VII. Ganz vergessen

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Annes Sichtweise

Erst als die Nacht hereinbrach, gingen alle wieder zurück zur Burg. Elinor war zwischenzeitlich wieder aufgetaucht und beschwichtigte die Lords. Zumindest kurzfristig. Nachdem wir das Abendmahl für die Meute vorbereitet hatten, war das Ende meines Arbeitstages endlich gekommen und ich konnte mich auf die Suche nach Merit machen. Was sich etwas schwieriger herausstellte, als gedacht.

Mein Weg fand sich noch einmal zur Kontrolle in der Küche wieder, wo ich ein Küchlein fand, welches nicht von uns gemacht wurde. Eindeutig, denn als ich ein kleines Stückchen probierte, schmeckte es grauenhaft. Wahrscheinlich stand es genau aus diesem Grund zurückgelassen in der Küche. Kopfschüttelnd ging ich wieder aus der Küche hinaus und suchte weiter.

Doch ich hatte ihn gerade verpasst. Er war in dem Moment, als ich in seinem Zimmer nachsah, gerade mit seiner - von dem Kuchen plötzlich krank wirkenden - Mutter in ihr Zimmer gegangen.

Erst als ich dem puren Geräusch von Chaos, das nicht von den Männern und Frauen im Thronsaal kam, folgte, gelang ich auf direktem Weg in die Schlafgemächer des Königspaares. Da laut meiner Meinung Fergus und Elinor noch unten waren und es in ihrem Zimmer gerade nach zerbrochenen Möbeln und Gefäßen klang, öffnete ich die Tür, nur um von Angst gelähmt im Türrahmen stehenzubleiben. Ein Bär brüllte gerade Merit, der für die gegebene Situation ziemlich ruhig aussah, an, bevor beide in meine Richtung sahen.

Ich hörte mein Blut in den Ohren rauschen, als ich den Bären sah und mein Puls raste wie nie zuvor. Ich hatte das Verlangen zu rennen, aber konnte mich nicht bewegen.

Merits Augen weiteten sich, als er zwischen dem Bären und mir hin und her sah, während der Bär die Pfoten vor das Gesicht hielt, als würde er sich die Augen zu halten. Das wäre bestimmt witzig gewesen, würde ich mich nicht fühlen, als würde ich gleich sterben. Ich glaube, ich hatte vergessen, wie man atmet.

Merits Gesicht stellte sich in der nächsten Sekunde zwischen den Bären und mich. "Tief durchatmen. Wie du mir das immer sagst." Ich hörte ihn nur vage, da das Rauschen lauter war. "Da ist ein Bär", hauchte ich förmlich. "Weiß ich, aber sie wird dir nichts tun." Ich konnte nur meinen Satz wiederholen, als mir die Bilder meiner Eltern zerfleischt vor meinem inneren Auge erschienen.

"Anne, hör mir jetzt bitte zu." Ich sah ihn an, aber meine Angst war mir wahrscheinlich ins Gesicht geschrieben. Noch dazu fing ich langsam an zu zittern. Merit nahm mich an den Schultern, wahrscheinlich damit ich nicht hinfiel.

"Das wird jetzt verrückt klingen, aber du musst mir das glauben. Das ist meine Mutter. Ich habe sie möglicherweise mit einem Zauber in einen Bären verwandelt, weil ich nicht wusste, dass das passieren würde. Das musst du mir glauben. Dieser Bär wird dir nichts tun, okay?"

Langsam wurde das Rauschen leiser. "Deine Mutter?" Er begann nervös zu lächeln. "Genau, lange Geschichte."

Er trat einen Schritt zur Seite und der Bär, der die Krone der Königin trug, hob seine Pfote, als würde er mir winken. Unsicher hob ich auch meine Hand. "Das ist nicht real." Aber zumindest schien sich mein Körper zu beruhigen. In meinem Kopf blinkte nur noch ein unumgängliches rotes Warnlicht.

Merit atmete erleichtert auf. "Ist es aber. Wir müssen zu der Hexe zurück." Merit hatte seinen Satz noch gar nicht beendet, da trottete Elinor schon aus dem Zimmer, mit einer Decke umwickelt. Er sah kurz zwischen mir und irgendwie seiner Mutter hin und her, bevor ich einen Schritt zur Seite nahm und er ihr folgte. Ich im Schlepptau.

Das kann nicht wahr sein. Das muss ein irrer Albtraum sein, aus dem ich gleich wieder aufwachte. Zwicken half nur leider nichts.

Mein Puls war immer noch leicht erhört, als ich den beiden folgte, doch ich konnte nun wirklich vor keinem Bären Angst haben, der mit einer Decke umwickelt durch die Tore zu seinem Mann ging, der der allseits bekannte Bärenkönig war. Ein selbstmordgefährdeter Bär, der nicht mehr tut, als Schränke umzuschmeißen, sollte vielleicht nicht ganz so hoch auf meiner Panikliste stehen.

Das sollte nicht heißen, dass ich keine drei Meter Abstand zu dem schwarzen Wesen, wohinter Elinor stecken soll, halten werde. Denn das tue ich äußert akribisch.

Nachdem Merit seiner Mutter erklären musste, dass wir offensichtlich nicht zu ihrem Mann gehen konnten, trottete sie auch schon in eine andere Richtung. Die um geschmissenen Möbel stellten Merit und ich so unauffällig wie möglich wieder auf, während uns Fergus auf den Fersen war.

Er hatte wohl das Bärengebrüll gehört oder er hat den Bären gerochen, das wäre auch möglich. Fergus würde ich alles zutrauen, wenn es um die Bärenjagd ging.

Wir jagten Elinor durch die halbe Burg, bis Merit die Decke zu fassen bekam und ihr vom Leibe riss. Elinor hielt sofort schützend ihre Arme vor sich, als hätten wir sie grade splitterfasernackt in ihrem Zimmer aufgefunden.

"Du hast von oben bis unten Fell! Du bist nicht nackt und niemand wird dich zu Gesicht bekommen", meinte Merit im Versuch leise zu bleiben. Ein Schrei ließ den Versuch direkt zum Scheitern verurteilt werden. Maudie.

"Wohl gut, dass ich das nicht war", murmelte ich, während Merit sich nur ein kleines Lächeln aufzwingen konnte. Wir saßen in der Falle. Fergus hatte das sicherlich gehört.

Und das hatte er auch. Er saß uns noch schneller im Nacken, als wir bis drei zählen konnten.

Unbeabsichtigt trennten sich die Wege von Merit und mir und seiner Mutter, als er und ich sie in eine Richtung nach draußen deuten wollte, sie aber uns nicht folgte. Das bekamen wir nur erst einige Sekunden später mit. Mit einem schnellen Seufzer drehten wir um, während die schweren Fußschritte von Fergus und anscheinend fast allen Clanmitgliedern uns dicht folgten.

Ich wollte gerade um eine Kurve, als Merit mich wieder zurückzog und an seine Brust drückte. Hätte ich nicht Sekunden später die polternden Schritte hinter mir gehört, wäre mir die Situation mit Merit schneller bewusst geworden. Als es wieder etwas ruhiger wurde, sah ich zu Merit hoch, der es im selben Moment zu realisieren schien, denn er ließ mich sofort los, während er sich eine Hand in den Nacken legte und rot wurde. Von meinen roten Wangen wollten wir gar nicht reden.

Nach einem Räuspern sprach ich. "Da sind um gefallene Schränke, da sollte deine Mutter bestimmt lang sein." "Ja. Ja, genau. Meine Mutter." Er räusperte sich ebenfalls, bevor wir der Spur Möbel folgten und in das Kaminzimmer kamen.

Darin faden wir nicht nur Elinor vor, sondern auch die Drillinge, wie sie fragend zwischen dem Bären und Merit hin und her sahen, nachdem sie einen Elchkopf zurück an die Wand gehängt hatten.

"Wegen einer Hexe ist Mutter ein Bär. Es ist nicht meine Schuld. Wir müssen raus aus der Burg und ich brauche eure Hilfe." Die drei Teufel standen nur mit gekreuzten Armen auf dem Kaminsims und sahen Merit fordernd an. "In Ordnung. Ihr bekommt mein Dessert für ganze zwei ... drei Wochen." Ouh, das werden lange Wochen. Oder er wird mich fragen, ob ich ihm was heimlich aufs Zimmer bringen kann.

Einer der Drillinge, da ich sie immer noch nicht auseinanderhalten kann, hob die Hand und deutete Merit an, sein Angebot zu heben. Sie waren noch nie Kinder vieler Worte. "Bitte sehr. Für ein Jahr", grummelte Merit neben mir. Jap. Das überlebt er nicht.

Daraufhin nickten die Drillinge und der Deal war abgeschlossen.

Das Chaos konnte beginnen.

Verändertes Schicksal (m.Merida - Merida)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt