Kapitel 5

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Mittlerweile ist schon eine ganze Woche an der Shiratorizawa vergangen und so langsam aber sicher finde ich hier meinen Platz. Am ersten Schultag ist eigentlich nichts mehr großartig Spannendes passiert. Nachdem Matsumato-sensei die komplette Anwesenheitsliste durchgegangen ist, wurden noch viele organisatorische Dinge geklärt, die uns nicht vorab in den zahlreichen Briefen mitgeteilt wurden.

Beispielsweise wurde uns eine komplette Liste mit sämtlichen Clubs gegeben, von denen wir uns einen raussuchen sollten. Es fing beim Sport mit den Basketball-, Fußball,- Baseball,- oder Volleyballclub an und hört beim Filme- und Technikclub auf. Ein riesiges Pensum in dem man sich erstmal orientieren muss. An der Shiratorizawa musst du mindestens einem Club beitreten. Ehrlich gesagt möchte ich in keinem Sportclub Mitglied sein, sondern mir eine andere Aktivität suchen.

Zusätzlich habe ich es irgendwie geschafft Klassensprecherin und Schülersprecherin zu werden. Fragt mich bitte nicht wie ich das mit meiner introvertierten Art geschafft habe. Matsumato-sensei wollte unbedingt am ersten Tag noch die Klassensprecher wählen lassen. Es haben sich einige Mädchen und Jungs aufstellen lassen, die sich schon aus der Mittelschule kannten. Shirabu-san war unbedingt der Meinung mich auch vorschlagen zu müssen und ich konnte das nicht mal wirklich abwehren, weil meine neue Klassenlehrerin gleich den Namen an die Tafel geschrieben hat. Nachdem alle aufgestellt wurden, mussten wir alle noch eine kleine Rede halten, die meinige konnte die anderen anscheinend so überzeugen, dass sie mich zur Klassensprecherin wählten.

Zwei Tage später wurden unter den Klassensprechern noch die Schülersprecher gewählt. Wieder einmal musste jeder eine kurze Rede halten. Wieder war ich unter den drei Rednern, die anscheinend am besten die Interessen der Schüler vertreten können und wurde in den Schülerrat aufgenommen. Für mich war das eine Premiere. Ich war weder Klassensprecherin noch Schülersprecherin jemals bevor. Außerdem hatte es bisher noch nie eine Erstklässlerin geschafft als Schülersprecher aufgenommen zu werden. Aber bekanntlich gibt es immer ein erstes Mal.

Mit dem anderen Klassensprecher komme ich sehr gut zu recht. Sein Name ist Yoshimuri Takahiro. Hiro-san ist sehr aufgeschlossen und hat überhaupt kein Problem damit, dass ich nicht wie er auf der Shiratorizawa Mittelschule war. Außerdem hat er sich sehr für meinen schulischen Werdegang interessiert und warum ich von Tokyo nach Sendai gezogen bin. Das habe ich ihm erklärt, was er sehr interessiert verfolgte.

Seine große Schwester ist Mitglied im japanischen Olympiateam des Eiskunstlaufens, was ich sehr interessant finde und mir jedes Jahr sämtliche Meisterschaften im Fernsehen anschaue. Der Name Yoshimuri kam mir deshalb von Anfang an so bekannt vor; er ist auch in Japan ein verbreiteter Familienname. Yoshimuri-senpai habe ich nur einmal ganz kurz auf einem landesweiten Wettkampf vor zwei Jahren kennengelernt, als ich ein Ticket für einen Wettkampf ergattern konnte. Selbstverständlich habe ich etwas gefangirlt, aber ich meine vor mir stand die beste japanische Eiskunstläuferin der letzten zehn Jahre.

Wir haben dann auch noch über das Training im Allgemeinen gesprochen, da er früher, als er kleiner war, sehr gern zugesehen hat. Dabei hatte er einen so kindlichen Ausdruck im Gesicht, als er vom Training seiner Schwester erzählte, dass mir immer noch das Herz aufgeht. Ich glaube, dass ich seine neue beste Freundin geworden bin. Zusammen sind wir zur Bibliothek gelaufen, um noch Klassensprecherkram zu erledigen. Auf dem Weg dorthin hat er mir alles über dein Hobby erzählt. Das Baseballspielen. Mit seiner Position als Batter* hat er mir sehr viel über die verschiedenen Pitcharten** aufgeklärt. Er war sofort in seinem Element und ich wollte ihn nur ungern unterbrechen, obwohl mir sämtliche Spielzüge bekannt sind. Scheinbar hat er dann aber doch mitbekommen, dass ich mich ein bisschen in dieser Sportart auskenne und mich auch gleich zum Training eingeladen. Jetzt bin ich mir etwas unsicher, ob ich wirklich dieses Angebot annehmen soll, da die Jungs, auf die ich ganz am Anfang beim Wohnheim gestoßen bin, mich auch als Managerin anwerben wollten.

