Kleine Schwestern sind die wahren Herrscher über das Spielfeld

Kapitel 3

Etwas verblüfft schaue ich das Mädchen vor mir an. Sie ist ganz klar älter als ich; ich schätze sogar, dass sie im letzten Jahr ist. Ehrlich gesagt habe ich nicht gedacht, dass sie so temperamentvoll ist. Ok ja, bei einem kleinen Bruder muss man sich vielleicht eher durchsetzen, als wenn man eine kleine Schwester hat, aber dass sie so viel Temperament hat, damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet.

Etwas entschuldigend schaut sie mich an, bevor die Oberschülerin auf mich zukommt und mir ihre rechte Hand entgegenstreckt. Leicht mustere ich sie. Sie besitzt dunkelbraue Haare, die an den Enden leicht gewellt sind und vom Typ her hat sie die Bräune wie die Bewohner aus Osaka und den südlicheren Gegenden. Zusätzlich ist sie ca. 5 cm größer als ich, also ungefähr 175 cm. Für eine Volleyballspielerin die perfekte Größe.

Lächelnd strecke ich auch ihr meine Hand entgegen: "Hi, ich bin Oikawa Cirella, schön dich kennenzulernen. Ich schätze mal, dass du meine Mitbewohnerin bist und dass somit der Brief von dir stammt." Mit meiner anderen Hand halte ich besagten Brief nach oben und warte auf ihre Reaktion.

Während ich mich vorgestellt habe, hat sie mein Gesicht gemustert und anschließend sind ihre Augen zu dem Brief geschwankt. Nun lächelt sie mich breit an. "Das ist richtig. Freut mich auch dich kennenzulernen. Ich bin Ōhira Nyra."

Verwirrt runzle ich meine Stirn. Ōhira. Wo habe ich den Namen schon mal gehört? Ja klar! Tōru hat ihn mal erwähnt und zwar in Zusammenhang mit der Shiratorizawa. Oh Mann. Mein Gedächtnis ist ein Sieb, wenn es um's Thema Volleyball geht. Kommt vielleicht daher, dass mein Bruder Iwa-san nicht ständig damit nerven kann, da dieser ihm sonst wieder eine Nackenschelle verpasst, sondern stattdessen mich damit zutextet. Es interessiert mich nicht einmal und wirklich verstehen, tue ich diese Sportart auch nicht. Meine persönliche Meinung dazu ist, dass es einfach nur langweilig ist. Klar, wenn du selbst spielst, ist es wieder etwas anderes, aber wenn du mit dem Sport überhaupt nichts am Hut hast und stattdessen nur Zuschauer bist, ist es nun mal langweilig. Bei dem was ich dann doch noch so halbwegs mitbekommen habe, gibt es bei den Regeln überhaupt keine Grauzonen. Das ist doch dann voll langweilig! Naja, soll mir recht sein. Sie müssen ja schließlich diese Sportart ausführen und nicht ich.

Wo war ich gerade nochmal? Ōhira; genau! Stammspieler bei der Shiratorizawa und die Position war glaub ich Außenangreifer? Kein Plan; wirklich! Während ich langsam wieder aus meinen Überlegungen rauskomme, merke ich wie auch mein Gegenüber mich mustert und in Gedanken ist, bis sie schließlich nochmal das Wort an mich richtet: "Hast du gerade Oikawa gesagt? Bist du etwa mit diesem König Oikawa, dem Setter von der Seijoh verwandt?"

Ihre Stirn ist immer noch gerunzelt, als ob sie meinen Bruder und mich in Gedanken nebeneinanderstellt und nach äußerlichen Gemeinsamkeiten sucht. Viel Spaß, weil da wirst du sicherlich keine finden. Um ihre Frage zu beantworten, lächle ich noch breiter: "Genau Ōhira-san. Er ist mein Bruder, aber bitte lass das König weg, weil sonst fliegt er schon wieder in irgendwelchen Sphären."

Zum Schluss zwinkere ich ihr zu, was ihren Gesichtsausdruck wieder erhellen lässt und fahre fort: "Du kannst mich ruhig Cire oder Elli nennen. Das ist kein Problem für mich. Bei Oikawa muss ich immer an meinen Bruder denken und ich fühle mich nicht angesprochen. Zudem stehen ja seine und meine Schule im Volleyball ständig in Konkurrenz zueinander und das wird mir dann auch zu viel. Aber sag mal Ōhira-san... Dein Bruder spielt doch auch Volleyball und ist sogar Stammspieler nicht wahr? Sein Name ist doch Ōhira Reon?"

Interessiert schaue ich sie an und sie nickt mir als Bestätigung zu: "Das ist richtig. Ōhira Reon ist sein Name und ja er ist Stammspieler im Team." Sie lächelt selig vor sich hin. Es ist schön zu sehen, dass Liebe zwischen Geschwistern unerschütterlich ist. Klar streitet man sich ab und an, das ist bei Tōru und mir genauso, aber letztendlich schafft man es doch immer sich zusammenzuraufen und zueinanderzustehen.

Plötzlich unterbrich Ōhira-san meine Gedanken: „Du kannst mich aber auch Nyra nennen. So nennt mich jeder seit einem Jahr an der Schule, weil auch mein Bruder eben sofort Stammspieler geworden und somit von allen nur Ōhira-san genannt wird, weil alles andere ihm zu formal ist. In dieser Hinsicht ist er extrem locker."

Leicht muss ich auf ihre Aussage hin lächeln. Wir scheinen uns auf den ersten Blick ziemlich ähnlich zu sein. Jede von uns möchte nicht unbedingt sofort auf ihren Bruder angesprochen werden.

„Sehr gern. Dann bin ich ab sofort Cire für dich Nyra-senpai."

Etwas unentschlossen, was ich ihr noch sagen sollte, wippe ich schon wieder auf meinen Zehenspitzen herum. Immer wenn ich etwas unsicher bin, kompensiere ich dies dadurch und treibe Tōru damit regelmäßig in den Wahnsinn, woraufhin er sicher immer bei Iwa-san mit seiner Kleinkindstimme ausweint. Jedes Mal, wirklich jedes Mal, schlägt sein bester Freund ihn als Antwort darauf. Die beiden sind wirklich so goldig zusammen. Man muss sie einfach gern haben.

„Hast du eigentlich schon ausgepackt? Weil sonst hätte ich gesagt, dass wir erstmal deine Sachen abholen und ich dir am Besten ein bisschen den Campus zeige", Nyra-senpai legt ihren Kopf leicht schief.

Kopfschüttelnd antworte ich ihr: „Noch nicht alles, aber das kann ich auch heute Abend erledigen. Es läuft mir ja nicht weg und außerdem ist es nur noch eine kleine Tasche."

Auf meine Aussage hin heben sich die Mundwinkel des älteren Mädchens, bevor sie mich am Arm packt, hinter sich her zieht und schließlich, nachdem wir auf dem Hausgang stehen, bei mir unterharkt: „Dann komm! Ich muss dir so viel zeigen Cire-chan. Am besten wir fangen bei den Sporthallen an, da müsste wahrscheinlich noch nicht so viel los sein. Als nächstes ist dann der Außenbereich dran. Zum Schluss zeige ich dir das Schulgebäude mit der Bibliothek, deinem Klassenzimmer und dem Sekretariat, wo wir noch deine Uniform abholen."

Während mich Nyra-senpai so zutextete, konnte ich gerade noch so die Tür hinter uns zuziehen und nun stehen wir schon außerhalb des Wohnheims. Unbarmherzig schleift sie mich hinter sich her Richtung Sporthalle, wie ich zuvor erfahren habe.

Zwischendurch grüßt sie immer mal wieder verschiedene Schüler, die zurückgrüßen und mich auch teils mitleidig anschauen. Ehrlich gesagt bekomme ich gar nicht so recht mit, was die ältere Schülerin mir ohne Punkt und Komma erzählt; dazu bin ich einfach von den ganzen vielen neuen Eindrücken geflasht.

Ehe ich mich versehen konnte, stehen wir schon vor der Tür zur ersten Sporthalle. Nyra-senpai scheint ihren Monolog unterbrochen zu haben. Anscheinend habe ich mich doch in ihr getäuscht. Wir sind uns nun mal so gar nicht ähnlich. Wie es aussieht, scheint sie sehr gern, sehr viel und sehr schnell zu reden. Ich bin eher der Zuhörer-Typ. Eigentlich die perfekte Kombi, wenn man so will. Aber mit Sicherheit kann ich jetzt schon sagen, dass ich so einige Male abschalten werde, weil es mir doch zu viel wird.

Die Drittklässlerin reißt mich aus meinen Überlegungen: „So, hier wären wir. Das ist die kleinste Sporthalle von allen. Hier trainiert die Mädchenvolleyballmannschaft. Ich weiß nicht, ob ich es bereits erwähnt habe, aber ich bin die Kapitänin. Spielst du eigentlich Volleyball?"

Neugierig schaut sie mich an. Wow. Im Vergleich zu vorher, als wir uns kennengelernt haben, besitzt sie jetzt eine komplett andere Persönlichkeit. Sie scheint, wie soll ich es jetzt am diplomatischsten formulieren, wechselnde Stimmungsschwankungen zu haben. Sehr große Stimmungsschwankungen wohlgemerkt.

„Ähm nein. Eigentlich nur, wenn mein Bruder eine neue Taktik ausprobieren will und sein bester Freund nicht kann oder wenn er insgesamt drei Spieler für einen neuen Spielzug benötigt, dann muss ich auch herhalten. Normalerweise bin ich Eiskunstläuferin, nur ist das im Sommer ein bisschen schwieriger. Vor allem wenn es dann so heiß ist, werden die Eishallen nicht weiter gekühlt. Der Energieverbrauch ist zu hoch und die Kosten sind für die Betreiber der Hallen nicht mehr tragbar."

Geschockt sieht sie mich an: „Wie, du spielst kein Volleyball? Aber Oikawa ist doch dein Bruder?!"

Gequält lächle ich sie an: „Jaja, der ist schon mein Bruder, aber irgendwie finde ich Volleyball voll langweilig, also als Zuschauer und zum Spielen habe ich einfach keine Lust." Etwas hilflos zucke ich mit den Schultern. Keine Ahnung, wie ich es am besten beschreiben soll, aber diese Sportart interessiert mich einfach nicht. Gott sei Dank nickt Nyra-senpai verstehend, bevor wir zusammen die Halle betreten. Wow. Einfach nur wow.

In der Halle trainieren ein paar Mädchen Volleyballübungen, unterbrechen diese aber nachdem sie uns bemerkt haben und kommen schließlich lachend und neugierig auf uns zu. Vor uns kommen sie zum Stehen. Wie es aussieht, scheinen sie noch nicht allzu lang zu trainieren, da sich bisher noch kein Schweiß auf ihrer Stirn angesammelt hat.

Ein Mädchen mit kurzen blau gefärbten Haaren mustert mich, bevor sie an Nyra-senpai das Wort richtet: „Ist das unser neues Mitglied? Boa, Wahnsinn Nyra-san. Wie schafft du es immer nur so schnell jemand Neues ins Team zu holen? Für nächstes Jahr musst du mir auf jeden Fall dein Geheimnis verraten." Gegen Ende des Satzes zwinkert sie der Drittklässlerin zu. Wie es scheint, ist sie wohl ab nächstem Jahr der neue Kapitän. Meiner Meinung nach ist ihre gute Laune nur gespielt. Mein Gefühl sagt mir, dass sie eine arrogante Schnepfe ist. Sie kann das sehr gut kaschieren. Wenn es hart auf hart kommt, dann fährt sie auf jeden Fall ihre Krallen aus. Jede Wette. Mein Gefühl hat mich bisher noch nie enttäuscht. Ehrlich gesagt, weiß ich noch gar nicht, was ich später werden möchte. Für meinen Bruder Tōru ist es klar: Professioneller Volleyballspieler.

Nyra-senpai schüttelt amüsiert den Kopf: „Nein, tut mir leid dich enttäuschen zu müssen Aino-san, aber Cire-chan hat kein Interesse daran Volleyball zu spielen. Aber vielleicht kann ich sie im Laufe des Jahres davon überzeugen unsere Managerin zu werden." Entsetzt schaue ich sie an. Managerin?! Habe ich das gerade richtig verstanden? Auf gar keinen Fall! Hat sie mir vorher nicht zugehört?

Bei meinem entsetzten Gesichtsausdruck lacht Nyra-senpai herzlich auf: „Keine Sorge Cire-chan. Das war nur ein kleiner Scherz. Ich stell dir erstmal alle Mädels vor, damit du, wenn du dich auf dem Campus verläufst, auf meine Mädels zurückgreifen und sie fragen kannst."

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