VIII. Das Hexenhaus

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Die Drillinge verschwanden schnell aus dem Zimmer. Sie führten Fergus an der Nase herum, was man sehr gut an seinen genervten Schreien hören konnte. Irgendwann kam dann das Zeichen für uns. Das Schwierigste war für Merit, seine Mutter in die richtige Richtung zu ziehen.

Die drei führten uns ungesehen zur Küche, wodurch es einen direkten Weg nach draußen gab. Einer schielte durch die Tür, bevor er uns stoppte. Ich hörte nur, wie Maudie wieder anfing zu schreien, bevor er uns hineinwinkte.

Mit einigen Schwierigkeiten in der Küche, die im Grunde nur daraus bestanden, dass Elinor nicht elegant die Treppe herunterkam oder sich in den für sie zu tief hängenden Pfannen verhedderte, schafften wir es nach draußen.

"Wo müssen wir hin?", fragte ich dann Merit, als wir scheinbar ziellos durch den Wald liefen. "Wir müssen zu dem Steinkreis und dann den Irrlichtern folgen. So war es zumindest vorhin." Inzwischen war es finster, doch irgendwie fanden wir den Weg zu den Steinen. Nur keine Irrlichter. Elinor stand nun mit verschränkten Armen in der Mitte, während Merit um jeden Stein ging und nach den Lichtern rief. "Ich würde dich ja gerne fragen, ob du dir das vielleicht nur eingebildet hast, aber deine Mutter steht immer noch hier. Als Bär." Er warf mir einen bösen Blick zu, den ich nur mit einem schiefen Lächeln erwiderte. "Kannst du dich nicht erinnern, wo du lang gelaufen bist?"

Merit seufzte. "Ich stand genau hier und dann haben mich eine Spur Irrlichter zu dem Haus geführt. Wie damals zu dir." Er hatte mir die Geschichte schon mal erzählt, als ich damals um meine Eltern getrauert hatte. Hätte ich die Irrlichter danach nicht selbst gesehen, hätte ich ihn wahrscheinlich für verrückt erklärt. Irrlichter führen dich zu deinem Schicksal. Das macht überhaupt keinen Sinn.

Nach einem genervten Seufzer ging Elinor erhobenen Hauptes dem Weg, auf den Merit gerade gezeigt hatte, nach. "Sie denkt wohl, dass wir das Haus zufällig finden, oder was?" "Besser als hier herumzustehen und nach Irrlichtern zu suchen. Sie erscheinen immerhin nur, wenn du sie sehen sollst. Nach ihnen zu rufen, funktioniert nicht." Er seufzte nochmal. "Hör auf, recht zu haben." Während wir Elinor folgten, meinte ich nur. "Irgendwer muss es ja. Ich will deine Mutter so schnell wie möglich aus der Bärenform. Aus mehr als einem Grund."

Ich wusste nicht, ob Elinor vielleicht den alten Spuren von Merit folgte oder ob Bären sowas überhaupt können, aber sie schien ziemlich zielsicher voranzugehen, während wir beide ihr folgten. "Entschuldige, wegen vorhin." Ich blickte zu ihm, doch er sah nur weiter seiner Mutter nach. "Wegen der Sache an der Kurve oder ihretwegen?" Wäre es nicht so dunkel gewesen, hätte ich vielleicht die sanfte rote Farbe in seinem Gesicht gesehen. "Beides, schätze ich."

Plötzlich hielt Merit an. "Wartet, ich erinnere mich. Das Hexenhaus ist in dieser Richtung." Schneller, als ich ihn fragen konnte, ob er sich sicher war, stürmte er schon vorwärts. Elinor und ich tauschten noch einen überraschten Blick aus, der sich auf mehreren Ebenen seltsam anfühlte, bevor wir ihm folgten.

Tatsächlich kamen wir bei einer kleinen Hütte an. Doch drinnen fanden wir nur einen verlassenen Kessel. Merit seufzte und schloss die Tür wieder. "Sie war wirklich hier." Laut dem Geräusch, das Elinor von sich gab, rollte sie gerade lautstark mit den Augen.

Merit ging noch ein paar Schritte von der Tür weg und schnippte, bevor er nochmal die Tür öffnete und das gleiche Ergebnis vorfand. Das probierte er noch einige Male, ohne Veränderung, bis ich ihn am Arm festhielt.

"Du bist dir ganz sicher, dass sie hier war." Er nickte. "Vielleicht sollten wir dann mal reingehen und gucken. Möglicherweise hat sie irgendwas hinterlassen. Einen Brief oder sowas."

Er nickte. "Du hast recht." "Hab ich öfters." Ein Lächeln umspielte seine Lippen, während er einen Schritt in das Haus ging. Sofort klingelte ein Glöckchen und eine Reihe Mechanismen wurde ausgelöst, bevor ein Fläschchen in den Kessel fiel und es anfing zu dampfen. Wir drei gingen näher zu dem Kessel und ein Gesicht einer alten Frau tauchte in dem grünen Dampf auf. Das wäre dann wohl die Hexe.

"Willkommen bei der gewitzten Holzschnitzerin, hier finden Sie bärige Schnitzereien und andere Kuriositäten, doch bedauerlicherweise ist mein Laden zurzeit ausverkauft. Für den Fall, dass Sie Informationen über Porträts oder Hochzeitstortenaufsetzer hätten, schütten Sie Flasche eins in den Kessel." Mit dem Kopf deutete sie auf die fünf Flaschen, die neben ihr auf einem Beistelltisch standen. "Möchten Sie das Menü auf Gälisch, Flasche zwei." Nein, danke. Ich kann kein Gälisch. "Falls du der rothaarige Junge bist, Flasche drei."

Merit war schnell und schüttete den Inhalt des kleinen Fläschchens in den Kessel. Das Gesicht verschwand kurz, bevor er genauso strahlend wie vorher wieder auftauchte. "Prinzchen, ich bin beim Besenrodeo auf dem Blocksberg und ich komme erst im Frühling zurück." Elinor stieß einen entsetzten Ton aus, während Merit nur die Augen aufriss. Ich glaube, ich hatte die ganze Situation noch gar nicht richtig realisiert.

"Es gibt jedoch eine Kleinigkeit, die du über den Zauber wissen solltest. Beim zweiten Sonnenaufgang werden die Folgen für immer sein." Elinor schoss ihrem Sohn einen bösen Blick zu. "Es sei denn, ihr erinnert euch an diese Worte ..." Der Nebel färbte sich plötzlich rot und ich zuckte zurück. Merit hatte gleich eine Hand auf meinem Rücken, damit ich nicht umkippte. "Schicksal wird verändert, horch in dich hinein, knüpfe neu das Band, Stolz und Geheimnisse nur Kummer bringen." Sie wiederholte es noch einmal. "Das wars. Tschüsi. Und ich danke Ihnen recht herzlich für Ihren Einkauf bei der gewitzten Schnitzerin." Aus purer Panik und auf der Suche nach echten Antworten griff Merit alle Fläschchen, bevor er sie nach und nach in den Kessel kippte. Die Stimme der Hexe legte sich übereinander und wurde immer lauter, bis ihr Gesicht zu glühen begann.

"Merit, hör auf!" "Ich versteh' das nicht", war das Letzte, was er sagte, bevor Elinor uns an sich presste und der Kessel explodierte. Meine innere Stimme schrie, aber meine rationale Seite drückte so weit dagegen an, dass ich ohne Panikattacke aus der Überraschungsumarmung herauskam.

Das Haus lag in Trümmern, doch wir waren alle glücklicherweise unverletzt.

Langsam aber sicher begann es zu regnen, was mich von dem großen schwarzen Tier hinter mir ablenkte. Ich verstand, dass es Elinor war. Zumindest war sie im Inneren noch Elinor, doch äußerlich glich sie zu sehr dem Monster, das meine Eltern getötet hatte. Ich schüttelte mit dem Kopf, um den Gedanken zu verscheuchen, und legte meinen Kopf in den Nacken. Ich hatte schon bemerkt, dass Elinor versuchte, so weit wie möglich von mir fernzubleiben. Meine Angst war ja nicht unbedingt ein Geheimnis, aber trotzdem konnte ich sie nicht lange ansehen. Erinnerungen zogen vor meinen Augen vorbei, die ich schon lange vergessen wollte.

Sie wird dir nichts tun, meinte Merits Stimme in meinem Kopf. Das wusste ich. Sie erinnerte mich nur an sie. Meine Eltern. Deshalb hatte ich Angst.

Plötzlich fasste mich jemand an der Schulter und ich zuckte zusammen. Natürlich war es nur Merit. Es konnte nur er gewesen sein, doch ich musste erstmal kurz Luft holen, während er sich entschuldigte. "Willst du dich hinlegen? Ich hab uns einen kleinen Unterschlupf aus den Resten des Hauses gebaut", meinte er, woraufhin ich an die Stelle sah, auf die er zeigte. Dafür, dass es nur ein paar Bretter über zwei Reste von Wänden war, sah es passabel aus. Mein Punkt war eher, dass Elinor schon drin saß.

Merit hatte das anscheinend schon bemerkt. "Ich kann zwischen euch schlafen, wenn das hilft." Nach einem Seufzer ging ich in Richtung Unterschlupf. "Es muss wohl helfen."

Ich wäre lieber länger im Regen geblieben, doch die Müdigkeit rief und ich wollte nicht krank werden.

Merit legte mir seinen Mantel um und lächelte, bevor seine Mutter ein Geräusch machte, als würde sie uns mahnen, uns zu beeilen. Er seufzte nur, bevor er sich neben seine Mutter setzte. "Morgen werden wir eine Lösung finden", meinte er, während seine Mutter sich wegdrehte, um zu schlafen.

Nach noch einem Seufzer legte er sich hin, sagte noch gute Nacht zu uns beiden und schlief ein. Ich brauchte etwas länger, bis ich, während ich versuchte, mit der Wand zu verschmelzen, einschlief.


Verändertes Schicksal (m.Merida - Merida)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt