Ezequiel glotzte den Fisch an und der Fisch glotzte Ezequiel an. Unter dem schräg auf das Wasser fallenden Abendlicht changierten seine Schuppen in so vielen verschiedenen Farbabstufungen von Blau wie das Meer. Die Hinterflosse schlug flink hin und her, seine stur nach oben gerichteten Augen hoben sich kaum von der dunklen Gesichtsfärbung ab. Es ärgerte Ezequiel, dass er die Art nicht bestimmen konnte. Normalerweise wusste er bis zur Abfahrt aus einem Gebiet haargenau, welche Tiere sich unter seinem Boot tummelten. Dieses Mal waren hauptsächlich Falterfische seine Zeitgenossen, sowohl die mit einem roten Kopf als auch unterschiedliche gelbe mit schwarzen oder weißen Akzenten. Der ein oder andere Papageifisch trudelte auch manchmal bei den Korallen ein, und unter einem Felsvorsprung hatten ein paar Anemonenfische es sich in ihrer namensgebenden Pflanze häuslich eingerichtet. Jedes Mal, wenn Ezequiel versehentlich gegen einen ihrer wabbeligen Tentakel stieß, wünschte er sich, auch gegen das Gift immun zu sein.
Den Fisch, mit dem sich Ezequiel in einem unerwarteten Starrwettbewerb wiederfand, hatte er bisher selten gesehen. Erst recht nicht an seinem Riff-Ausschnitt. Dass er den Namen nicht kannte, störte ihn umso mehr, weil das Tier ein Prachtexemplar war. Wie die kleinen Wellen, die von einem ins Wasser geworfenen Gegenstand ausgingen, bestand seine Musterung aus immer größer werdenden Kreisen. Ihre Blautöne waren so hell wie das Wasser einer Lagune bis hin zu der Dunkelheit eines tiefen Grabens. Es war hypnotisch, wie sie beim Bemühen des Fisches, auf einer Stelle zu bleiben, über den schmalen Leib flimmerten.
Schwere Schritte stampften herein. Schritte, die einen vorwarnten, dass mit den zugehörigen Personen nicht zu spaßen war.
Der Fisch tauchte mit raschen Flossenschlägen davon, bis Ezequiel ihn durch den rechteckigen Ausschnitt in seinem Boden nicht mehr sehen konnte. Er schluckte einen irrationalen Anflug von Ärger hinunter und wandte sich den Leibwächtern zu.
»Möchtet Ihr zu Eurer Probe aufbrechen?«, fragte einer der bewaffneten Männer, die Ezequiel seit dem Attentat nicht von der Seite wichen.
Er blickte in die Ferne, wo die blaue Weite an eine grüne angrenzte. Die Sonne berührte mit ihrem untersten Punkt gerade so die Baumkronen. »Ja, es ist Zeit.«Der Mann nickte und stand dann mit seinen drei Kollegen schweigend im Zimmer.
Ezequiel räusperte sich. »Nach Ihnen.« Sein Herz klopfte lauter und verdammte die Ruhe, die er eben empfunden hatte, bereits zu einer Erinnerung. Zwei Tage hatte er sich auf diesen Moment eingestellt. Und jetzt war er so unangenehm wie befürchtet.
Die Leibwächter zogen ihre Lederrüstungen und protzigen Hauben aus und schlüpften nacheinander ins Wasser. Noch im Kopfsprung wurden sie zu geschmeidigen Delfinen. Sie ordneten sich zu einem Schutzring an, dessen Mitte für Ezequiel bestimmt war.Er nestelte an seiner Kleidung herum, bis er nur noch die Kette in der Hand hielt. Außerhalb von Theaterauftritten zierte sie immer Ezequiels Hals. Mit geschlossenen Augen ließ er seine Finger über die spitzen Zähnen wandern. Es waren mittlerweile achtzehn und jedes Mal, wenn er in seiner Tiergestalt einen verlor, fügte Ezequiel ihn der Kette hinzu. Sie halfen ihm auch, sich sein Ziel zu verbildlichen.
Ein gedrungener Körper. Ein grauer Rücken und ein weißer Bauch. Er stellte sich den sandigen Meeresboden vor, über den er streifen würde, und die Gerüche des Riffs, welche er als Tier zehnmal intensiver wahrnahm als in der Gestalt eines jungen Mannes. Er hatte nichts gegen seine Tiergestalt, aber dorthin zu kommen, war die Herausforderung. Dass sich bei seinen Begleitern Fragezeichen und Verlegenheit auftaten, war im Raum spürbar. Ezequiel blockte das ab. Seine Selbstzweifel hatten ihn lange genug nach unten gezogen. Es war an der Zeit, zu schwimmen, anstatt sich ertränken zu lassen.Er kippte nach vorn ins Blau. Seinen nächsten Atemzug tat Ezequiel nicht durch die Lunge, sondern durch Kiemen. Instinktiv stieß er sich nach vorn, damit das Wasser hindurchströmen konnte, und dabei setzte sich auch sein Schutzring in Bewegung.
Das Korallenriff war in einen Kampf aus Licht und Schatten getaucht, der seine wunderschönen Farben nicht dämpfte, sondern vielmehr bekräftigte. Silhouetten der Stege und Boote tänzelten über das unebene Relief, das Sonnenlicht brach sich durch die Wasseroberfläche in einzelne Strahlen. Es wärmte Ezequiel den Rücken und ließ die Korallen leuchten. So nervig Anemonen und Putzerfische mit einer übersteigerten Arbeitsmoral sein mochten, er war selten, aber sehr gern im Riff. Nirgendwo sonst konnte man alle Farben mit einem Blick einfangen. An jedem Abhang und in jedem Spalt zwirbelten sich die Kalkgebilde zu wahllos durchmischten Formen. Manche sahen aus wie Fächer, andere wie Teller, wieder andere wie Torbogen und Lampenhalter.
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✾ Guardians of Duality ✾
Fantasy»Ich habe den Fehler begangen, gebleckte Zähne mit einem Lächeln zu verwechseln.« Origo ist bedeckt von dichten Regenwäldern, blauen Meeren und weiten Graslandschaften... und seine Bewohner teilen sich die Seele von Mensch und Tier im selben Körper...