Kapitel 2

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Gespannt und mit einem breiten Lächeln bin ich durch meine Zimmertür getreten. Vor mir erstreckt sich ein circa sechs Meter langer und zwei Meter breiter Flur. In die Wände sind unterschiedliche Türen eingelassen. So wie diese aussehen, scheint es sich um eine Badzimmer- und zwei normale Türen zu handeln sowie die Türen von eingelassenen Schränken.

Neugierig, wie ich nun einmal bin, öffne ich sämtliche dieser Türen. Hinter der ersten befindet sich, wie schon vermutet, ein sehr geräumiges Badezimmer mit sage und schreibe zwei Waschbecken und oh mein Gott, kann das wirklich sein? Eine Regendusche! Ich bin im Paradies. Zuhause bei Mom, Dad und Tōru wollte ich wenigstens für das Badezimmer von Tōru und mir so einen Regenduschenkopf bekommen. Mom war sofort Feuer und Flamme, Dad war es so ziemlich egal, hauptsache er kann ihn leicht einbauen und Tōru... der wollte natürlich nicht. "Was sollen nur meine Freunde von mir denken Cire?" hat er zu diesem Zeitpunkt beleidigt und mit aufgeblasenen Backen erwidert. Schade eigentlich. Aber immerhin habe ich hier eine.

Glückselig und doch ein wenig dümmlich vor mich her grinsend, verlasse ich wieder das Badezimmer und inspiziere den Raum, der sich hinter der normalen Tür befindet. Eine kleine Küche mit einem Tisch und vier Stühlen; während das Bad in anthrazit grau gehalten wurde, haben sich wahrscheinlich die Inneneinrichter gedacht, dass dieses Farbschema auch in der Küche weitergeführt werden sollte. Gott sei Dank gibt es sowohl im Badezimmer, als auch in der Küche ein Fenster, sodass man stoßlüften könnte oder im Sommer, der übrigens in Sendai immer sehr heiß wird, alle Fenster aufreißen kann, damit überhaupt ein kleines Lüftlein durch das kleine Apartment ziehen kann.

Nachdem ich nun auch die Küche inspiziert und mit einem kurzen Blick hinein verlassen habe, begutachte ich die Schränke, welche meiner Mitbewohnerin und mir als Kleiderschränke beziehungsweise Verstaumöglichkeiten dienen sollen. Wie ich darauf komme, dass ich eine Mitbwohnerin habe? Nun, das ist ganz simple. Es gibt einfach zu viele Schüler; rund zwei- bis dreitausend im Durchschnitt. Das wären einfach zu viele einzelne Wohneinheiten, die benötigt werden. Also muss man einfach die Schüler zusammenlegen und aus ihnen Mitbewohner machen. Warum Mitbewohnerin und nicht Mitbwohnerinnen? Ganz einfach. Auf die Shiratorizawa, egal ob jetzt Mittelschule, Oberschule oder Universität, geht nur die Elite. Die Elite, die sich ihren Platz durch das Bestehen einer der schwierigsten Aufnahmeprüfungen geschafft hat oder durch den Topf an unterschiedlichsten Stipendien, auf die natürlich jeder hofft, geschafft hat.

Dieser Elite kann man es einfach nicht "zumuten" sich zu dritt oder gar zu viert in ein Zimmer zu quetschen. Wissenschaftler wurden extra von der Shiratorizawa beauftragt, herauszufinden, ob die Leistung der Schüler darunter leidet, wenn dauerhaft mehr als zwei Schüler sich ein Zimmer teilen. Die klare Antwort lautete: Ja! Mittlerweile ist die Studie schon über einige Jahre alt, aber die Führungskräfte der Schule möchten diesem Konzept treu bleiben. Nun, nachdem ich genug Gedanken daran verschwendet und euch mit unnötigen Einzelheiten genervt habe, setze ich meine Tour fort, laufe den Flur runter und betrete den Raum, der sich ganz am Ende, hinter der zweiten normalen Tür, verbirgt.

Wahnsinn. Es handelt sich wirklich um ein kleines Apartment. Der Raum ist ungefähr so groß, wie unser Wohnzimmer Zuhause. Hier muss ich aber anmerken, dass unser Zuhause eine 600 qm große Klein-Villa ist und dementsprechend die Räume sich dieser Größe anpassen. In meinem neuen Zuhause, für das nächste Jahr, befinden sich zwei große Kingsize-Betten mit beiger Bettwäsche, zwei große Eckschreibtische mit einer Glasplatte und Edelstahlbeinen, sowie einem sehr großen Spiegel, der sich über eine gesamte Zimmerwandlänge erstreckt. Zusätzlich hängt an der einen Wand noch ein großer Flachbildfernseher und davor steht eine kleine Eckcouch, auf der aber locker sieben Personen Platz hätten, wobei man die Anzahl aber noch auf neun strecken könnte. Einfach unglaublich. Ehrlich gesagt bin ich etwas geflasht. Ich hätte etwas einfacheres erwartet, so etwas wie ein normal großes Zimmer mit einem Stockbett. Wir haben sogar einen riesigen Flachbildfernseher! Einen Flachbildfernseher!

Neugierig trete ich etwas weiter in den Raum ein. Auf den zweiten Blick sehe ich erst, dass das eine Bett mit dem Schreibtisch schon besetzt ist. Einen Koffer kann ich allerdings nicht erblicken; wahrscheinlich hat sie ihn schon ausgepackt. Desweiteren befindet sich eine große lila-weiße Sporttasche auf ihrem Schreibtisch. Von der Größe her würde ich sagen, dass es sich um eine Volleyballtasche handelt; das heißt sie muss Volleyball spielen. Oft genug bin ich ja über Tōru's Tasche im Flur Zuhause gestolpert, um mich damit auszukennen.

Ehrlich gesagt hoffe ich, dass sie ganz nett ist und wir gut miteinander auskommen. Um jetzt nicht noch weiter tatenlos auf das Bett und den Schreibtisch meiner neuen Mitbewohnerin zu starren, gehe ich gemächlich auf meine Seite des Raumes zurück und parke meinen Koffer erstmal vorläufig am Fußende meines Bettes. Für's Protokoll nochmal: Meines Kingsize-Bettes! Anschließend lege ich, genauso wie meine Mitbewohnerin, meine Sporttasche auf den Schreibtisch. Für mich wurden hier schon Böcke zum Schreiben mit dem offiziellen Schulwappen beigelegt, die ich für das gesamte Schuljahr nutzen kann. Neben diesen offiziellen Böcken befinden sich auch normale, sowie diverse Fineliner.

Nanu. Da liegt ja ein kleiner Zettel. Neugierig streiche ich mir meine braunen Locken aus dem Gesicht, dass die aber auch immer nerven oder stören müssen, und falte den Zettel gespannt auseinander.

>>Hei meine Süße,
ich hoffe dir geht's gut und du bist auch gut angekommen :)
Ich bin nur schnell bei meinem kleinen Bruder, um zu gucken, wie es ihm geht oder ob er schon wieder mit seinen Freunden irgendeinen Mist verzapft hat :p
Wenn du willst, kannst du schon mal deine Klamotten in den Wandschrank einsortieren. Der ganz auf der rechten Seite ist deiner; links davon ist meiner. Nochmal links davon kannst du deinen Koffer zu meinem stellen und ganz am Ende (oder am Anfang, je nach Blickwinkel ;)) kannst du deine Jacke verstauen.
Bin so schnell wie möglich wieder zurück, dann kümmern wir uns um alles Organisatorische, wie Klassenzimmer, Uniform und Clubs und ich zeig dir den gesamten Campus, damit du mir nicht verloren gehst ;)
LG deine neue Mitbewohnerin
PS. Nicht wundern, sollte eigentlich nur ein kurzer Brief werden, aber naja, siehst ja selbst xD<<

Wow. Es kommen mir gleich drei Sachen in den Sinn.
1. Warum werde ich eigentlich immer Süße genannt? Sogar Tōru hat mich als >>Süße<< in seinem Handy eingespeichert.
2. Sie scheint wirklich sehr nett und zuvorkommend zu sein. Das wird sicher der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
und 3. Sie scheint sehr viel zu reden, aber das ist überhaupt kein Problem für mich.

Vom Wesen her bin ich ruhiger und auch eher der Zuhörertyp. Da ist es immer ganz praktisch, wenn du jemanden hast, der sehr gern und sehr viel mit einem redet. Aber ganz wichtig! Ich rede nur nicht so gern. Wenn man zuhört, lernt man so viel über Menschen. Sie mögen es vielleicht nicht merken, aber Leute, die viel reden, sind berechenbarer und auch meistens in ihrer Persönlichkeit einfach gestrickt. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel.

Langsam ziehe ich mein Handy aus meiner Hosentasche und checke noch einmal meine Nachrichten. Zeit habe ich ja zu genügend. So wie es sich angehört hat, schätze ich, dass meine Mitbewohnerin noch etwas länger braucht. Wahrscheinlich hat sie ihren Bruder und seine Freunde zusammengestaucht und sich auf dem Rückweg mit einer Freundin oder jemand anderen verschwatzt. So würde ich sie nämlich einschätzen.

Genervt rolle ich mit meinen Augen. Mein Bruder hat mir schon wieder geschrieben. Sollte er nicht eher trainieren, als mir zu schreiben? Ich kann mir wirklich bildhaft vorstellen, wie er, während er mir schreibt, von Iwa-san mit einem Volleyball am Hinterkopf getroffen wird, sich zu seinem besten Freund umdreht und mit seiner Kleinkind-Stimme erwidert: "Aber Iwa-chan, warum immer so brutal?" Hach, das wäre so typisch mein Bruder mit seinem besten Freund. Ehrlich gesagt hätte ich am Anfang, als die Familie Oikawa mich adoptierte, nie gedacht, dass er mich als seine kleine Schwester akzeptieren würde.

Ihr müsst euch mal in seine Lage versetzen. Bis zu diesem Zeitpunkt war er immer der Star der Familie und von jetzt auf gleich wurde er durch ein ein Jahr jüngeres Mädchen ersetzt. Und nun steht sie im Mittelpunkt der Familie, hat kein wirkliches Hobby oder ist in etwas besonders gut ist und du danebenstehst und ein gewonnenes Volleyballspiel nach dem anderen vorweisen kannst. Ist wahrscheinlich im ersten Moment schon sehr frustrierend.

Aber ich glaube, dass er sich immer eine kleine Schwester gewünscht hat und somit leicht in die Große-Bruder-Rolle schlüpfen konnte. Dieses Jahr ist das vierte, welches ich bei meiner Familie verbringe. Eigentlich habe ich die gesamte Mittelstufe nur bei meinem Dad in Tokyo gelebt, weil ich schon vor der Adoption ein Stipendium einer sehr guten Mittelschule erhalten habe. Außerdem war schon zu diesem Zeitpunkt das neue Schuljahr angebrochen, sodass Mom und Dad beschlossen haben mich dort für diese drei Jahre zu lassen.

Der Hauptsitz von Dad's Firma befindet sich nämlich in der Hauptstadt und diese hatte einen ganz bestimmten wichtigen Auftrag an Land gezogen, den Dad dort vor Ort bearbeiten sollte. Deshalb haben Dad und ich zusammen die letzten drei Jahren in Tokyo gelebt und sind Mom und Tōru in den Ferien in Miyagi besuchen gegangen. Die meiste Zeit davon sind mein Bruder und ich zusammen mit Iwa-san um die Häuser gezogen. Natürlich wollten die beiden mir auch Volleyball beibringen, aber schlussendlich ist es immer im Wettkampf zwischen den beiden ausgeartet, sodass ich gerade einmal die Grundlagen gelernt habe, sprich baggern, blocken, pritschen und spiken. Mein Zuspiel sowie meine Angriffe sind grauenhaft schlecht, dafür habe ich aber ein Händchen für den Aufschlag bewiesen. Iwa-san meinte, dass mein Aufschlag genauso gut, wie der von Tōru ist, wenn nicht sogar besser und das hat sogar mein Bruder zugegeben. Zwar etwas widerwillig, aber immerhin hat er es am Ende zugegeben. Die haben dann noch irgendwas von Aufschlagsass gemurmelt, aber ehrlich gesagt keine Ahnung, was es mit diesem Begriff auf sich hat.

Schnell antworte ich Tōru, dass ich gut angekommen bin und nur noch auf meine Mitbewohnerin warte, die mir den Campus zeigen möchte. Geflissen ignorierend schreibe ich ihm nicht die Tatsache, dass mein Zimmer im Jungenwohnheim ist, da er sonst gleich seinen Großen-Bruder-Beschützerinstinkt auspackt. Ich finde das ja ganz süß, aber manchmal ist es auch sehr nervig und anstrengend.

Während ich ihm schreibe, kann ich laute Stimmen auf dem Flur vernehmen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich das nächste Jahr keinesfalls langweilen werde. Meinen Koffer habe ich auch schon entspannt ausgepackt, meine Klamotten in den Schrank gehangen beziehungsweise gelegt und ihn auch schon verräumt. Fehlen jetzt nur noch meine persönlichen Gegenstände, die sich in meiner Sporttasche befinden. Diese stelle ich auf meinen Schreibtisch.

Auf einmal wird die Zimmertür aufgerissen und ich höre eine laute Mädchenstimme, die in den Hausflur brüllt: "Wag es ja nicht noch einmal! Wenn ich in zwei Stunden wiederkommen, dann will ich weder davon noch etwas sehen, geschweige denn etwas davon riechen!" Mit einem lauten Rumms wird die Tür ins Schloss geworfen und ein sehr aufgebrachtes Mädchen tritt in mein Sichtfeld. Sie seufzt. Das muss also meine neue Mitbewohnerin sein.

(1.830 Wörter)

Kleine Schwestern sind die wahren Herrscher über das SpielfeldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt