Ich saß noch einige Zeit alleine im Raum. Dieses Anwesen war riesig und mir völlig unbekannt, also wusste ich nicht einmal, wohin ich gehen sollte. Würde ich einfach drauf los rennen, dann würde ich mich zu hundert Prozent verlaufen und weiß Gott wem in die Arme laufen. Immerhin wusste ich nicht ganz genau wer hier wohnte. Plötzlich ging die Tür jedoch erneut auf und eine Person steckte den Kopf herein. „Bist du Irene?" Ich nickte. Die Person trat nun ganz in den Raum und schloss die Tür hinter sich. „Ich bin Winter. Milo ist mein älterer Bruder." Erneut nickte ich verstehend und musterte Winter anschließend. Winter hatte grau-blondes Haar mit dunkleren Spitzen und hellgrauen Augen. Das Haar war seitlich gescheitelt, wobei die linke Seite länger war als die rechte. Dazu trug Winter viele Piercings und auch die Klamotten wirkten lockerer. Ganz im Gegenteil zu Milo. „Darf ich mich zu dir setzen?" „Natürlich." Das Essen war kaum angerührt worden und während Winter sich auf den Platz setze, auf welchem zuvor Milo gesessen hatte, rückte ich meinen Stuhl zurecht, wieder auf seinen ursprünglichen Platz. Milo hatte mich vorhin wirklich erschreckt, als er meinen Stuhl plötzlich zu sich gezogen hatte. Aus dem Augenwinkel musterte ich Winter. „Sag mal, kann es sein, dass du deine Stimme verstellst?" Winter schmunzelte. „So offensichtlich?" „Nicht wirklich. Ich hatte nur so ein Gefühl, dass ist alles." „Aber es stimmt." „Warum?" „Weil ich als Frau geboren wurde, eine helle Stimme habe, mich aber nicht so fühle." „Ach so. Wie fühlst du dich denn dann?" Überrascht sah Winter auf und blinzelte mich an. „Weiß ich selber nicht, aber ich mag die Pronomen They/Them oder He/His." „Okay, dann verwende ich die auch. Danke dass du direkt so offen zu mir warst." Winter schien noch einen Moment nachzudenken, lächelte dann aber wieder und nickte. „Du scheinst wirklich nett zu sein, Irene." „Könntest du mich nicht so oft bei diesem Vornamen nennen." „Wie -" Er brach ab, dachte kurz nach und sprach dann weiter: „Wie wäre es dann mit einem Spitznamen?" Ich nickte. Wir fingen an zu essen und sprachen währenddessen über andere Dinge, normale Dinge. Zum Beispiel über Musik, wobei wir feststellten, dass wir doch einen recht ähnlichen Geschmack hatten, wenn es um Musik ging. „Ich hab's!" Verwirrt sah ich Winter an, welche plötzlich halb aufgesprungen war. Wir waren gerade mit Essen fertig geworden und hatten die letzten Minuten eigentlich nichts gesagt. „Du hast was?" „Iri!" „Iri?" „Dein Spitzname", erklärte er. Ich sah ihn einen Moment verwirrt an, ehe ich anfangen musste zu lachen. „Gefällt er dir nicht?", fragte Winter verwirrt. Ich schüttelte mit dem Kopf, während ich mein Lachen unter Kontrolle bekam. „Nein, alles gut. Ich mag ihn sehr gerne, es kam nur ganz plötzlich." „Ach so." Winter lachte nun ebenfalls. Anschließend verließen wir den Speisesaal und liefen die Gänge des Anwesens entlang. „Hat mein Bruder dir bereits eine Führung gegeben?" „Nicht wirklich." „Möchtest du eine Führung?" Winter grinste mich an. „Klar gerne." Zusammen liefen wir durch das gesamte Anwesen und Winter zeigte mir alles mögliche. Nur die Zimmer der Angestellten betraten wir nicht, da wir beide der Meinung waren, dass das deren Privatsphäre wäre und mit mir sowieso nichts zu tun hätte. Auch den Keller zeigte Winter mir nicht, so hatte Milo ihm bereits gesagt, wo ich sein durfte und wo nicht. „Sag mal, Iri, du hast doch vorhin gesagt, dass du gerne liest, oder?" „Sí." „Dann komm mal mit." Winter ergriff mein Handgelenk und rannte los, während er mich hinter sich herzog und ich versuchte mit ihm Schritt zu halten. Schließlich kamen wir vor einer großen Tür an, welche ähnlich aussah wie die vom Speisesaal. „Winter warum musstest du so rennen?" Ich stütze meine Hände auf meine Knie. „Wie warum? Hast du etwa keine Ausdauer?" Er grinste mich feixend an. „Doch hab ich. Aber guck dir die Jeans an die du trägst und dann den, wohl gemerkt bodenlange, Rock an, welchen ich trage und welche auch etwas mehr wiegt." „Ups." „Mehr fällt dir nicht ein?" Während Winter erneut anfing zu lachen, versuchte ich ernst zu bleiben, jedoch hielt ich es nicht lange aus und fing ebenfalls an zu lachen. Schließlich drehte Winter sich zu der großen Eichenholztür um, welche sich direkt hinter ihm befand. Er stieß die Türen auf und lief hinein, wobei ich ihm folgte. In diesem Moment, als ich diesen riesigen Raum betrat, hatte ich das Gefühl als würde mein Herz aufgehen. Es handelte sich bei diesem Raum nämlich um eine Bibliothek. Und sie war riesig, sah älter aus und war wunderschön. „Oh mein Gott." Ich konnte nicht an mich halten und fing an durch die Bibliothek zu rennen. Ich lief zwischen den Gängen entlang, sah mir die Bücher an, welche alle genau geordnet waren und sogar mit Genres gekennzeichnet waren. Ich lief lange umher und sah mir alles ganz genau an, strich mit meinen Fingern über die Buchrücken und lächelte vor mir her. Ich fühlte mich unheimlich wohl an diesem Ort. Schließlich beendete ich meinen Rundgang und ging zu einem kleinen Durchgang, welcher wie ein Torbogen aussah und in eine der Wände eingelassen war. Ging man dadurch kam man in einen zweiten Raum, welcher deutlich kleiner war. Er besaß zwei kleine Fenster auf der rechten Seite, auf der linken stand ein kleineres Regal mit weiteren Büchern. Direkt vor mir, mittig an der Wand, stand ein großer Kamin, in welchem Feuer brannte. Vor dem Kamin stand ein kleiner Tisch und rechts sowie links befand sich jeweils ein gemütlicher Sessel. In einer Ecke, neben dem Fenster, stand noch eine Art Korb, in welchem ich kuschelige Decken erkennen konnte. Eine Lampe gab es hier nicht, das gesamte Licht kam von den Kamin, sowie zusätzlichen Kerzen, welche an den Wänden angebracht waren. Jedoch reichte es aus und der Raum war hell genug zum lesen, wobei er seine Gemütlichkeit kein bisschen verlor. Winter saß in dem Sessel auf der linken Seite und sah mich an. „Fertig mit dem Rundgang?" „Fürs Erste schon", erwiderte ich und warf mich auf den anderen Sessel. „Winter diese Bibliothek ist wunderschön." „Das dachte ich mir, dass du so denken würdest. Ehrlich gesagt frage ich mich, warum Milo sie dir nicht schon gezeigt hat." Ich zuckte mit den Schultern. „Nun gut, ich würde mich so langsam von dir verabschieden. Möchtest du hier bleiben?" „Ich würde sehr gerne hier bleiben, vielen Dank für deine Gesellschaft, Winter." „Kein Ding. Dass können wir gerne wiederholen, Iri." Ich nickte zur Bestätigung, während Winter sich erhob und die Bibliothek anschließend verließ. Nun war ich allein. Lange blieb ich nicht sitzen. Schnell war ich wieder aufgestanden und lief erneut in der Bibliothek herum. Ich wollte etwas lesen, aber um ehrlich zu sein, hatte ich keine Ahnung, was genau ich lesen wollte. Ziellos lief ich durch die Gänge, welche durch die Bücherregale gebildet wurden. Ab und zu stieg ich auf die ein oder andere Holzleiter, um mir auch die Bücher ansehen zu können, welche ganz oben, fast unter der Decke, standen. Dieser Ort war wirklich wunderschön und wenn ich ehrlich bin, dann fühlte ich mich in diesem Moment ein wenig wie Bell aus „die Schöne und das Biest". „Das ist es!" Ich sprang von der Leiter herunter und lief durch den Raum, ehe ich bei dem Regal mit Märchen ankam. Ich musste nicht lange suchen, da fand ich das Buch, welches die Geschichte von der Schönen und dem Biest erzählte. Lächeln lief ich zurück zu dem kleinen, angrenzenden Raum. Ich warf mich zurück in den Sessel, welcher von der Tür aus gesehen rechts stand und fing an mich in diese wunderschöne Geschichte zu vertiefen.
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Mi Amore (Deranged Detectiv FF)
RomanceDie junge Irene Adler, eine Nachfahrin der Blutline Adler, lebt ein gewöhnliches Leben, als sich in einer Nacht plötzlich alles ändert. Sie wird von fremden Männern durch London gejagt und schließlich entführt. Aufwachen tut sie im Anwesen der legen...