b l a k e
DIE NÄCHSTEN TAGE vergingen in einem Nebel, der sich über die ganze Stadt legte. Vorlesungen wurden kurzfristig gestrichen und mit Material ersetzt, das online zur Verfügung stand. Eine Seelsorge wurde in der Universität eingerichtet. Die Dexter High wurde zu einem Ort, an dem Ansässige Kerzen aufstellten, für die Verstorbenen und alle, die an diesem Tag etwas verloren hatten. Ein Protest aus Jugendlichen und Eltern bildete sich in der Innenstadt, gegen Waffengesetze, die es einem Minderjährigen möglich gemacht hatten, fünfzehn Menschen umzubringen. Vince und einige seiner Politikwissenschaft Kommilitonen organisierten eine Infoveranstaltung, um über das Thema aufzuklären – das Feuer, das bisher in ihm gebrannt hatte, schien im Gegensatz zu dem Flächenbrand, das nun in ihm herrschte, lächerlich.
Überall war die Stimmung angespannt, obwohl die Feiertage näher rückten.
Von Lola hatte ich nichts gehört. Kennedy hatte mich mit spärlichen Informationen versorgt, dank denen ich wusste, dass Lola mit ihrer Mutter noch immer in Ann Arbor war, in einer gemieteten Unterkunft. Dass sie sich bei Kennedy erst einmal gemeldet hatte und kurzangebunden gewesen war.
Ihre alte Nummer führte noch immer ins Nirgendwo. Ich vermutete, dass sie mittlerweile ein neues Handy besaß, mit einer neuen Nummer, die sie noch nicht geteilt hatte.
Auch wenn es mich beinahe in den Wahnsinn trieb, hielt ich mich zurück. Ich konzentrierte mich auf meine Prüfungen, schrieb eine Klausur in Zellbiologie, in der ich vermutlich nicht übermäßig durchschnittlich gewesen war, doch es sollte reichen, um zu bestehen.
Ich verbrachte den Großteil meines Tages mit Dingen, die ich nicht entbehren konnte. Training, Vorlesungen, Klausuren. Bis wir in unsere Ferien entlassen wurden und ich nichts mehr hatte, was die Leere so richtig füllte. Ich überlegte, bereits früher nach Chicago aufzubrechen, doch mein Vater würde bis zum fünfundzwanzigsten noch arbeiten müssen. Unser leeres Collegehaus schien weniger bedrückend als mein leeres Elternhaus, in dem ich mit den Geistern meiner Mutter allein sein würde.
Obwohl es Tradition gewesen war, den Freitag vor den Weihnachtsferien eine Abschiedsparty zu schmeißen, war es dieses Jahr gar nicht erst in einem Gespräch aufgekommen. Stattdessen verbrachte ich den Abend auf der Couch in unserem Wohnzimmer, irgendeine Quizshow auf dem Bildschirm, die meine Aufmerksamkeit nicht gewinnen konnte.
Als sich eine Gestalt neben mir niederließ, sah ich überrascht auf, nur um Zach zu entdecken. Im Gegensatz zu Vince, der sich mit Lissie bereits auf den Heimweg zu ihren Familien gemacht hatte, schob er seine Abfahrt wohl ebenso vor sich her. Von uns allen war James der Einzige, der die Feiertage nicht in seiner Heimat verbrachte, sondern in diesem leeren Haus. Er hatte nie gesagt, warum er an Thanksgiving oder Weihnachten nicht zu seiner Familie fuhr. Wir hatten nie nachgefragt, denn James war der letzte, den man über sein Privatleben ausfragen sollte, wenn man nicht mit sturen Gesichtsausdrücken und Schweigen rechnen wollte. Ich fragte mich, ob ich dieses Jahr etwas genauer nachhaken sollte. Ob er mir eine Antwort geben würde, würde ich nur lange genug nachfragen.
Zach war mit Gaben gekommen. In jeder Hand hielt er ein Bier, was so kurz vor dem Finale in vier Wochen so ungewöhnlich war, dass ich kurz zögerte, als er mir eins hinhielt.
Er setzte sein eigenes an, nahm einen kräftigen Zug und richtete seinen Blick auf den flackernden Bildschirm, wo ein Kandidat bereits seit zwei Minuten über die Antwort der Frage nach dem höchsten Berg Spaniens grübelte.
„Wie geht es ihr?"
Die Frage kam so überraschend, dass ich einen Moment brauchte, um zu verstehen, dass er Lola meinte. Dass er nach ihr fragte. Nun machte das Bier mehr Sinn.
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all night long | ongoing
Romance❝Was hat sich verändert?❞, hakte ich nach, denn ich wusste, dass ich die ganze Nacht wachliegen und darüber rätseln würde, was es dieses Mal war, das Lola dazu gebracht hatte, sich von mir abzuwenden. Sich davon zu überzeugen, dass sie mich nicht wo...