Kapitel 9

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Nach dem Mittagessen mit den Jungs bringen sie mich noch zur Shiratorizawa. Obwohl Tōru diese Oberschule überhaupt nicht leiden kann, ist er trotzdem mitgekommen. Vor dem Eingang verabschiede ich mich von den dreien. Wir werden uns später eh nochmal sehen. Jedenfalls Tōru, Takeru und ich. Gemächlich schlendere über den Campus. Es sind einige Oberschüler zu sehen, die auch ihre freie Zeit nutzen oder noch bei ihren Clubaktivitäten sind. Jedenfalls ist hier noch ein ordentlicher Betrieb.

Bei der Bibliothek angekommen, bekomme ich von Hanawaka-sensei meine Einweisung. Spätestens jetzt fühle ich mich wie Gwen Frost. Heute ist relativ wenig los auf den Gängen. Seien wir einmal ehrlich. Wer kommt an einem Freitag in die Bibliothek, es sei denn am Montag ist eine wichtige Abgabe? Im Prinzip ist meine Aufgabe ich Bücher, die von anderen Schülern ausgeliehen werden ins System einzugeben und die zurückgebrachten Bücher wieder einzusortieren. Natürlich muss ich bei etwaigen Fragen auch antworten können. Hanawaka-sensei ist nicht immer da, deshalb brauchen sie jemanden, der sie in ihrer Abwesenheit ersetzt. So im Nachhinein hört es sich für mich an, dass sie nur eine günstige Aushilfe suchen, weil ich als Schülerin werde nicht bezahlt, da die Arbeit in der Bibliothek als Clubaktivität angesehen wird. Für nächstes Jahr muss ich definitiv nach einem anderen Club Ausschau halten. Weil ich habe deutlich mehr Arbeit als die anderen Schülern in ihren Clubs.

Während ich die Bücher einsortiere, denke ich über Aino-senpai nach. Irgendwie bin ich über sie als Person zwiegespalten. Auf der einen Seite kommt sie mir unglaublich arrogant und gemein rüber, was auch teils von Qian-chan beeinflusst ist, auf der anderen Seite scheint sie auch ganz nett zu sein und ich würde gern auf meinen Bruder hören. Ich bin hin- und hergerissen. Am besten sollte ich ihr eine Chance geben, um mir meine eigene Meinung bilden zu können. Das hat sie verdient. Das hat jeder verdient. Mir würde es auch nicht gefallen, wenn man mich gleich verurteilt und keine Chance gibt mich zu beweisen. Aufgrund meines Aussehens denken viele Japaner, dass ich kein japanisch kann oder hier zur Schule gehe, aber das ist nicht wahr. Ich bin zwar im Ausland geboren, aber seit meiner Kindheit hier und identifiziere mich selbst als Japanerin. Ich bin hier zum Kindergarten gegangen, in die Grundschule und hab das ganze Paket Schulsystem Japan mitgenommen. Was kann man mehr erwarten?. Meine ursprüngliche Staatsbürgerschaft habe ich mit Moms und Dads Hilfe niedergelegt und die japanische angenommen. Nun bin ich sogar auf dem Papier eine echte Japanerin. Jetzt muss ich nur noch als eine anerkannt werden.

Nach getaner Arbeit strecke ich mich erstmal. Dabei knackt mein Rücken. Da scheine ich aber einige Verspannungen zu haben. Schnell packe ich meine Sachen zusammen und gehe aus dem Gebäude. Tōru wird sicher schon auf mich warten. Wir haben uns 17.30 Uhr verabredet und ich bin jetzt schon zehn Minuten zu spät. Hoffentlich konnte er sich so lange beschäftigen und jammert nicht den ganzen Heimweg rum. Hat ihn immerhin niemanden gezwungen mich abzuholen.

Vor dem Eingang erblicke ich ihn. Lässig lehnt er an der Mauer und tippt etwas auf seinem Handy rum. Wahrscheinlich hat er sich gerade ein Volleyballspiel der letzten Saison angeschaut und teilt nun seine Taktik Iwa-san mit. Er ist immer voll in seinem Element. Bei ihm angekommen, reiße ich ihn aus seinen Gedanken: „Naaaa, können wir los?" Brummend bekomme ich nur als Antwort: „Hast dir ganz schon Zeit gelassen Kleine." Oh da ist ja einer schlecht gelaunt?

„Warum so schlechte Laune Bruderherz? Was für eine Laus ist dir in der Zwischenzeit über die Leber gelaufen?" Schmunzelnd kreuze ich meine Arme hinter meinem Rücken und laufe rückwärts, während ich gespannt auf eine Antwort warte. „Ushiwaka", knurrt nur der Braunhaarige und ballt dabei seine Faust. Warum kann er nicht darüberstehen? Muss wirklich ich diejenige sein, die immer Vernunft walten lassen muss? Wie kann ein Mensch nur so engstirnig sein?

Sanft nehme ich seine Faust in meine Hand und drücke diese. Er soll sich nicht immer so auf Ushiwaka einschießen. Das ist nicht gut für ihn. „Komm schon Bruderherz. Dieses Wochenende mal kein Ushijima Wakatoshi ok? Ich möchte ein entspanntes Wochenende, wo ich mir um nichts Gedanken machen will und ausspannen kann. Das würde dir zur Abwechslung auch mal gut tun." Lachend hacke ich mich bei ihm unter und ziehe ihn weiter. Mir doch egal, wenn er schlechte Laune hat. Ich lass mir den Abend nicht durch irgendeinen Volleyball Spieler von meiner Oberschule versauen.

Nach einigen Metern hat sich nun auch mein Bruder ausgeschnappt. Inzwischen hat er meine Tasche geschultert und sein anderer Arm liegt um meine Schulter. Gemeinsam schlendern wir zu dem Haus unserer Eltern. Hoffentlich sieht uns nicht eins seiner Fangirls, weil dann werde ich meines Lebens nicht mehr sicher sein. Letzten Sommer haben wir im Park mit Iwa-san ein bisschen Volleyball gespielt. Ich wollte nach einem Spiel etwas für uns drei zu trinken kaufen und wurde von einem Mädchen von der Seite angelabert, was mir denn einfallen würde ihrem Herzblatt so nah zu sein. Als Antwort hat sie nur eine hochgezogene Augenbraue und ein: „Ich bin mit Iwa-san befreundet und will nichts von deinem Herzblatt; keine Sorge." bekommen. Beleidigt ist sie auf dem Absatz umgedreht und davongedackelt. Versteh' einer diese Mädchen. Als ich den Jungs die Situation geschildert habe, konnten sie sich gar nicht mehr vor Lachen einkriegen. Schließlich hat Iwa-san den Arm um meine Schulter gelegt und in bester Großer-Bruder-Manier-Stimme gesagt: „Daran wirst du dich noch gewöhnen müssen. Diese Aasgeier sind überall. Nimm dich bloß vor ihnen in Acht. Am Besten du lässt dich mit Shittykawa gar nicht mehr in der Öffentlichkeit blicken." Ich bewundere die Freundschaft der Jungs. So eine bedingungslose Loyalität; einfach beeindruckend. Ich hoffe, dass ich das mit Qian-chan auch irgendwann haben werde.

Zuhause angekommen, schließe ich erstmal das Gartentor auf. Das Haus unserer Eltern ist im westlichen Stil gehalten, da meine Mutter diese Häuser mit ihren Vorgärten so schön findet; vor allem die Einfamilienhäuser aus Deutschland haben es ihr angetan. Hier uns schließt Tōru wieder ab. Ich weiß gar nicht, warum wir immer auf- und zuschließen, da der weiße Holzzaun nur einen Meter hoch ist und man bequem drübersteigen könnte. Im Haus ziehen wir im Eingangsbereich unsere Schuhe aus und stellen sie ordentlich nebeneinander. „Unsere Eltern kommen erst spät zurück. Sie sind heute bei einem Dinner mit Freunden und wollten im Anschluss noch in die Oper. Was willst du essen?" Gute Frage, was möchte ich essen? „Haben wir noch diese Ramenpackungen da? Weil dann könnten wir drei von ihnen machen und jeweils ein Ei für jeden von uns reinschlagen?" Normalerweise hat mein Bruder eine eiweißreiche Ernährung, weil die irgendwie gut für den Muskelaufbau ist. So ganz habe ich da noch nie durchgeblickt.

Lächelnd antwortet mein Bruder: „Das ist eine gute Idee. Lass es uns später gemeinsam vorbereiten. Ich muss jetzt erstmal noch das Video vom letztjährigen Volleyballspiel anschauen. Da bin ich vorher beim Warten nicht ganz fertig geworden. Du kannst in der Zwischenzeit deine gebrauchte Wäsche ins Badezimmer bringen, dann können wir uns morgen darum kümmern. Dein Bettzeug müsstest du noch beziehen. Mutter hat das noch nicht gemacht, weil sie nicht wusste welche Bettwäsche du haben willst. In der Zwischenzeit kannst du noch duschen gehen. So wie ich dich kenne, wirst du nur frisch geduscht mit frischem Schlafanzug ins frisch bezogene Bett gehen."

„Da ist ganz schön viel frisch in deinem Satz drin", leicht kneife ich ihm in die Seite, „du hast aber recht. Ich gehe erstmal duschen. Vorher beim Büchereinsortieren habe ich etwas geschwitzt und es ist ein Muss bei einem neu bezogenen Bett vorher zu duschen und einen frischen Schlafanzug anzuziehen." Gemeinsam setzen wir unseren Weg ins erste Obergeschoss fort. Tōru gibt mir meine Tasche, während er in sein Zimmer geht, lege ich die Tasche vor die Badezimmertür und hole mir neue Klamotten aus meinem Zimmer, um endlich duschen gehen zu können.

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Kleine Schwestern sind die wahren Herrscher über das SpielfeldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt