Kapitel 1

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Und nun stehe ich hier. Vor den Türen der Eliteschule Shiratorizawa. Es ist mein erster Tag an der Oberschule. Ich bin total aufgeregt und auch sehr nervös.

Meine Nervosität versuche ich, Betonung liegt auf versuchen, dann immer so gut zu verstecken, dass ich entweder meine Hände knete oder an meinen Haaren spiele. Ich weiß, ich weiß, gerade dadurch sieht man, dass ich nervös bin, aber es beruhigt mich auch unglaublich. Im Moment knete ich eher meine Hände, weil meine Haare zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengebunden sind.

Ich schaue nach links und lächle meine Mom an. Ich liebe sie so unglaublich, dass kann man sich gar nicht vorstellen. Es mag jetzt für den ersten Moment komisch klingen, aber ich war bis vor drei Jahren in ständig sich wechselnden Pflegefamilien. Es war dort nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen. Aber genug davon. Heute ist wie gesagt ein ganz besonderer Tag. Ich gehe ab sofort auf die Shiratorizawa! Ich kann es noch gar nicht richtig glauben!

Breit lächelnd drehe ich mich nun endlich richtig Mom zu. Sie überreicht mir meinen großen dunkelblauen schweren Koffer, weil wir zusammen beschlossen haben, dass es besser wäre, wenn ich im Wohnheim auf dem Campus wohne anstatt Zuhause. Erst vor wenigen Wochen bin ich von Tokyo nach Sendai gezogen und habe dementsprechend noch keine Freunde gefunden; die Freunde von meinem Bruder sind erstmal ausgenommen. Zudem hätte ich es zur Schule nicht weit und wäre immer pünktlich, was ich sowieso immer bin.

"So mein Schatz, ich wünsche dir ganz viel Spaß, benehme dich immer und melde dich auch mal ab und zu. Ob du's glaubst oder nicht, wir werden dich vermissen", währenddessen knuddelt Mom mich mit ein paar Tränen in den Augenwinkeln durch. Und nope, es ist mir nicht im Geringsten peinlich, weil ich ganz genau weiß, was es heißt keine Familie zu haben. Da ist man natürlich über jede Art von elterlicher Zuwendung glücklich.

Lachend erwidere ich: "Alles gut Mom. Ja mach ich, das weißt du doch. Ich kann euch aber auch mal besuchen kommen, ist ja jetzt nicht so, als würden wir nicht in derselben Stadt wohnen." Verschmitzt zwinkere ich ihr zu, bevor ich ernster fortfahre: "Schade, dass Dad und Tōru heute nicht konnten, aber was soll's. Immerhin bist du ja da, um mich zu bringen." Gegen Ende setze ich wieder ein fröhliches Gesicht auf, weil Mom mich etwas traurig anschaut. "Ok mein Schatz, ich muss jetzt auch wieder gehen, weil du weißt ja, dass Mina-san gleich eine von ihren berühmt berüchtigten Nachmittags-Teepartys gibt, bei der man auf keinen Fall zu spät kommen darf. Ich wünsch dir wie gesagt ganz ganz viel Spaß und vielleicht findest du sogar auch einen Jungen, der dir gefällt, dann musst du ihn mir auf jeden Fall vorstellen!" Sie grinst mich breit an, bevor sie schnell zum Auto läuft, ihre Hand noch einmal kurz hebt und schon ist sie weggefahren.

Etwas baff bin ich ja schon über ihre letzte Aussage, die ich ihr so in dieser Form nicht zugetraut hätte. Ich zucke nur mit den Schultern und trete nun endgültig mit meinem Koffer in der linken Hand über die Grundstücksgrenze, um ein Teil des Schullebens der Shiratorizawa zu werden.

Aus meiner großen Sporttasche, die über meiner rechten Schulter hängt, nehme ich die Bestätigungsformulare für die Aufnahme an meiner neuen Oberschule heraus, um den Plan zu suchen, der den Weg zu den Wohnheimen beschreibt, heraus. Nach kurzem Studieren meinerseits, betrete ich zügig den Campus und halte mich laut Plan die ganze Zeit rechts, da auf der Ostseite die ganzen Wohnheime liegen.

Irgendwie komme ich mir ja schon vor wie ein Charakter aus der Mythos Academy Reihe vor. Ich meine: Internat, beides Eliteschulen, Wohnheime und Kinder von reichen Eltern. So oder so ähnlich. Ich muss grinsen. Wie komme ich nur immer wieder auf solche Ideen? Gott sei Dank kann niemand Gedanken lesen, sonst wäre ich in so manchen Situationen schon richtig aufgeschmissen gewesen und die Person würde mich sehr wahrscheinlich für vollkommen verrückt halten.

Langsam schiebe ich mir meine Brille nach oben, weil diese mir ständig von der Nase rutscht. Mit sicheren Schritten schlängle ich mich geschickt um die anderen Schüler, die sich gegenseitig begeistert von ihren Ferien erzählen und was sie gemeinsam mit ihren Familien unternommen haben. Ehrlich gesagt finde ich es hier ziemlich voll; das liegt aber auch vor allem daran, dass heute Anreisetag für alle Jahrgänge der Mittelstufe, Oberstufe und Universität ist. Fast 80% aller Schüler schlafen und leben in den Wohnheimen, da kann es schon mal zu Drängeleien oder Stau kommen. Während ich die anderen Schüler umrunde, betrachte ich den Campus, der mir zu Gesicht kommt.

Wahnsinn! Teilweise wurden sogar Schilder aufgestellt, die bei der Orientierung helfen sollen. Am Wegesrand stehen Kirschbäume. Wenn Saison für die Blüten ist, sieht hier alles sicherlich wunderschön aus. Ich liebe Sakuras einfach über alles. Man fühlt sich immer so unbeschwert und leicht, als ob man alles schaffen könnte. Zusätzlich wurden noch etliche Blumen in großen Beeten angepflanzt. Zwar kenne ich mich nicht so gut mit Blumen aus, aber das sehe sogar ich als Laie, dass die Blumen ihre Blütezeit zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Frühling oder Sommer haben.

Vor einem ganz bestimmten Schild bleibe ich schlussendlich stehen. Es zeigt wie man am Schnellsten zum Baseballfeld findet. Baseball. An meiner Mittelschule war ich die Managerin des Baseballteams der Jungs und hab sogar die Hauptmanagerin des Softballteams der Mädchen unterstützt. Grübelnd runzle ich meine Stirn. Sollte ich diese Aufgabe wieder übernehmen oder mir etwas komplett neues suchen? Grübelnd laufe ich weiter.

Nach geraumer Zeit bin ich schlussendlich vor meinem Wohnheim angekommen. Tief atme ich nochmal ein und aus, bevor ich über die Schwelle trete. Was soll ich sagen? Es ist eine sehr saubere Eingangshalle mit gehobener Einrichtung. Damit lässt sich auf jeden Fall gut leben. Staunend gehe ich die Gänge entlang, bis ich mein Ziel erreicht habe. Den Aufzug. Normalerweise würde ich ja die Treppe nehmen, aber das möchte ich mir mit meinem schweren Koffer auf keinen Fall zumuten diesen bis in den fünften Stock zu schleppen plus großer unhandlicher Sporttasche.

Sachte drücke ich den Knopf und stelle mich etwas auf die Seite, falls dieser voll sein sollte und die Insassen den Aufzug verlassen möchten, dann müssen sie nicht gleich über mein Gepäck und mich stolpern. Während ich warte, checke ich kurz mein Handy, ob mir vielleicht jemand geschrieben hat. Insgesamt hat mir mein Bruder bestimmt 25 Nachrichten geschickt, vor allem wie sehr er es bedauert mich heute nicht zu meiner neuen Schule begleiten zu können. Obwohl die Shiratorizawa ihm ein Dorn im Auge ist, wäre er trotzdem sehr gern mitgekommen. Tja Bruderherz. Hättest du nur mal nicht so oft das Training geschwänzt, dann wäre es vielleicht sogar möglich gewesen. Vielleicht hätte aber auch dein Trainer heute so oder so ein Sondertraining angesetzt.

Mit einem Klingeln meldet sich der Aufzug an. Schnell sperre ich mein Smartphone, bevor ich es in meine rechte hintere Hosentasche stecke. Die Türen öffnen sich und drei Jungs treten heraus. Als sie mich sehen, verstummt sofort ihr Gespräch und einer fragt mich schelmisch: "Na Süße, hast dich wohl verlaufen? Hier ist das Jungendwohnheim. Das Mädchenwohnheim ist ein Gebäude weiter."

Verwirrt runzle ich die Stirn und blicke auf den Plan, der eindeutig dieses Gebäude markiert. Noch verwirrter schaue ich mir das Beiblatt zu meinem Zimmer an, bevor ich antworte und die Zettel ihm vor die Nase halte: "Kann schon sein, dass du mit den Wohnheimen recht hast, aber hier steht eindeutig, dass ich in diesem Wohnheim untergebracht bin und nicht in dem anderen." Ungläubig nimmt er mir die Papiere aus der Hand und begutachtet diese. Seine Freunde schauen ihm über die Schulter, bis sich von einem das Gesicht erhellt und er ausruft: "Stimmt, das habe ich ja völlig vergessen! Ein Teil des Mädchenwohnheims wird renoviert und ein paar sind deshalb in unserem Gebäude untergebracht." Zur Bestätigung schlägt er mit seiner Faust in die offene Handfläche.

Leicht verziehe ich mein Gesicht. Oh je, was für Chaoten. Wie kann man sowas nur vergessen? "Du hast recht. Ich hab das auch schon wieder völlig vergessen. Das wurde ja kurz vor den Ferien in einem Nebensatz erwähnt", ergreift der erste wieder das Wort, während seine Freunde begeistert nicken, weil sie sich daran erinnern können. "Ach übrigens, bevor ich's vergesse", der erste Junge übergibt mir meine Papiere, die ich ihm zuvor ausgehändigt habe, "wir sind im Baseballclub und brauchen noch eine Managerin, also wenn du Zeit und Lust hast, melde dich auf jeden Fall." Gegen Ende streckt er mir begeistern seinen Daumen entgegen.

Baseball? Managerin? Na ich weiß ja noch nicht. Ich lächle die drei freundlich an und entgegne: "Ich behalte es auf jeden Fall im Hinterkopf, aber ich würde erstmal gern ankommen und mir auch andere Clubs anschauen, bevor ich mich endgültig festlege." Verstehend nicken sie und verabschieden sich handhebend, bevor ich mich nun endlich in den Aufzug begebe.

Mit gemächlichem Tempo fahre ich in den fünften Stock und folge dem Gang, welcher den Weg zu meinem Zimmer weist. Nach einigen Abbiegungen bleibe ich schließlich vor Zimmer 531 stehen. Das wird jetzt von nun an für das nächste Jahr mein neues Zuhause sein. Breit lächelnd trete ich ein, nachdem ich mit dem Schlüssel, den ich mit meinen ganzen Unterlagen vorab schon bekommen habe, die Tür aufgeschlossen habe.

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Kleine Schwestern sind die wahren Herrscher über das SpielfeldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt