༎།⁝ Die zeremonielle Versagerin

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Silva schlief zu Grölen, Singen und Pauken auf dem Marktplatz ein und wachte zu Grölen, Singen und Pauken wieder auf. Das Fest wütete die ganze Nacht hindurch. Sie nagte einen Maiskolben nach dem anderen ab wie Heuschrecken und tanzte, bis sie völlig ausgelaugt nach Hause taumelte. Manch einer hatte es gar nicht bis dorthin geschafft. Ein Höhepunkt war Yumils eindrückliche Demonstration, dass in seinen Bauch ein ganzer gegrillter Nasenbär passte. Scarlett konnte so viel mit Pomuk tanzen wie in allen vergangenen Jahren nicht. Es war die ausgelassenste Feier, an der Silva je teilgenommen hatte, und noch besonderer war, dass sie fand zu Ehren von ihr und allen anderen Absolventen statt.

Sie war mit der Urne zum Vollmondcenote gelangt, bevor es dunkel wurde. Sie und Yumil hatten sich abgeklatscht und sich nicht zugeplappert wie erwartet, sondern einfach gegen einen Baum sinken lassen und den Sternen beim Erstrahlen zugesehen. Sie hatten beide ihr Versprechen gehalten.
Doch Silva konnte es erst glauben, als sie aus Lha Naluaks Mund hörte, dass sie die Klausurprüfung bestanden hatte. Und das mit einem der besten Resultate, wie es ein Blütenkranz in ihrem Haar attestierte.

Es war vollbracht. Sie war erwachsen.
Fast.

Die Absolventen standen am Fuß der Pyramide, hinter ihnen ihre Familien und der restliche Clan. Von überall her prasselten die mitreißenden Lieder auf Silva ein. Scarlett, ihre Mutter und sie hatten sich an den Schultern gegriffen und schaukelten zu dem Takt, welcher die Zeremonie einläutete. Das Wasser des Urwadis schlackerte um Silvas Unterschenkel. Ein Harnisch aus kleinen Knochen und Gräten kratzte über ihr Dekolleté. Sie musste die Augen zu Schlitzen verengen, denn die Sonne brannte ihr ungehemmt entgegen.

Der Zeremonie-Tempel war so erbaut worden, dass der Himmelsball bei Zenit perfekt im Monument über dem Alltag schwebte: Zwei einander zugewandte, nach vorn gebeugte Sicheln. Riesige Streben, welche in den Steilklippen rundherum verankert waren, fixierten die Krone der Pyramide. Sie hatten Einbuchtungen, in denen sich bei Nacht die Sternenkonstellationen einfügten, und waren mit Legenden und Mythen bedeckt. Wie die Beine einer gewaltigen Spinne wölbte die Konstruktion sich über dem versammelten Volk.
Der Urwadi war eine rundliche Schlucht östlich der Stadt. Felsmassive kesselten ihn ein, weshalb er lediglich in der Regenperiode Wasser führte. Durch enge Zugänge konnte man ihn betreten, und das nur zu sehr wichtigen Zeremonien. Während der Riten durfte man ihn wiederum nicht verlassen. Irgendwie gab der Gedanke Silva ein mulmiges Gefühl. Aber das ging in all ihren anderen Gefühlen völlig unter.

Pulsierende, energische Musik flutete den Wadi. Sie wurde vom Singsang der Vogel-Hína bestärkt, welche sich als bunte Orchester auf den Stützen der Sicheln ausgebreitet hatten. Ihre Klänge waren so unterschiedlich und dennoch im wogenden Gleichschritt. Es war wie eine Choreografie, die man nicht einstudieren musste, weil alle die gleiche Kraft spürten, von der sie sich erfassen und lenken ließen. Sie gab das Temperament an, der Clan war ihr Sprachrohr. Tierhäute wellten sich unter den Schlägen der Trommler, gediegene Melodien von Panflöten mischten sich darunter. Zikaden, Bienen, Frösche und das Donnern von Knochen und Hölzern komplettierten die Hymne, welche zwischen den himmelhohen Felsen echote.

Die Clanherrscher trugen vergoldeten Kopfschmuck, der ihrer jeweiligen Tiergestalt nachempfunden war; Gewänder aus schillernden Federn, Ketten aus seltensten Erzen und Relikten ihrer Vorgänger. Zusammen mit Zlatan, dem Regenten für Zeremonien, hatten sie sich auf der Pyramide eingefunden. Sie war einige Stockwerke höher als die des Marktes und wirkte durch die Sicheln noch viel machtvoller.
Clanherrscher Quetzal tanzte in der Gestalt seines namensgebenden Vogels über allen anderen. Eine korallenrote und türkise Pracht, deren gegabelter Schweif länger war als ihr Rumpf. Pauken, Flöten und Chöre spornten ihn in seiner Trance an, mit der er die Götter beschwor. Er räkelte sich, schlug Saltos und schraubte sich nach oben, sodass der feingliedrige Schweif Spiralen wirbelte. Er war ein Farbregen im Kern der Sonne, bis die Musik langsam verebbte.

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