rundung, schmerzte in den Augen des Schlachtenengels, doch sie wollte nicht wegsehen.

Selbst wenn du dich blenden lässt, es wird die Schatten nicht vertreiben.

Mit einem Ruck wandte Isanna sich wieder dem hell gepflasterten Hof zu, der an einer Seite in einen der zahllosen Gärten überging. Sie versuchte, aufmunternd zu lächeln, als die Blicke der anderen Krieger sie trafen.

Die ersten Übungskämpfe nach dem immer wiederkehrenden Auseinanderbrechen ihrer Welt waren jedes Mal von Wehmut geprägt. Die Lücken in den Reihen waren einfach zu offensichtlich. Jede Schließung, jedes erneute Zurückdrängen der Dämonen, forderte die Leben vieler Engel. Sie übergaben die Körper der Gefallenen dem Licht und die Archivare verkündeten die Namen der Engel, deren Alte Seelen sich auf die Reise begeben hatten um erneut eine Bestimmung zu finden. So war der Lauf der Dinge. Nicht immer konnten sie die Körper vor den Dämonen retten, doch die Seelen kehrten zurück um wiedergeboren zu werden.

Dieses Mal...

Eine federleichte Berührung an ihrer Schulter, kaum zu spüren durch die Rüstung, ließ Isanna zusammenzucken. Jahni war an die Gruppe herangetreten, um Heilung und Erfrischung anzubieten. Ihre ozeanblauen Augen blickten die Kriegerin erst forschend von oben her an, bekamen aber einen weichen, wissenden Ausdruck, als Isanna sie nur müde anstarrte.

Die Erhebende strich ihr mit den Fingerspitzen über die Wange. Sofort breitete sich ein warmes Rieseln auf der Haut des Schlachtenengels aus, floss ihren Nacken und ihre Brust hinab, entspannte Verkrampfungen, linderte Prellungen. Selbst Isannas Stimmung hob sich etwas. Der Segen einer Erhebenden war immer eine Wohltat. Heute war er eine Notwendigkeit.

Jahni wandte sich ab, um den nächsten der Gefährten zu versorgen, doch Isanna griff nach ihrer schlanken Hand, hielt sie kurz fest. Sie drückte einen sanften Kuss auf die Fingerspitzen des Engels, dann ließ sie sie gehen.

Ein kurzes Nicken in die Runde, um sich zu verabschieden. Heute blieben sie alle stumm.

Isanna klemmte sich den Helm unter den Arm und nahm Schild und Speer wieder auf. Ihre Ausrüstung musste zu den Grünen Zweigen gebracht werden, wie die erst vor kurzem wiedergeborenen Engel liebevoll genannt wurden. Es war ihre Aufgabe, sich um das Waschen und Instandsetzen zu kümmern, solange sie noch nicht für weitergehende Aufgaben eingesetzt werden konnten.

Aber zuerst...

Isannas Schritte wandten sich weg von den Gängen, die tiefer in den Weißen Berg führten. Weg von dem hellen Stein der in den Hang gehauenen Festung, weg von den Lichtern, weg von den anderen Engeln.

Die Ruhe des Halbschattens unter den Bäumen umfing Isanna wie eine schützende Decke. Sie wusste wohin es sie zog, doch sie hatte keine Eile.

Ihre Hand schloss sich schmerzhaft fest um den Speerschaft, als sie an das Fest nach der letzten Schlacht dachte. Die Verkündung des Flugs der Seelen war sowohl ein trauriger, als auch feierlicher Akt, bei dem alle Gefallenen gewürdigt wurden. Nach dem Verklingen des letzten Namens war Unruhe unter den Engeln entstanden. Zuerst hatte sie es einem Irrtum zugeschrieben. Ein Schlachtenengel sollte fehlen? Das konnte nicht sein. Aber irgendwann war es deutlich geworden: Eine war nicht zurückgekehrt, ihre Seele blieb verschollen.

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