Nachdem ich beim Frühstück Nyra-senpais neue Mitbewohnerin kennengelernt habe, unterhielten wir uns noch ein bisschen über sie und die Schwierigkeiten, die allgemein Erstklässler am Anfang an der Shiratorizawa haben. Freunde zu finden ist echt nicht leicht und vor allem wenn man von einer Schule von außerhalb kommt. Du bist automatisch ein Außenseiter und musst dich von Anfang an beweisen und über drei Jahre weiterhin beweisen, dass du es wert bist hier zu sein.
Später kam noch Ushijima-san hinzu, hat stillschweigend sein Frühstück gegessen und sich von Tendo-san die Ohren vollquatschen lassen. Wie die beiden als Freunde zusammengefunden zu haben, ist immer wieder verwunderlich. Die beiden sind wie Sonne und Mond, so unterschiedlich, aber doch eins.
Nachdem wir mit dem Frühstück fertig waren, machten wir uns als gesammelte Mannschaft zusammen zu den Hallen auf und wärmen uns gerade auf. Beim Aufwärmen scheiden sich auch die Geister. Manche sagen man soll sich vor dem Spielen aufwärmen, andere danach. Coach Washijō lässt uns gegen Ende des Trainings noch immer 100 Aufschläge machen, ein kurzes Dehnen danach und erst dann dürfen wir das Training beenden.
Für das heutige Aufwärmen hat er sich etwas ganz Besonderes ausgedacht, um uns zu quälen, Den sogenannten Levellauf. Auf einer Strecke von normalerweise 20 Metern, bei Coach Washijō 25 Metern, müssen wir hin- und herlaufen. Hört sich am Anfang nicht besonders spektakulär an, aber ein akustisches Signal gibt die Geschwindigkeit an, mit der wir die 25 Meter laufen müssen. Von Level zu Level wird das Tempo angezogen und durch die fünf Meter mehr, ist es anstrengender als normal. Insgesamt gibt es 21 Level, die wir komplett durchrennen müssen.
Im Moment spiele ich unseren aktuellen Stammspielern zu. Dieses Jahr muss ich meine Leistung einfach nochmal steigern. Nächste Woche wird die Entscheidung gefällt, wer für dieses Jahr im Team ist und wer als Ersatzspieler die Bank hüten darf. Für die Position des Zuspielers gibt es im Moment zwei Personen. Shirabu-san und mich. Und ich kann einfach nicht gegen einen Erstklässler verlieren. Das wäre nicht richtig. Außerdem war ich letztes Jahr der Ersatzspieler, der immer eingewechselt wurde, wenn es brenzlich geworden ist oder wenn die Situation auf dem Spielfeld zu angespannt ist, insbesondere nach einem langen Ballwechsel. Immer wenn ich dann das Feld betrete, ist die angespannte Spannung förmlich greifbar. Die Spannung und auch die Erwartungen liegen auf deinen Schultern ganz allein. Wenn du dann auch noch den Aufschlag tätigen musst, willst du selbstverständlich nicht versagen. Du enttäuschst dann nicht nur dein Team, sondern auch dich selbst. Hauptsächlich dich selbst aber.
Mittlerweile spüre ich wie mir der Schweiß an den Schläfen herunterläuft. Der Coach weiß echt wie er jemanden zum Schwitzen bringt und wenn er gegen Ende des Trainings feststellt, dass du noch relativ gut in Form bist, musst du nochmals 100 zusätzliche Aufschläge machen. Finger spreizen und den Ball auf den Punkt zu spielen. Immer und immer wieder. Die Wucht mit der Ushijima-san und Reon die Volleybälle schmettern, ist einfach nur beeindruckend. Meine sind zwar jetzt auch nicht schlecht, aber diese beiden sind nochmals um Längen besser. Und Tendo-sans Blocks sind auch einschüchternd. Er kann seine Gegner genauestens analysieren und somit erscheint es, als ob er ihre Gedanken lesen kann. Einfach nur beängstigend.
„Semi deine Zuspiele sind einfach nur schlecht. Ōhira, da schmettert ja meine alte Mutter besser und Ushijima das nennst du einen Aufschlag? Was ist nur heute los mit euch? Seid ihr von allen guten Geistern verlassen? Bald fangen die ersten Spiele an und ihr wollt auch zur Meisterschaft. Du da hinten... Ja du Erstklässler... Das nennst du den Ball baggern? Ich kann dich auch ganz einfach wieder aus dem Team werfen. Strengt euch mal an!" Coach Washijō in seiner Höchstleistung. Manchmal erinnert er mich an Rumpelstilzchen, der fuchsteufelswild hin- und herspringt. Das beschreibt ihn im Moment ganz gut. Das macht er solange bis er sich was im Rücken verzieht und das Training von der Bank leiten muss. Oder Coach Saitō springt ein; manchmal kann er dem Coach den Wind aus den Segeln nehmen, aber leider ist das nicht immer möglich.
Mit gemächlichen Schritten läuft Reon auf mich zu und gibt mir einen neuen Ball in die Hand. Normalerweise sollen uns die Erstklässler den Ball zuwerfen, aber die üben auf der anderen Seite der Turnhalle Aufschläge und weitere Basics wie baggern und pritschen. „Der Coach scheint ja wieder eine Laune zu haben. Am besten wir reißen uns für die nächsten zwei Stunden zusammen und zeigen ihm, dass wir das beste Team der Präfektur sind." Verstehend nicke ich und nehme den neuen Ball an. Keine Ahnung welche Laus ihm über die Leber gelaufen ist, aber er schafft es wirklich von Mal zu Mal unsere Leistung zu steigern. Am Anfang kommt man überhaupt nicht mit ihm klar, aber nach einer Weile hat man sich daran gewöhnt und wieder eine Weile später muss man sich eingestehen, dass der alte Mann mit allem Recht hatte. Leicht schüttle ich meinen Kopf, sodass mir meine Haare ins Gesicht fallen. Der alte Sack. So jemandem wie dem Coach bin ich noch nie begegnet.
Leicht muss ich etwas lächeln, als ich an das Mädchen von heute Vormittag denke. Nyra-senpais neue Mitbewohnerin. Eine echte Schönheit. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie sie noch sämtlichen Jungs an der Schule den Kopf verdrehen wird. Als ich sie so am Tisch ganz allein gesehen habe, bin ich mit etwas offenem Mund stehengeblieben. Natürlich musste Tendo-san das sofort mitbekommen, ist gleich auf sie zumarschiert und hat sich am Tisch niedergelassen. Um nicht wie der letzte Vollidiot dazustehen, habe ich mich selbstverständlich dazugesetzt. Ihr ganzes Erscheinungsbild war einfach überwältigend. Durch ihr europäisches Aussehen fällt sie sofort auf, die großen blauen Augen, die langen braunen Locken und ihre Brille, die ihr immer etwas von der Nase rutscht, wie ich während des Frühstücks mitbekommen habe. Zusätzlich ist sie mit ihren 170 cm größer als die anderen Mädchen und überragt diese um circa einen halben bis einen ganzen Kopf.
Sie war echt hübsch, aber ich denke, dass ihr großer Bruder zum Problem werden könnte. Wenn man so eine Schwester hat, möchte man sie auf jeden Fall vor allen erdenklichen Gefahren beschützen. Ich würde höchstwahrscheinlich an seiner Stelle auch nicht anders reagieren. „Semi, du scheinst heute etwas abgelenkt zu sein." Ushijimas tiefe Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Wie soll ich es ihm genau erklären? Er ist nicht völlig gefühlskalt, aber auch nicht, dass er sich gut in andere hineinversetzen kann. Kurz bevor ich etwas darauf erwidern kann, ergreift Tendo-san das Wort und säuselt in Ushijima-sans Richtung: „Unser lieber SemiSemi ist verliebt und zwar in Nyra-neechans neue Mitbewohnerin. Ach diese hübsche kleine Erstklässlerin. Aber Wakatoshi stell dir vor, sie wusste nicht wer wir sind und für Volleyball hat sie sich auch nicht mal unbedingt interessiert. Ist das denn zu glauben?" Gegen Ende reißt er schockiert seine Augen auf.
Na super, jetzt ist die Katze aus dem Sack. Hoffentlich bekommt der Coach nichts von dieser Unterhaltung mit, denn sonst würde er mir eine Predigt halten, dass man sich auf keinen Fall von irgendwelchen Nebensächlichkeiten ablenken lassen soll. Ushijima-san sieht mich verwundert an. Ja ich bin auch nur ein Kerl, der gern hübsche Mädchen anschaut und auch vielleicht ein bisschen mit ihnen flirtet. Kann er ja nicht kennen; für ihn gibt es nur Volleyball. Seine einzige und große Leidenschaft. „Naja, solange es dich nicht vom Training abhält, soll es mir recht sein." Gegen Ende nickt er uns nur noch einmal kurz zu und verlässt unsere Unterhaltung, um weiter seine Aufschläge zu üben. Der Typ ist echt eine Maschine.
Leicht schlage ich Tendo-san gegen seinen Oberarm: „Was soll der Scheiß? Willst du vielleicht dem ganzen Team erzählen, dass ich mich für ein Mädchen interessiere? Außerdem wie kommst du überhaupt darauf, dass ich auf sie stehe?" Angesäuert schaue ich meinen Teamkameraden an, „und wie oft muss ich dir noch sagen, dass du mich nicht immer SemiSemi nennen sollst!" Mit schräg gelegtem Kopf blickt mir Tendo-san direkt in die Augen. Ich bin so froh nicht sein Gegner zu sein, sondern mit ihm zusammen auf derselben Spielfeldseite zu stehen. Auf keinen Fall möchte ich jemals in der Haut des Gegners stecken müssen. „Na, das ist doch ganz einfach. So wie du sie die ganze Zeit beobachtet hast und kaum deine Augen von ihr lassen konntest. Es war schon beinahe gruselig. Und du hast sie verschiedene Sachen gefragt. Du fragst sonst Mädchen so gut wie nie was." Oh wow. Seine analytischen Fähigkeiten sind unglaublich. Er ist einfach unser Guess Monster. „Tja, was soll ich sagen? Sie ist einfach anders und das gefällt mir." Ich zucke mit den Schultern. Was soll ich noch großartig zu dem Thema sagen?
„Tendo! Semi! Einhundert zusätzliche Aufschläge und zehn Runden um den Campus für's Quatschen!" Coach Washijō donnernde Stimme übertönt sogar sämtliche Geräusche in der Halle. Ein paar unserer Mitspieler unterbrechen kurz ihr Training, um uns etwas mitleidig zu mustern, wenden sich aber gleich wieder ihrer Beschäftigung. „Und zwar sofort!" Leicht genervt sehe ich den Tendo-sans Richtung. Etwas schuldbewusst zieht er seinen Kopf ein. „Komm schon Tendo, bevor wir noch mehr machen müssen."
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Kleine Schwestern sind die wahren Herrscher über das Spielfeld
FanfictionTauche ein in das neue Leben von Cirella (OC) an der Shiratorizawa Oberschule. Wird sie ihren Platz schnell finden. Mit wem wird sie neue Freundschaften schließen? Oder wird sie gar ihre große Liebe finden? Und vor allem wie steht sie zum Elitevolle...