Kapitel 9: Tag 366 - With nowhere else to go

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Stimmengewirr liegt in der Luft. Der Lärmpegel steigt unaufhörlich. Leider kann ich von meinem Standpunkt nichts Genaues erkennen. Greg, der einen halben Kopf größer als alle anderen sind, könnte vielleicht etwas erkennen. „Kannst du etwas sehen Greg?" Gespannt schaue ich zu ihm auf. Ich will mir nicht die Blöße geben und springen, um etwas erkennen zu können. Das dürfen sehr gern die anderen übernehmen. „Hmm nicht viel. Warte noch ein bisschen", Greg brummt mehr, als dass er wirklich mit mir spricht.


Von weiter vorne kann ich Albys Stimme vernehmen. Er möchte vom Frischling wissen, warum schon wieder ein neuer hier auf der Lichtung ist. Das ist mal wieder typisch. Warum ist Alby dem Neuen so unfair gegenüber?


„Hey, was ist denn los Alby?" Irgendjemand aus der Menge ruft in ihren Streit rein. Unser Anführer brüllt nur, dass wir alle endlich die Klappe halten sollen. Schließlich ergreift Newt das Wort: „Es ist ein Mädchen." Seine Stimme ist dabei ganz ruhig. Im Kontrast dazu schwillt das Stimmengewirr wieder an und alle reden wild durcheinander. Ein Mädchen? Das heißt ich werde nicht mehr allein hier sein? Kurz teilt sich die Menge und ich erhasche einen Blick auf den Frischling, der jetzt eigentlich nicht mehr der Frischling ist. Ob er sich mittlerweile wieder an seinen Namen erinnert? Die Verwirrung ist ihm wahrhaftig ins Gesicht geschrieben.


Alby und Newt seilen sich mittlerweile ab, um das Mädchen herauszuholen. Anscheinend ist sie bewusstlos oder tot. Das fängt wirklich ganz toll an. Anstatt den beiden ihren Platz zu lassen, wenn sie wieder rauskommen, hat die Truppe sich jetzt noch enger um die Box versammelt. Dabei wurde ich leicht abgedrängt und habe ab und zu einen Ellbogen in die Rippen bekommen. Genervt quetsche ich mich noch durch die restlichen Jungs und stehe jetzt am äußeren Rand der Truppe. Hier bekomme ich zwar nicht so viel mit, aber immerhin muss ich den Schweiß der Jungs einatmen und auf meiner eigenen Haut spüren. Manche halten nicht so viel von einer Dusche.


Während ich von einem Fuß auf den anderen trete und meine Arme austrecke, ist es den Jungs gelungen das Mädchen nach oben auf die Lichtung zu holen. Die Jungs diskutieren mal wieder und darunter ist auch der Frischling. Alby hat ihn wirklich auf dem Kicker. Plötzlich höre ich einen Schrei. Alby. Was ist passiert? Verdammt, was machen die da nur? Nun ist totenstille. „Kann mir mal einer sagen, was gerade passiert?" Frustriert hoffe ich, dass jemand auf meine Frage antwortet. „Sie ist die Letzte. Für immer."* Newts Stimme streift über die gesamte Lichtung. Die Spannung in der Luft ist praktisch greifbar. Wie die Letzte? Der letzte Frischling? Die Dinge hier nehmen immer abnormere Züge an. Die Stimme unseres Anführer zerrreißt die Luft, indem er nach den Sanis ruft. Nicht weit von mir entfernt, erkenne ich Clint und Jeff.


Sie bahnen sich ihren Weg durch die Menge. Die anderen machen ihnen Platz. Noch immer ist der Schock jedem ins Gesicht geschrieben; mir auch. Durch eine Spalt in der Menge kann ich erkennen, dass das Mädchen auf eine Trage gelegt wird.


Das ungleiche Trio bricht auf und schlägt den Weg Richtung Gehöft ein. Beim Vorbeigehen erhasche ich einen kurzen Blick auf sie. Ihre Haut ist wahnsinnig weiß, als ob nie ein Sonnenstrahl diese berührt hätte. Am Anfang, als wir auf der Erde gelandet sind, sah unsere Haut nicht viel anders aus. Kalkweiß, trotz Vitamin D Präparaten, konnten wir keine natürliche Bräune entwickeln. Sie sieht aus wie eine Arcadiarin. Und wahnsinnig dünn ist sie auch. Ob sie eingesperrt war und keine regelmäßigen Mahlzeiten bekommen hat? Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass sie eine von uns ist.


Spekulationen woher sie kommt, in welcher Verbindung sie zu den Schöpfern steht und was diese Nachricht bedeutet, fegen über die Lichtung. Die Jungs sind aufgedreht. Definitiv. Sogar mehr, als wenn jemand von einem Griewer gestochen wurde.


Neugierig trete ich näher an die Gruppe von Alby, dem Frischling und Newt heran. Alby löchert ihn gerade, ob er sie kennt oder sie schon einmal gesehen hat. Anscheinend habe ich was verpasst, indem ich am Rand der Gruppe stand. Der Neue versucht sich irgendwie zu erklären, aber es kommt nicht mehr als ein Stottern hervor. Genervt senkt Alby seine Stimme und spricht mehr zu Newt als zu jemand anderen: „Irgendwas stimmt hier nicht. Beruf eine Versammlung ein."*


Ein jeder setzt sich in Bewegung. Eine Versammlung also. Newt greift mich leicht am Arm und zieht mich mit ihnen. Zurückbleibt der Frischling. „Sag mal, was hälst du davon Becka?" Newt schaut mich an. „Puh keine Ahnung. Ich verstehe nur nicht, warum ihr, beziehungsweise du Alby, so misstrauisch dem Frischling und dem Mädchen begegnet. Was stimmt mit dem Frischling nicht, aber mit mir schon? Und was hast du gegen das Mädchen? Ich bin schließlich auch eins?" Verwirrt teile ich meine Gedanken den beiden Jungs mit.


Alby verzieht das Gesicht: „Der Frischling fragt zu viel. Er will alles gleich sofort wissen. Keiner war so wie er vorher, nicht einmal du. Du bist der passive Beobachter, der sich den Rest zusammenreimt. Thomas geht aktiv auf die Leute zu. Und das Mädchen... Alles an ihr ist einfach seltsam. Du bist ganz anders." Thomas ist also der Name des Frischlings. Das muss ich mir merken. „Ich verstehe."


Schweigend laufen wir weiter. Nach einigen Metern verabschiede ich mich von den beiden und kehre zu meiner Arbeit zurück. Nach einigen Minuten schließen sich ein paar der Baumeister und Schlitzer an. Durch Leo erfahre ich, dass der Rest die Box ausräumt. Gally hat die Aufgaben umverteilt. Während der Arbeit reden die Jungs wild durcheinander, was es denn nun mit der Nachricht auf sich hat. Ob das Mädchen wirklich der letzte neue Lichter ist? Die heutige außerplanmäßige Versammlung steht auch im Vordergrund. Um ehrlich zu sein reden die Jungs mehr, als dass sie arbeiten. Da wird sich Gally aber heute Abend freuen.


Bei der Versammlung war ich nicht anwesend, aber Greg erzählte mir beim Abendessen, dass Thomas von Ben angegriffen wurde und Alby ihm geholfen hat. Diese Aktion scheint den Neuen geschockt zu haben, weil ich ihn dann nur noch kurz gesehen habe, als er Richtung seines Schlafsacks gelaufen ist.


Auch ich liege noch wach und lausche einigen Gesprächen der Jungs. Das Thema ist immer noch das Gleiche. Ich hoffe, dass Alby und die Hüter uns restlichen Lichtern morgen von den Resultaten ihrer Versammlung berichten. Mit diesen Gedanken schlafe ich nun auch endlich ein.


(1.067 Wörter)


~~ *: Zitate aus dem Buch.~~

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