Kapitel 6

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Verschlafen drehe ich mich auf die andere Seite. Woher kommt nur dieses sacknervige Geräusch? Ich habe doch gestern meiner Wecker ausgeschalten oder etwa nicht? Nein... Irgendwie hört sich das nicht nach meinem Wecker an. Genervt richte ich meinen Kopf auf, streiche mir meine Locken aus dem Gesicht und versuche etwas ohne meine Brille zu entdecken. Betonung liegt auf Versuchen. Meine Augen sind einfach grottenschlecht.

Helle Sonnenstrahlen fallen durch den kleinen Spalt der dunklen Gardienen und lassen im dunklen Raum die Umrisse der Möbel erkennen. Mittlerweile konnte ich das Geräusch halbwegs im Zimmer ausmachen. Es kommt von Nyra-senpais Seite des Raumes. „Nyra-senpai... Dein Wecker...", genervt schaue ich weiter in ihre Richtung, bekomme aber nur ein Murren als Antwort. Mädchen, also wirklich. Ich verstehe nicht wie man einfach weiterschlafen bzw. weiterschlummern kann, obwohl der Wecker gleich neben dem Kopf steht.

Schwerfällig kämpfe ich mich aus meiner Bettdecke frei, in die ich mich immer über Nacht einwickle. Ehrlich gesagt habe ich nicht die geringste Ahnung wie ich es von Nacht zu Nacht schaffe zu einem menschlichen Burrito zu mutieren. Nachdem ich mich frei gekämpft habe, taste ich nach meiner Brille. Kurz scheppert es leise. Ganz toll. Jetzt habe ich sie auch noch vom Schreibtisch runtergefegt. Der Tag fängt schon mal gut an. Immer noch schlaftrunken tappe ich zu den Vorhängen und reiße sie zur Seite. Ohhhh, viel zu hell. Geblendet kneife ich meine Augen zusammen. Definitiv viel zu hell. Das findet auch meine Mitbewohnerin, die dies mit einem Knurren bestätigt. Vielleicht hätte ich die Gardienen nur etwas zur Seite ziehen sollen. Naja, hinterher ist man immer intelligenter.

Immer noch schlaftrunken tappe ich auf Nyra-senpais Schreibtisch zu und snooze endlich den Wecker. Keine Ahnung wo man ihn komplett ausschalten kann und wann er als nächsten Klingeln wird. Mit leeren Augen schaue ich zu Nya-senpai. Sie hat sich einfach auf die andere Seite gedreht und schläft weiter. Ganz ehrlich. Ich lasse sie einfach schlafen, weil aus dem Bett bekomme ich sie auf gar keinen Fall.

Erstmal duschen gehen und sich frisch machen, weil dazu hatte ich gestern Abend weder Zeit noch Lust. Ok Zeit vielleicht schon, aber ich war viel zu faul. Immerhin habe ich mir gestern Abend überlegt, dass ich heute Vormittag Zeit habe und außerdem wollte ich mich schon mal in meine neue Bibliotheksstelle einarbeiten. Yeah. In der Früh bin ich einfach überhaupt nicht motiviert. Ich hoffe die Dusche bringt meinen Kreislauf in Schwung, damit ich halbwegs ausstehlich bin.

Auf dem Weg zum Bad stelle ich Nyra-senpais Wecker in den Flur, damit sie gezwungen ist, aufzustehen und ihn auszuschalten, damit er nicht die ganze Zeit durchklingelt. Ich weiß, ich weiß. Das ist etwas gemein und vielleicht ignoriert sie ihn wieder, so wie vorher.

Im Bad ankommen, gehe ich erstmal duschen. Eigentlich ist ja eine kalte Dusche kurz nach dem Aufstehen sehr gesund, aber ich bin nun einmal ein Heißduscher, nicht Warmduscher, sondern Heißduscher. Wenn man nach mir das Bad betritt, ist es so als würde man eine finnische Sauna betreten. Ich habe schon mehrfach versucht die Temperatur langsam, aber sicher herunterzufahren, aber vergeblichst. Es ist mir einfach nicht möglich. Ich habe irgendwie immer gleich gefroren.

Nach der Dusche rubble ich mich etwas mit dem Handtuch ab und ziehe meinen Bademantel an. Meine Haare werden in einen Handtuchturban gewickelt. Während ich meine Zähne putze, dudelt Musik aus dem Radio. Irgendein amerikanischer Song, von dem ich aber den Namen nicht weiß, aber der mindestens zwanzig Mal pro Tag gespielt wird.

Gemächlich laufe ich zum Kleiderschrank und ziehe meine Klamotten für diesen Tag raus. Eine einfache Jeanshose, sowie ein lockeres T-Shirt und selbstverständlich auch Unterwäsche und Socken. Mein Weg führt mich wieder in unserem Schlafraum. Mittlerweile sitzt meine Mitbewohnerin im Schneidersitz und mit verwuschelten Haaren auf dem Bett. Das Handy hat sie in ihrer rechten Hand. „Nyra-senpai, wenn es für dich in Ordnung ist, würde ich schon einmal vorgehen und frühstücken. Danach treffe ich mich noch kurz mit meinem Bruder und esse mit ihm zu Mittag. Danach komme ich wieder hier her und lasse mich den ganzen Nachmittag in meine Stelle einarbeiten. Zum Abend gehe ich nach Hause, um dort zu essen. Ich denke, dass es spät wird und ich dann auch gleich Zuhause übernachten werde. Du brauchst also nicht auf mich zu warten." Während ich rede, hat die Drittklässlerin ihren Kopf gehoben und mir angespannt gelauscht, bevor sie schmunzelnd erwidert: „Klar, super. Danke für die Info, dann weiß ich Bescheid. Ach übrigens. Meinetwegen kannst du mich gern mal mit deinem heißen Bruder bekannt machen." Gegen Ende zwinkert mir sie zu.

Laut muss ich auflachen. Wie Nyra-senpai leibt und lebt. Durch diese eine Woche kenne ich sie mittlerweile so gut, dass ich unterscheiden kann, wann sie etwas ernst meint oder Spaß macht. „Aber sicher, wenn du willst, kannst du gleich mitkommen." Gegen Ende zwinkere ich diesmal ihr zu. Ihre Reaktion ist die Gleiche wie meine vorher. Sie lacht laut auf. Unterdessen habe ich mich umgezogen und bin nun dabei meine Haare zu kämmen und sie gleich anschließend zu einem Dutt zusammenzubinden.

Beim Rausgehen greife ich nach meiner Brille sowie einer kleinen Tasche, schlüpfe in meine Schuhe und verlasse unser Zimmer. Auf dem Weg nach unten begegne ich einigen Jungen, die ich freundlich grüße. Nach einer Woche haben sie sich an unsere Anwesenheit gewöhnt und man kann auch ganz vernünftig reden. Kurzum: Ich bin angekommen. Normalen Schrittes folge ich einigen Schülern, die auch in Richtung des Speisesaals sind und stelle mich in der Reihe an.

Während des Wartens beobachte ich die anderen Schüler, die eifrig hin und her laufen und laut miteinander schwatzen. Leicht lächle ich. Ich fühle mich wohl. Im Nachhinein bin ich froh mich für die Shiratorizawa entschieden zu haben und nicht die Aoba Johsei. Sicher, ich hätte meinen Bruder jeden Tag sehen und mit ihm und Iwa-san zusammen zur Schule laufen können. Aber ganz ehrlich: Mein Bruder ist super super lieb, aber auf Dauer wäre das mir einfach zu anstrengend gewesen.

Als ich an der Reihe bin, nehme ich mir eine Semmel, sowie heißes Wasser für einen Pfefferminztee und eine Butter. Dadurch, dass ich keine Japanerin bin, konnte ich mich bis jetzt noch nie mit einem traditionellen japanischen Frühstück anfreunden. Ich brauche einfach in der Früh eine Buttersemmel und einen Pfefferminztee. Mehr braucht es nicht, um mich glücklich zu machen. Mit meinem Tablett steuere ich einen leeren Tisch, der etwas abseits der Massen steht und lasse mich nieder. Der Teebeutel wird sogleich in der Tasse versenkt und ich langsam schneide ich die Semmel mit dem stumpfen Messer auf und bestreiche beide Hälften mit Butter.

„Ist hier neben dir noch frei?" Verwundert schaue ich auf. Während meiner Frühstücksroutine bin ich immer irgendwie neben der Spur und kaum ansprechbar. Vor mir steht ein großer Junge mit aschblondem Haar und braunen Augen. Ich bekomme keinen Ton raus. Wow. Ist der hübsch und er hat mit mir gesprochen. Moment! Er hat mit mir gesprochen!? Schnell Cire, was war seine Frage? Verdammt! Unsicher starre ich ihn immer noch an, bis ein knallendes Tablett rechts neben mir diese unangenehme Situation auflöst. „Klar ist neben ihr noch frei. Oder siehst du hier jemanden SemiSemi?" Neben mir steht in etwas gebeugter Haltung ein Junge mit roten Haaren und lächelt den anderen schelmisch an. SemiSemi oder wie er auch immer heißt, schnalzt mit der Zunge, bevor er den Typen anfährt: „Du sollst mich nicht so nennen Tendo!!! Und außerdem kann sie ja auf jemanden warten. Sei nicht immer so unhöflich und leg den Leuten Worte in den Mund." Ganz kann ich seiner Erklärung nicht folgen, weil, anstatt den anderen Typen hochzujagen, hat er sich gegenüber von diesem Tendo niedergelassen.

„Ach bevor ich's vergesse. Ich bin Tendo und das da ist SemiSemi. Wir sind im zweiten Jahr und wer bist duuuuuuuu?", gegen Ende seiner Frage verrenkt er sich ganz komisch und zeigt mit seinen zwei Zeigefingern auf mich. Etwas geschockt schaue ich ihn an. Normalerweise bin ich echt nicht auf den Mund gefallen, aber diese zwei schaffen es. Der eine, weil er einfach heiß ist und der andere, weil er auf den ersten Blick nicht von dieser Welt kommt.

„Jungs, müsst ihr mittlerweile Erstklässler terrorisieren?" Ein weiterer Junge mit dunklen Haaren und dunkler Haut lässt sich gegenüber von mir nieder, bevor er das Wort an mich richtet: „Hey, ich bin Reon. Freut mich dich kennenzulernen. Ich hoffe, dass dich meine Schwester nicht allzu sehr nervt. Sie kann manchmal echt anstrengend sein. Ist sie eigentlich schon aufgestanden oder ist sie immer noch am Pennen?" Während er spricht, muss ich lachen, aber gegen Ende verstummt es. Oh oh. Das gibt jetzt Ärger. Wummm. Gefolgt von einem lauten Knall und Reon-senpais verschmerzten Gesicht, lässt sich daraus schließen, dass Nyra-senpai seine Worte mitbekommen hat. SemiSemi, der neben dem kleinen Mitbewohner sitzt, zieht jetzt auch langsam, aber sicher den Kopf ein und schaut angestrengt auf seinen Frühstücksteller, um ja der wütenden Drittklässlerin keine Angriffsfläche zu liefern.

„Sag mal, geht's dir gut? Musst du mich eigentlich immer mies machen. Oh Mann, du bist kein Stück besser." Wütend und schnaufend, lässt sie sich neben ihrem Bruder nieder und stibitzt sich von seinem Teller ein Teil des Frühstücks. „Als Entschädigung." Ist nur ihre kurze Erklärung dazu. Verwirrt schaue ich nach rechts zu Tendo, aber der zuckt nur mit den Schultern. Anscheinend ist das ein ganz normaler Samstagmorgen beim Frühstück. Schweigend isst jeder sein Frühstück weiter, um keinen weiteren Wutausbruch von dem Mädchen zu provozieren. Während im Hintergrund die anderen Schüler sich angeregt unterhalten, herrscht an unserem Tisch absolute Stille wie bei einer Beerdigung. Gruselig. Einfach nur gruselig.

„Also Cire-chan, das habe ich dir vorher ganz vergessen zu sagen," Nyra-senpai schaut mich an, „ich wünsche dir selbstverständlich sehr viel Spaß heute. Ich hoffe dir gefällt die Stelle." Ich nicke, um ihr eine positive Antwort zu übermitteln, da ich gerade meinen Semmel* esse. Die fragenden Blicke der Jungs ignoriere ich.

Interessiert starrt mich Tendo von einer Seite an, als ob er versucht meine Gedanken zu lesen. Er wird in seinem Tun unterbrochen, indem Reon-senpai die entscheidende Frage in den Raum stellt: „Was für eine Stelle meint mein liebes Schwesterherz denn?" Schwesterherz? Meine Gedankengänge werden unterbrochen, als seine Schwester ihm eine Nackenschelle gibt: „Dummkopf! Nenn mich nicht immer mit Sarkasmus Schwesterherz!" Verärgert reibt er sich den Hinterkopf: „Das kannst du auch vernünftig sagen und mir nicht immer eine runtergeben. Das ist Misshandlung!" Entrüstet erwidert das ältere Mädchen: „Das ist doch keine Misshandlung. Das ist liebevoller geschwisterlicher Umgang." Der Zweitklässler murrt genervt: „Das sagst auch nur du." Bevor er mich erwartungsvoll anschaut.

„Ich habe mir vor ein paar Tagen auf die neue Aushilfsstelle hier in der Bibliothek beworben.." „Boah, das ist ja voll cool! Du und die alte Hanawaka?" Enthusiastisch schaut mich Tendo bei seiner Frage an. „Ja du hast recht. Ich finde sie eigentlich richtig nett. Ich hoffe, dass das auch noch länger so bleibt." Gegen Ende lache ich leicht und schiebe meinen Tee etwas hin und her. Die Volleyballjungs sind auf jeden Fall ganz anders, als ich sie mir vorgestellt habe.

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Kleine Schwestern sind die wahren Herrscher über das SpielfeldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt