༎‧ Das Schauspiel über den Wellen

11 4 13
                                    

Ezequiel li'Dutior.

》✾《

»Stellen Sie sich vor, Ihre Knochen brechen.

So lange Sie denken können, lastet auf Ihnen stets dasselbe Gewicht. Sie konnten es immer tragen, Sie waren daran gewöhnt, Sie nahmen es gar nicht wahr. Aber nun verdoppelt es sich, verdreifacht es sich- rücksichtslos wird Ihnen mehr und mehr Gewicht angehangen, sodass Sie zum ersten Mal spüren, dass Ihre Kraft nicht endlos ist, dass sie sehr wohl eine Grenze hat. Zum ersten Mal spüren Sie, dass Ihre Stärke keine Selbstverständlichkeit ist, und schon gar keine unerschöpfliche Quelle. Plötzlich biegen die Knochen sich, schwächeln, brechen schließlich. Sie schreien nicht, denn Sie wissen nicht, wie man einen Schrei in der Kehle formt und ausstößt, Sie mussten es noch nie. Der Schmerz ist Ihnen gänzlich unbekannt. Nur ein dumpfes Keuchen entfährt Ihnen, ein Beben, das Ihren gesamten Körper erschüttert.«

Ezequiels Füßen machten patschende Geräusche, als er gemächlich über die Dielen schritt. Er mochte dieses leise Knistern von Muskeln und dem schweren Holz darunter, welches meistens vom Treiben der Stadt übertönt wurde. Aber jetzt herrschte kein Treiben. Seine Erzählerstimme entfaltete sich über dem riesigen Floß und wurde erst vom Kreischen der Vogelscharen und dem Meeresrauschen verdünnt. Heute war ein ruhiger Seegang. 

»Aufgrund dieser Unerfahrenheit weiß auch keiner der Umstehenden, was zu tun ist. Manche fühlen das Beben und ahnen Schlimmes. Andere überhören es, vielleicht willentlich, vielleicht mit Kalkül. Das Ausbleiben eines Schreis ist für sie die Bestätigung zum Weitermachen. Sie bürden Ihnen weitere Gewichte auf, erfreuen sich an den Vorteilen, die dadurch für sie entstehen.«

Er blieb in der Mitte des Podests stehen. Es war sozusagen ein Floß auf dem Floß, von welchem aus er sein Publikum überragte. Die Tribüne am anderen Ende überragte wiederum ihn, denn sie bot Sitzplätze für die Regenten und Clanherrscher.
»Stellen Sie sich nun vor, was eben beschrieben wurde, geschieht mit einem Land. Die Felder brennen, die Fischgründe sind leer und der Himmel eine graue, wütende Peitsche.«

Ezequiel ließ seine Worte durch die Sitzreihen fließen, bis er spürte, dass er jeden damit ergriffen hatte. Er ging zum Rand der Bühne. Ein Umhang raschelte um seine Taille, grob geschnitten und kratzig wie ein Fischernetz. Die Brandmarke eines Charakters, welcher über der Handlung stand und doch nicht die Macht besaß, sie zu ändern.
Ezequiels Kinn, an dem er sich extra für den Auftritt dunkle Stoppeln wachsen lassen hatte, deutete auf das leere Zentrum des Podests. »Und hier haben wir den, der gemeinhin dafür verantwortlich gemacht wird.«

Aus einem Loch im Bretterboden betastete etwas die Dielen, quoll hervor und entpuppte sich als der Tentakel eines Kraken. Noch mehr seiner Sorte wagten sich heraus, unzählige, Halt suchende Saugknöpfe. Ihnen folgte nicht der Leib eines Oktopus, sondern der eines jungen Mannes. Durch das Publikum ging ein Raunen, denn Grenz-Verwandlungen sah man nicht alle Tage. Kaum einer beherrschte sie, und kaum einer beherrschte sie so gut wie Kaspar.
Seine Tentakelarme zogen ihn nach vorn, schleiften den völlig erschöpften Körper nach sich, als hätte sich sein restlicher Lebenswille in sie geflohen. Die Haare klebten ihm an der hohen Stirn, seine Augen waren mit dunkler Schminke umrandet. Bei jedem Ruck, den er sich gab, schienen sie tiefer in ihre Höhlen zu sinken.

Fast wäre Ezequiel ein Lächeln entwischt. Sein bester Freund war einfach unabdingbar für jedes gelungene Theaterstück.

Keuchend hievte er sich in eine halbwegs aufrechte Pose. »Ich muss verflucht sein«, presste Kaspar hervor. »Ein Dämon. Eine Ausgeburt der Abscheulichkeit. So urteilen sie über mich. So lassen sie mich leiden und hungern. Ich weiß nicht, wann sie mir das letzte Mal Nahrung in dieses-diesen Kerker gestellt haben, ein Fisch, eine Auster, ein kleiner Happen wenigstens. Haben sie endgültig beschlossen, mich in den Tod zu schicken? Mich nicht einmal mit einem gezielten Schnitt zu töten, sondern es dem qualvollen Lauf der Dinge zu überlassen? Kann keiner mir dieses Dahinsiechen ersparen?«

✾ Guardians of Duality ✾Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt