3 8 | s c h ü t z e

1.2K 171 10
                                    

b l a k e

DA WAR NUR Stille, nachdem dieser einzige Schuss sich gelöst hatte. Kein weiterer, der folgte, obwohl der Schütze ein halbautomatisches Gewehr besaß. Der gesamte Parkplatz schien die Luft anzuhalten, auch wenn es fünf Minuten dauerte, bis sich etwas regte.

Ich kauerte noch immer hockend auf dem Boden, die Hände im Nacken vergraben, während ich hoffte, dass das hier ein schrecklicher Albtraum war, aus dem ich jeden Moment schweißgebadet erwachen würde, als die Tür des Eingangs sich öffnete. Die Polizisten regten sich augenblicklich, hielten ihre Waffen schussbereit, als die erste Person aus dem Gebäude stolperte. Mein Atem stockte. Wenn das hier der Schütze war, der nun –

Eine weitere Person drängte sich hervor. Danach noch drei andere, die die Treppen herunterstolperten und die eisige Stille mit ihrem lauten Schluchzen durchbrachen. Polizisten setzten sich in Bewegung, wagten endlich den ersten Schritt in das Schulgebäude, während Hilfskräfte mit medizinischen Koffern in Richtung der Schüler eilten, die sich in das helle Tageslicht ergossen.

Ein junges Mädchen, vielleicht fünfzehn, kauerte im Schnee und weinte laut, während der weiße Untergrund sich zu ihren Füßen rot färbte. Mein Gehirn schien nicht verarbeiten zu können, was ich dort sah. Dass das hier kein Film war, kein Videospiel, in dem die grafische Darstellung von Blut mich nicht einmal mit der Wimper zucken ließ. Man hätte meinen können, dass man nach genügend Actionfilmen desensibilisiert gewesen wäre – aber das war kein bisschen der Fall, als ich die Teenager anstarrte, deren offene Wunden die bittere Realität waren.

In der Reihe besorgter Familienmitglieder neben mir riss sich jemand los. So schnell, dass der Polizist vor mir die Person nicht aufhalten konnte, als sie in Richtung eines Jugendlichen rannte, der sich blindlings umsah. Vielleicht hätte er es auch nicht, egal ob er schnell genug gewesen wäre oder nicht. Obwohl man den uniformierten Personen ansah, dass sie versuchten, eine Maske der Professionalität zu wahren, konnte ich mir nicht vorstellen, dass ihre Eingeweide sich bei dem Anblick der verstörten, ängstlichen Ausdrücke auf den Gesichtern dieser jungen Menschen nicht verknoteten.

Ich beobachtete, wie mehr und mehr Schüler aus dem Gebäude strömten, sich in die Arme fielen, von den Sanitätern angesprochen wurden. Nur war keine dieser Personen die, auf die mein Herz so dringend hoffte.

Ein Funkspruch ertönte aus dem Gerät des Polizisten neben mir, so schnell und rauschend, dass ich kein einziges Wort verstand. Vielleicht weil mein eigener Herzschlag so laut in meinem hohlen Brustkorb widerhallte, dass ich kaum etwas anderes hören konnte als das viel zu schnelle Pochen.

Ich bemerkte es nicht sofort. Erst als die ersten Polizisten das Gebäude wieder verließen, die Waffen nicht mehr so steif in ihren Armen, als würden sie sich darauf vorbereiten müssen, jeden Moment eine Kugel abzugeben. Erst, als ich einen Blick in Richtung des Officers neben mir warf, dessen stramme Haltung sich in eine erschöpfte verwandelt hatte. Seine Schultern sackten nun viel mehr in Richtung des Asphalts, beinahe als würde er das Gewicht zulassen, das nun auf ihnen ruhte.

„Was ist los?", fragte ich, während ich mich auf wackeligen Knien aufrichtete. „Was ist passiert?"

Die Augen des Officers huschten zu mir, dann zu den anderen Angehörigen, die ihn nun ebenfalls erwartungsvoll ansahen. Er haderte einen Moment mit sich, wagte einen Blick in Richtung der Schule, bevor er sich schließlich an uns wandte. „Der Schütze konnte gefasst werden."

Eine Mischung aus Erleichterung und Sorge legte sich über all die anderen Gefühle in mir. Es bedeutete, dass niemand mehr verletzt werden würde. Es bedeutete aber immer noch, dass er bereits einiges an Unheil angerichtet hatte.

„Sie haben ihn?", fragte ich, während mein Blick in Richtung der Eingangstüren wanderte. Beinahe erwartete ich, dass jeden Moment jemand aus dem Gebäude gezerrt und in eins der Polizeiautos verfrachtet wurde. Mit Handschellen und strampelnden Gliedmaßen, während wir alle dabei zusahen. Während wir alle einen Blick auf diesen Menschen erhaschen konnten, der etwas so Schreckliches angerichtet hatte. Aber die Türen blieben geschlossen.

all night long | ongoingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt