Dag, der an seinem Fenster eine Kippe rauchte, sah den Wagen wegfahren, der vorhin noch in seine Straße eingefahren war und mit viel Hin und Her mittendrin gewendet hatte. »Frau am Steuer.« , meinte er einfach mit einem aufschnaufenden Lachen zu sich selbst, nachdem er eine weibliche Hand am Lenkrad erspähen konnte, und flitschte die Zigarette hinab, ehe er die Fensteröffnung schloss.
Eigentlich hätte er jetzt den Müll nach draußen bringen sollen. Der Drang war aus heiterem Himmel da gewesen, aber er entschied sich dann doch, dies auf später zu verschieben. Für zwei, drei Dinge war noch Platz.
Er sah kurz zu dem Müllsack, den er jedoch davor bereits aus der Tonne geholt hatte und der nun verlassen und fast vergessen am Eingang wartete.
Irgendwie ... wie er selbst.
Die Worte der älteren Frau hatten ihn auf die eine oder andere Weise die ganze Nacht wach gehalten.
~ Loslassen ist leise, aber notwendig ~
Für wen notwendig?
Für ihn? Oder sein Umfeld? Vincent und Lukas hatten ihn ja ebenso drauf hingewiesen, dass er mal ... etwas ändern sollte.
War er unbequem geworden? Obwohl ... seine Techtelmechtel-Dinger ja gar nicht andere involvierten. Denen konnte es doch quasi egal sein, ob er zum guten Schluss mit einer Frau in den Sonnenuntergang ritt, oder selbst den Hengst mimte, der von verschiedenen Turnierreiterinnen geritten wurde.
~ Loslassen ~
Er musste nichts loslassen. Natürlich war es schon lange her, aber keiner konnte ihm vorschreiben, sich erneut auf irgendwas einzulassen, was mit seelischem Schmerz verbunden war. Er hatte einmal geliebt. Das reichte. Die Beziehung mit Alessandra davor zählte nicht. Das war keine Liebe, das hatten beide gewusst. Célia hingegen, das war anders.
Wieso verstand denn keiner, dass er Liebe mit Schmerz verband?
Das er all das, was er für Célia empfunden hatte ... oder ... empfand ..., nicht ersetzen wollte.
Das hatte sie nicht verdient. Sie hatte sich nicht gewollt gefühlt. Nicht geliebt gefühlt. Nicht lebendig gefühlt. Egal, was er gesagt und getan hatte, es hatte ihr nicht ausgereicht, es anzunehmen.
Empfand er überhaupt noch dasselbe? In seinem Kopf erschien abermals die junge achtzehnjährige Célia. Er selbst war nicht mehr so jung. Sie blieb jedoch in diesem Alter. Eingefroren.
Die Zeit stand still. Oder besser gesagt, er fühlte sich wie der Junge von damals, wenn er an sie dachte.
Dag ging in sein Schlafzimmer an den Schreibtisch, den er schon seit Ewigkeiten besaß, und holte ein Büchlein aus der Schublade. Er blätterte herum. Jedes Mal hatte er jeden Tag aufgeschrieben. Jeden Tag, den er ohne sie verbracht hatte.
Es war endlos.
Die Zahlen, die er dort vermerkte, waren mit der Zeit immer länger geworden.
Dag nahm den Stift in die Hand.
Tag, es nützt nichts mehr Zahlen hinzukritzeln, denn sie werden bis in die Ewigkeit gehen.
Ich wollte deine Wunden heilen. Wunden, für die ich nicht mal verantwortlich war. Dennoch hatte ich die Verantwortung für dich ... für dein Leben und habe kläglich versagt.
Weißt du, was das Traurigste daran ist? Ich bin mir sicher, wir hätten es gepackt. Doch du hast es nicht gesehen. Du warst blind.
Du hast mich zerrissen. Ich fühle mich so leer. Mir fehlt etwas. Du fehlst mir.
Die Zeit heilt alle Wunden. Klar. Der Verlust, und die Schuld ist einfach zu groß. Es belastet mich, weil ich nicht rechtzeitig für dich da gewesen war.
Ich trage Wunden und weiß, dass ich nie wieder verwundet werden will.
Die Liebe, die ich verspürt habe, hat sich zu einem Albtraum gewandelt, aus dem ich niemals mehr erwachen kann. Ich bin gefangen. Ich bin verloren. Ich ertrinke.
Warum hilft mir denn keiner?
Er klappte das Buch zu und erschrak. Hatte ihn gerade irgendwas an der Schulter berührt. Dag sprang auf und sah sich um.
Da war niemand.
Die Berührung war auch ... leicht. Nicht so, als würde jemand seine Hand darauf legen. Es war ... etwas anderes.
War es ein Windzug gewesen?
Er sah zu seinem geschlossenen Schlafzimmerfenster. Aus der Situation heraus legte er seine Hand auf die Stelle, die ... gekribbelt hatte.
Nichts.
Wenn es das Fenster nicht war, dann ... rekordverdächtig zog er sein Shirt aus und schüttelte es, ehe er es zu Boden warf.
Wahrscheinlich war es eine Spinne, die gemächlich dort spazieren gegangen war.
Er betrachtete im Spiegel seinen Rücken.
Da war nichts.
Vielleicht war es auch lediglich eine Einbildung. Wie oft hatte er schon erlebt einen Schatten hinter sich zu bemerken und im Grunde war er allein gewesen.
So etwas geschah.
Dag berührte die Stelle ein weiteres Mal. Nichts.
Da war niemand.
Natürlich war niemand da. Er war alleine. Wie immer.
Ein plötzliches lautes Geräusch erschrak ihn jedoch zum wiederholten Mal und er spähte aus dem Schlafzimmer heraus.
Wieder nichts.
Auf leisen Sohlen ging er weiter, sah in jeden Raum und blickte dann auf den Müll, der verstreut in seinem Flur lag.
Die Tüte musste umgekippt sein.
Vielleicht hätte er ja doch direkt den Hausabfall wegbringen sollen?!
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Ich sitz' immer noch hier, und schreib' dir diese Zeil'n (Band 2)
FanfictionBAND 2 Dag weiß, dass er nach Célias schrecklichen Abschied nie wieder in der Lage sein wird, eine andere Frau von ganzem Herzen zu lieben. Doch dann trifft er Emma. Er will die Vergangenheit nicht wiederbeleben, nichts empfinden, und kämpft im Z...