all night long | ongoing

4 5 | d i e g a n z e n a c h t l a n g

b l a k e

ICH HATTE KEINE neuen Nachrichten.

Zumindest keine von Lola. Seit Tagen wartete ich darauf, irgendein Lebenszeichen von ihr zu erhalten, irgendeine Reaktion auf das, was ich vor den Feiertagen zu ihr gesagt hatte – selbst wenn es nur ein Danke für die Info und ein Daumen Hoch-Emoji gewesen wären. Stattdessen vibrierte mein Handy vor lauter Mitteilungen aus verschiedenen Gruppen, meist Studenten, die sich anlässlich Silvesters morgen Abend in Verbindungshäusern verabredeten, und einigen Nachrichten, die uns für unser Spiel viel Glück wünschten.

Ich hatte es bereits vor ein paar Stunden stummgeschaltet, um den letzten gemeinsamen Abend mit meinem Vater zu genießen, bevor er mich am Flughafen absetzen und ich ein weiteres Mal den Staat wechseln würde. Mein Koffer war gepackt, meinen Rucksack zog ich gerade mit einem letzten Zipp zu, dann würde ich bereits wieder unterwegs sein. Immerhin lenkte es meine Gedanken in eine andere Richtung.

Alabama würde morgen eine Herausforderung für sich sein. Die Tatsache, dass sie es zum zweiten Mal hintereinander ins Halbfinale geschafft hatten, war eine Aussage für sich. Ich versuchte mich daran zu erinnern, dass wir ebenfalls nicht ohne Grund so weit gekommen waren. Dass wir eine genauso gute Chance hatten wie Alabama, uns unseren Platz im Finale zu ergattern.

Das war alles, was gerade zählen sollte. Keine Ablenkungen.

„Blake." Die Stimme meines Vaters drang nur gedämpft zu mir, doch ich hörte die Überraschung in seiner Stimme. „Komm mal her."

Verwirrt, weil wir geplant hatten, erst in einer knappen Viertelstunde aufzubrechen, verließ ich mein altes Kinderzimmer und trat in den Flur, nur um zu sehen, dass er sich im Wohnzimmer befand, wo der Fernsehbildschirm flackerte.

Ich rechnete bereits damit, dass ich mein eigenes Gesicht auf dem Bildschirm finden würde, ein Vorbericht zu dem anstehenden Spiel, während mein Vater noch immer nicht fassen konnte, dass sein Sohn kein Vierzehnjähriger mehr war, der sich mit seinen Freunden aus Spaß die Bälle zupasste. Doch es war nicht mein Gesicht, das ich dort entdeckte.

„Das ist doch das Mädchen", murmelte mein Vater, während meine Augen sich auf den Bildschirm fixierten, dort, wo gerade eine Nachrichtensendung lief. „Das Mädchen, mit dem du dich getroffen hast."

Ich war zu geschockt, um zu reagieren. Die Nachrichtensprecherin erzählte etwas von einem viralen Video, während eine Bildschirmaufnahme eines Instagram-Videos im Hintergrund zu sehen war, ganz deutlich Lolas Gesicht, wie ich es noch vor ein paar Tagen zu Gesicht bekommen hatte. Gänzlich ungeschminkt, mit geröteten Augen und diesem erschreckten Ausdruck in ihnen.

Meine Knie gaben nach, sodass ich neben meinem Vater in die durchgesessenen Polster sank.

Plötzlich nahm das Video den gesamten Bildschirm ein. Lolas bisher eingefrorene Gestalt erwachte zum Leben.

„Ich kann nicht aufhören, ihn vor mir stehen zu sehen", brachte sie hervor, ihr Blick weit in die Ferne gerichtet, während sie sich mit dem Ärmel ihres Sweatshirts einige entflohene Tränen aus dem Gesicht wischte. „Ich kann nicht aufhören, jeden Moment einen Schuss zu erwarten. Wenn ich nachts die Augen schließe ... dann ist alles blutrot. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich in zwei Wochen wieder in einem Hörsaal sitzen soll. So sollte das nicht sein – niemand sollte an dem Ort, an den man geht, um Bildung zuteil zu werden, Angst haben müssen. Nicht ich, aber auch ganz sicher nicht die Schüler. Das sind ... es sind Kinder. Sie sollten nicht um ihr Leben fürchten müssen, wenn sie morgens zur Schule gehen."

Eine kurze Videomontage aus Zusammenschnitten der Dexter High School am Tag des Amoklaufs folgte, doch ich nahm die Stimme der Nachrichtensprecherin kaum wahr. Nicht, wenn Lolas Worte so laut in meinem Verstand echoten, dass ich fast meine eigenen Gedanken nicht hören konnte.