།᎓ Das Licht im Dunkeln

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Verenice wurde geweckt, weil ihr der Fruchtsaft einer Ananas ins Gesicht tropfte.
Fast hätte sie Pixan, deren Schnabel die süß riechende Scheibe über ihr ausquetschte, mit ungraziösen Geräuschen einen Schlag versetzt. Sie flatterte in eine Wandnische, in der Verenice ihre Kleidung aufbewahrte. Währenddessen versuchte diese schlaftrunken und vergebens, das klebrige Zeug aus ihrem Gesicht zu wischen. Durch den halb zugezogenen Vorhang strömte Tageslicht in den stickigen Wohnraum, in dem sie anscheinend die einzig Verbliebene war- bis auf den skrupellosen Regenbogentukan-Hen.
Ananas am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen‹, keckerte Pixan.

»Nicht, wenn man damit aus dem Schlaf gerissen wird«, grummelte Verenice. »Es ist Ruhetag!«
›Papperlappap. Wir haben bald Zenit‹, belehrte Pixan ihre Freundin und hüpfte drängelnd über ihr Bein.
»Also ist es heiß genug, dass man auch weiterschlafen kann«, murrte sie und drehte sich auf die Seite, wodurch Pixan auf eine Stange unweit von Verenice' Pritsche flog, an der Chilischoten zum Trocknen aufgehängt waren.
›Oder in den Dschungel.‹ Sie reckte ihre Brust vor, welche so leuchtend gelb war wie die fiese Ananas.
Verenice stöhnte.

Zumindest war ihr Tyrannen-Tukan so nett, von einem Regal Koka-Blätter zu holen. In Verenice' Wohnung kannte Pixan sich so gut aus wie in ihrer eigenen. Nicht, dass die großartig anders eingerichtet wäre. Beides waren auf Stützpfeilern errichtete Hütten am Rande ihrer Maniok- und Kartoffelfelder, die nur ein schmaler Grasstreifen vom Grundstück der anderen Familie abgrenzte. Im Wohnraum lagen ein kleiner Altar, die Küche und Pritschen zum Schlafen, in separaten Kammern die Vorräte und Gerätschaften für ihre Felder. Verenice' Eltern hatten gesagt, dass sie die Hacken und Sensen heute Morgen beim Schmied schleifen lassen würden.

›Ich habe einen richtig seltsamen Guaven-Baum entdeckt, den muss ich dir zeigen. Der sieht aus wie dein Bein, als du damals von dieser Klippe gesprungen bist‹, flötete Pixan.
Verenice verschluckte sich fast an einem der Blätter. »Du übertreibst!«
›Überzeug dich selbst.‹ Sie flog zurück zur Wandnische, raufte wahllos ein Kleid in ihren Krallen zusammen und hopste auf die Pritsche.
»Ich freue mich riesig drauf«, nuschelte Verenice und hoffte, dass die Koka-Blätter bald Wirkung zeigten. Sie verwandelte sich und ertastete das glatte Gefieder ihres persönlichen Lufttransports.
›Bei Origos Willen‹, krächzte Pixan. ›Wenn deine Eltern dich mitgenommen hätten, wärst du wahrscheinlich selbst im Laufen eingepennt.‹
Aber Verenice' Eltern hatten sie nicht mitgenommen- dann wüsste sie, dass im Geräteschuppen keine der Sensen und Hacken fehlte.

»Das war so witzig«, schwadronierte Pixan auf dem Rückweg zur Höhle. »Hast du schon mal einen Regenschirm gesehen? Das tragen die in Pytulk'tan über ihrem Kopf, wenn es regnet, wie ein kleines Dach. Boah, wenn man hier mit solchem Kladderadatsch ankommt, würde man mit faulem Obst beworfen werden! Was wollte ich sagen? Ah ja, so ähnlich sahen seine Federn aus, als er die aufgespannt hat. Ich musste mir die ganze Zeit das Lachen verkneifen, sonst hätte ich ihn noch verscheucht.«
»Keine Ahnung, ob das Lachen eines Tukans tanzende Vögel verscheucht«, erwiderte Verenice und duckte sich unter einem umgeknickten Baum hindurch, von denen es auf dem steilen Abhang zu ihrer Höhle eine Menge gab. Wie sich herausgestellt hatte, war der Guaven-Baum nicht nur voller reifer Früchte und tatsächlich krumm- wenngleich Pixan maßlos übertrieben hatte, was Verenice' Bein betraf. Sein wirres Geäst war auch die Zuschauertribüne einer Vogeldame geworden, und die Erde darunter zu einem Balzplatz für ein schwarzes Männchen. Verenice hatte sich in einen Menschen zurückverwandelt, um einen schrägen Tanz zu bestaunen. Das Männchen hatte damit Erfolg bei Frau Vogel gehabt.

Pixan redete unbeirrt weiter. »Diese Federhaube sollte es als Hut geben. Ich frage mich nur, ob der von den schnellen Bewegungen Kopfschmerzen kriegt.«
»Es gibt bloß eine Möglichkeit, das herauszufinden«, kündigte Verenice unheilvoll an. »Du stellst es nach. In der Dorfmitte, versteht sich.«
Pixan umfasste einen dünnen Stamm und drehte sich daran, sodass sie vor ihrer Freundin landete. »Brauche ich nicht. Ich habe dich doch schon für mich gewonnen.«
»Du bist eh zu unordentlich dafür. Der Vogel hat jedes Stöckchen von seiner Tanzfläche geräumt. Das wäre gegen deine Natur.« Verenice hackte im Vorbeigehen mit einem Finger in ihre Schulter. Man konnte nur noch Teile des verschmierten Gedichts lesen, die Kohle hatte sich auf Pixans Haut ausgebreitet wie eine Panzerung. Sie wollte es trotzdem behalten.

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