Aber die große Frage war dann immer noch für welchen Club ich mich entscheiden soll. Durch die Wahlen bin ich so oder so häufig bei verschiedenen Schulveranstaltungen eingespannt. Beim Durchblättern der Broschüre ist mir aufgefallen, dass sie noch jemanden zur Unterstützung des Bibliothekats-Teams suchen. Dafür bin ich perfekt geeignet. Ich liebe Bücher über alles, außerdem ist es eine ruhige Tätigkeit, bei der ich auch dann Zeit habe, etwas für die Schule zu erledigen.

Nachdem Hiro-san und ich alles klären konnten, habe ich gleich meine Bewerbung bei der Bibliothekarin abgegeben. Sie hat sich richtig gefreut und mich erstmal eine ganze Stunde in Beschlag genommen, um mir ihr Leid zu klagen, dass sich immer weniger Schüler für Bücher interessieren, die den Horizont erweitern. Dies hat mich etwas gewundert, weil das hier eine Eliteschule ist, aber Hanawaka-sensei meinte, dass sich die Schüler nur noch für den nötigsten Stoff interessieren und sich selbst eher weiniger weiterbilden wollen. Das kommt auch daher, dass viele hauptsächliche ein Sport- oder anderweitiges Stipendium bekommen haben und nicht die schwierigen Aufnahmeprüfungen bestehen mussten. Ihrer Meinung nach sollten sämtliche Stipendien abgeschafft werden und nur das Wissen und die Leistung im Vordergrund stehen.

An dieser Stelle muss ich aber auch anmerken, dass Hanawaka-sensei eine reifere Dame mit grauen Haaren ist und noch die Lehrmethoden der alten Schule bevorzugt. Früher hat sie sogar selbst an der Shiratorizawa Oberschule unterrichtet, und zwar die Fächer Biologie und Mathematik. Nyra-senpai hat mir dann am Abend noch ein paar andere Einzelheiten von ihr erzählt. Sie soll drei Söhne haben, von denen einer ein einflussreicher Immobilienmakler in Tokyo ist, ein anderer ist Professor für Quantenphysik an einer Universität in Osaka und der letzte Sohn soll unter dem Druck der Familie zusammengebrochen und Selbstmord begangen haben. Anstatt aus den Fehlern zu lernen und Kinder nicht mehr unter Druck zu setzten, wurden ihre Enkelkinder auch sehr streng erzogen. Sie besuchen verschiedene Internate auf der ganzen Welt und müssen mindestens vier Sprachen sprechen können. Ich verstehe nicht, wie man jemanden so unter Druck setzt. Sollte die Familie einen lieber nicht unterstützen, egal welchen Weg man einschlägt? Na Prost Mahlzeit, wenn da mal auf einem Familientreffen ist oder die neue Freundin oder den neuen Freund vorstellen muss.

Das waren meine ersten beiden Tage. An den anderen haben wir schon gleich mit dem Unterrichtsstoff begonnen. Was soll ich sagen? Ich bin froh in den Ferien schon etwas vorgelernt zu haben. Es wurde nichts altes mehr von der Mittelschule wiederholt, sondern direkt mit den neuen Themen durchgestartet. Die Lehrer sind sehr sehr nett, aber auch sehr streng. Mein Gefühl sagt mir, dass sie zu Hiro-san und mir etwas zuvorkommender sind, da wir Klassensprecher beziehungsweise Schülersprecher sind. Irgendwie ist das total oberflächlich, aber beklagen möchte ich mich auch nicht, da die anderen sich auf ihren Stipendien ausruhen. Ihr fragt euch sicher, warum die Stipendien so oft erwähnt werden? Ganz einfach, weil denjenigen, die keins haben, es auch regelmäßig unter die Nase gerieben wird. Ich hoffe ehrlich, dass es sich im Laufe des Schuljahres noch ändern wird.

Im Moment sitze ich mit Nya-senpai und ein paar anderen aus dem Mädchenvolleyball zusammen und genießen das schöne Wetter. Ein kleines unscheinbares Mädchen aus meiner Klasse namens Cheng Qian ist als neue Erstklässlerin beigetreten. So normal im Unterricht wäre sie mir nie aufgefallen, weil sie echt unauffällig ist, aber durch Nyra-senpai sind wir aufeinander aufmerksam und beide jetzt schon beste Freundinnen geworden. Qian-chan ist genauso wie ich nicht ursprünglich in Japan geboren worden, sondern in China. Ihr Vater ist der Liebe und geschäftlich letztendlich nach Japan zu seiner zweiten Frau gezogen. Seine erste Frau, die auch gleichzeitig die Mutter von Qian-chan ist, starb bei der Geburt. Einige Jahre später hat er seine zweite Frau kennengelernt und auch geheiratet. Qian-chan kennt nur sie als ihre Mutter und die beiden sind ein unglaublich tolles Mutter-Tochter-Gespann.

Aufgrund dessen, weil unsere Geschichten sich in gewissen Punkten ähneln, kommen wir sehr gut miteinander aus. Aktuell zeige ich ihr auch einige Kniffe im Volleyball, damit sie schnell Stammspielerin auf der Position des Zuspielers werden kann. Das wird aber noch ein ganzes Stück Arbeit, weil Aino-senpai die aktuelle Stammzuspielerin ist und Qian-chan gleich am Anfang klar gemacht hat, dass sie sich auf gar keinen Fall die Position wegnehmen lassen will. Zusätzlich haben Nyra-senpai, meine neue beste Freundin und ich beschlossen nicht zu sagen, dass mein Familienname Oikawa ist, sondern den Fehler der Lehrer mit dem Namen Kawa zu lassen. So habe ich meine Ruhe vor sämtlichen Mitschülern, die entweder Fangirls sind oder die Jungs, die gern Taktiken erfahren möchten oder sonst irgendwie neidisch auf meinen Bruder sein könnten.

Qian-chan meinte, dass sie mit Aino-senpai schon eine Vorgeschichte von der Mittelschule hat. Die beiden haben schon dort um die Position des Zuspielers konkurriert, aber in Qian-chans zweitem und Aino-senapis drittem Jahr, musste letztere die Posten abgeben und war nur noch Auswechselspielerin. Das scheint ihr schon sehr schwer im Magen zu liegen, da sie bei jeder sich passenden Gelegenheit zugreift, um die Jüngere egal in welcher Weise runterzumachen. Und was macht Qian-chan? Gar nichts. Sie lächelt nur ganz leicht vor sich hin, bis ich sie gefragt habe, warum sie sich nicht wehrt. Ihre Antwort hat mich ehrlich gesagt etwas überrascht. "Keine Sorge Cire-chan. Natürlich wehre ich mich, aber auf meine Weise, und zwar auf die richtige Weise. Ich werde nächstes Jahr ihre Position übernehmen und das Jahr darauf einen besseren Abschluss als sie haben. Das ist für mich Genugtuung genug. Außerdem hat sie das letzte Schuljahr gerade so bestanden und hängt jetzt nach einer Woche schon mit dem Stoff hinterher. Sie wird definitiv nächstes Jahr wiederholen und somit in unserem Jahrgang sein. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als sie ihren Abschluss gemacht hat und von ihren super strengen Eltern vor sämtlichen Mitschüler schlecht gemacht wurde, weil ihre Noten unter dem Gesamtdurchschnitt aller Absolventen waren. Das hat mir vollkommen gereicht."

Wow. Daraufhin war ich erstmal etwas sprachlos. Sie kann echt gemein sein, aber recht hat sie ja auch. Solche Leute schaffen es früher oder später immer sich selbst ins Aus zu katapultieren. Wenn man ganz oben ist, kann man sehr schnell sehr tief fallen und der Aufprall ist hart. Verdammt hart. Und zum Schluss bereuen sie es, dass sie ihre ganze Energie in andere investiert haben und nicht in sich selbst. Ich kann es einfach nicht leiden, wenn man andere Menschen schlecht machen muss, die vielleicht nicht in die Norm passen. Aber wer gibt eigentlich die Norm vor? Ganz einfach. Irgendwelche Kosmetikfirmen oder Konsumfirmen, die dir einreden wollen, dass du nicht hübsch bist oder den Idealen der Gesellschaft entsprichst. Aber niemand denkt daran, dass diese Normen vielleicht nicht richtig, sondern falsch sind. Sei es nun die äußeren oder inneren Werte, die von jeder Person versucht werden zu manipulieren.

Und gerade Aino-senpai verkörpert dieses Ideal. Immer künstliche und/oder lackierte Fingernägel, immer optisch gut aussehen und hergerichtet sein. Muss das nicht auf Dauer belastend sein, immer gut auszusehen. Was nützt dir das beste Aussehen, wenn du einen hässlichen Charakter hast. Klar, auf den ersten Blick möchte man gern mit dir was zu tun haben, aber wenn man dich näher kennenlernt, dann erscheint deine Optik nicht mehr so makellos. Sie bekommt Risse. Und ob du dann wirklich glücklich bist, ist wieder eine andere Frage.

*Batter = Typ, der den Baseballschläger schwingt
**Pitcharten = wie man den Baseball werfen kann; hier geht es eher um die Flugbahn des Balls

(1.858 Wörter)

Kleine Schwestern sind die wahren Herrscher über das SpielfeldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt