~Kapitel 4~

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Coriolanus Snow

Heute war es soweit. Heute würde der erste Teil der 26. Hungerspiele stattfinden. Die Ernten. Wie letztes Jahr durften Frauen und Männer aus dem Kapitol sich Tribute "kaufen". Sie erfüllten die Rolle der Mentoren. Es war weitaus einfacher, als Schüler und Schülerinnen das Amt der Mentoren zu überlassen. Die Spiele hatten sich verändert, vor allem nach dem recht erfolgreichen Jubel-Jubiläum. Die Tribute bekamen seit den 11. Hungerspielen Uniformen. Daran war er selbst vermutlich nicht ganz unschuldig, nach seiner Rattengift-Aktion, die nicht sonderlich gut ankam. Außerdem mussten die Tribute nicht mehr im Zoo übernachten, sondern in kleinen Zimmern. Auch gab es jetzt Punktzahlen zwischen eins und zwölf nach einem Training, damit sich die Bürgerinnen und Bürger mehr unter den Tributen vorstellen konnten. Die Interviews würden bleiben. 

Hoffentlich waren dieses Jahr nicht so viele 12-jährige Tribute wie in den 22. Spielen dabei. Ansonsten würden die Spiele erfolglos sein. Niemand sah gerne jungen Tributen beim Sterben zu. 

Coriolanus zog sein weinrotes Hemd an. Als er den letzten Knopf geschlossen hatte, klingelte es an der Tür. War das Tigris? Eigentlich waren sie doch für heute Abend verabredet. Schnell lief er aus seinem Zimmer hinaus auf den Flur. Er öffnete die Tür, doch Tigris war es nicht. ,,Shane. was tust du hier?" ,,Dich abholen, ist das nicht offensichtlich?" War das gerade ihr Ernst? ,,Hör zu, ich weiß nicht, was du dir unter unserer Beziehung vorstellst, aber es wird hier nichts ohne Absprachen geben!" ,,Was reagierst du denn so über? Sei doch einfach etwas spontaner!" ,,Ich? Überreagieren? Ich mag es nun mal, wenn Sachen geplant sind, nicht unüberlegt."
1Shane blickte ihn vorwurfsvoll an. ,,Können wir dann langsam los?" ,,Jetzt, wo du schon hier bist, können wir das tatsächlich." 

Coriolanus zog seine schwarzen Schuhe an. Als er fertig war, nahm er den Schlüssel von seiner Kommode. ,,Hast du nicht etwas vergessen?" Sie blickte ihn erwartungsvoll an. Was sollte er denn vergessen haben? ,,Ich denke, ich habe alles, was ich brauche." Shane schnaubte verärgert. ,,Sie bekommt eine weiße Rose, da kanntest du sie kaum, und ich? Ich bekomme nichts?" ,,Du musstest ja auch nicht in der Arena um dein Leben kämpfen und dabei Leute umbringen!" ,,Du bevorzugst also Mörderinnen?" ,,Das hat jetzt überhaupt nichts mit dem Thema zu tun! Ich entscheide, wann ich wem Rosen schenke!" Ihr Streit war lauter geworden, hoffentlich hatten seine Nachbarn von unten nichts mitbekommen.

 Coriolanus zog die Tür zu und schloss ab. Was bildete Shane sich über ihre eintägige Beziehung ein? Er schob sie auf Seite und begann, schnell die Treppen herunterzugehen.  ,,Coriolanus, warte!" Er seufzte. Coriolanus blieb stehen, um auf Shane zu warten. ,,Es tut mir leid. Vielleicht warten wir noch mit den Rosen." Er nickte. ,,Gut." Wie er sie hasste. Aber er musste dadurch. Für seinen Ruf. Ohne einen guten Ruf kam man im Kapitol nicht weit. 

Gute fünfzehn Minuten später waren sie in der Akademie. In einem der Saale würden die Schüler und Schülerinnen die Ernten sehen, in dem anderen versammelten sich die Spielmacher und Spielmacherinnen. in der Eingangshalle tummelten sich viele Menschen. Auf einmal nahm Shane seine Hand. Coriolanus zog sie ruckartig weg.

,,Was wird das hier?", zischte er. Shane zerrte ihn mit zu einem der großen Fenster. ,,Coriolanus, wir sind zusammen, finde dich damit ab." ,,Du weißt, dass ich dich dafür hasse?" ,,Ja, aber du kannst es nicht riskieren, mit mir Schluss zu machen, es sei denn, du willst, das Panem von deinem Verrat an den Plinth-Jungen erfährt."
,,Weißt du was, meinetwegen erzähl es doch jedem." ,,Sicher? Weiß Gaul eigentlich von deinem Mord an Highbottom?" Coriolanus starrte sie an. ,,Ich weiß nicht, wie du davon erfahren hast." Shane lächelte. Coriolanus warf ihr einen wütenden Blick zu. Wortlos nahm er ihre Hand. Gemeinsam gingen sie zu ihrem Saal.

Wie er Händchen halten hasste. Sie waren doch keine Teenager mehr. Es war einfach nur schwachsinnig und kindisch. Wie er Shane hasste.

Isadora Coral Baird

Isa wachte auf, als sie vom Baum fiel. Es war nicht sonderlich angenehm, schließlich war der Boden nicht sonderlich weich.

Sie brauchte einen kurzen Moment, um sich zu orientieren. Ihrem Kreislauf ging es auch schon einmal besser. Kein Wunder, sie hatte seit gestern Mittag nichts mehr gegessen, geschweige denn getrunken. Vorsichtig rappelte sie sich auf. Ein paar schwarze Punkte begannen, vor ihren Augen zu tanzen. Isa beschloss, sie zu ignorieren.

Nach einer gefühlten Stunde sah sie einen Zaun. Zäune kannte sie. Schnell rannte sie auf den Zaun zu. Ein leises Sirren ging von ihm aus. Isa wusste nicht, was das bedeutete, aber ihr Verstand sagte ihr, dass sie dem Zaun lieber nicht zu nahe kommen sollte.

Also rannte sie zurück. Nach kurzer Zeit kam sie an das Ende des Zaunes, scheinbar stellte man ihn gerade auf.

Und ein Zaun bedeutete Menschen. Neugierig lief Isa auf den erdigen Weg. Er führte an wenigen Häusern vorbei. Isa rannte voller Adrenalin los. Es war so riesig, so viel! Vor allem wurde der Weg immer fester, was wohl daran liegen musste, dass auch die Zahl der Hütten zunahm. Wenn dort überall Menschen drin lebten, war das hier ja eine riesige Stadt. Da war es hoffentlich nicht allzu schwer, ihren Pa ausfindig zu machen. Sie musste nur ein paar Leute fragen, oder in die Mitte der riesigen Stadt rennen.

Als Isa einen kleinen Jungen sah, der hinter ein Zelt verschwand, bekam sie einen erneuten Adrenalinkick. ,,Hey, wer bist du?", fragte sie den kleinen Jungen. Sie hatte keinen blassen Schimmer wie alt er war, aber definitiv jünger. Es war lustig, mit jemandem zu sprechen, der oder die nicht ihre Ma war. Der kleine dürre Junge sah sie verschreckt an. ,,Was willst du von mir? Ich kann dichvnoch nicht gezogen werden.", wisperte er. Gezogen? Isa stand völlig auf dem Schlauch. Doch bevor sie den Jungen fragen konnte, was er damit meinte, schrie jemand hinter ihr.

,,Weg da! Weg von meinem Jungen!" Isa fuhr erschrocken herum. Eine Frau mit dunkler und verdreckter Haut sowie kohlschwarzen Haaren kam wütend auf sie zu. Isa sprang auf. Es gab nur eine Möglichkeit: Rennen. Das tat sie. Hinter das Zelt, zwischen Hütten. Einfach nur weg. Ihr Herz raste. Was stimmte nicht mit dieser Frau. Warum hatte sie so geschrien? Isa rannte weiter.

Irgendwann kam sie zu einem Platz. Es waren so viele Leute. Isa schnappte nach Luft und zuckte zusammen. Es waren so unglaublich viele. Und sie sahen alle gleich aus. Alle waren schmutzig, standen in Blöcken und hatten dunkle Haare.

,,Herzlich Willkommen, ich bin Janine Restelo, die diesjährige Escort für Distrikt 12. Fröhliche Hungerspiele!"
Distrikt 12? Hungerspiele? Auf einmal zeigten zwei große Männer auf sie. Sie sahen anderes aus, mit ihren weiß-bläulichen Uniformen und Helmen.

Warum kamen sie auf sie zu? Isa beschloss, wieder wegzurennen. Ihr war das Ganze nicht geheuer. Sie rannte los, in eine der Gassen. ,,Haltet das Mädchen!", brüllte eine männliche Stimme hinter ihr. Und ihm nächsten Moment warf sich jemand von hinten auf sie. Isa ging mit einem Schrei zu Boden. Ihre Knie und ihr Bauch brannten von dem harten Aufprall.

,,So, du bleibst schön hier." Der Mann stand auf und zerrte sie nach oben.
,,Lass mich los!" ,,Duzen wir uns schon, oder was?" Grob wurde Isadora Coral zu dem großen Platz geschubst. Besonders sanft waren sie nicht dabei. Alle starrten sie an. Irgendwie lief das alles nicht so, wie sie wollte.

,,Scannt sie." Auf einmal bekam Isa etwas in den Arm gestochen. ,,Autsch, was soll das?" ,,Keine Daten." Die Männer besprachen sich kurz. Dann zerrten sie sie nach oben, auf die Tribüne. Die Frau vom Anfang blickte sie verwirrt an. ,,Sie hat keine Daten. Sie geht definitiv." Die Frau nickte. Auf einmal hielt sie Isa einen schwarzen Gegenstand vors Gesicht. ,,Stell dich vor! Name, Alter." ,,Hallo? Huch, ich bin auf einmal so laut. Äh, ich bin Isadora Coral Ba-" Irgendetwas in Isa warnte sie, nicht ihren richtigen Namen zu sagen. ,,Beffery. Ich bin fünfzehn Jahre alt." ,,Unsere weibliche Tributin aus Distrikt 12: Isadora Coral Beffery! Und der männliche Tribut ist: Lecan Kethu!" Ein Junge aus einem Block trat zitternd hervor. Isa musterte ihn. Er war vielleicht ein bisschen älter als sie.

Coriolanus Snow

Das Mädchen aus 12. Irgendwie seltsam. Blonde Haare? Er wusste ja nicht so recht. Der Junge sah kräftig aus, wärend das Mädchen wirkte, als würde sie gleich zusammenklappen. Außerdem löste ihr Name etwas in ihm aus. Was, das wusste er noch nicht.

𝐒𝐡𝐚𝐝𝐨𝐰𝐬 𝐨𝐟 𝐈𝐧𝐧𝐨𝐜𝐞𝐧𝐜𝐞    𝓢𝓱𝓪𝓭𝓸𝔀𝓼 𝓸𝓯 𝓘𝓷𝓷𝓸𝓬𝓮𝓷𝓬𝓮Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt