„Gefällt es euch?", fragt mich eine meiner Schneiderinnen, während sie die Schleife an meinem Korsett festzieht. Dann macht sie einen kleinen Knicks und tritt einen Schritt zurück, sodass ich mein Spiegelbild betrachten kann.
Das bodenlange Kleid ist hellblau und am Dekolletee mit weißen, funkelnden Blumen bestickt.
Die Ärmel sind aus hauchdünner, dunkelblauer Seite, die bei jedem festen Zug zerreißen würde.
Ich drehe mich ein wenig hin und her und betrachte es auch von hinten.
„Es gefällt mir sehr gut. Ich werde es direkt für das Bankett anbehalten. Bringt mir meine Perlen"
Meine drei Schneiderinnen sind ganz aufgeregt, dass mir ihr Werk so gut gefällt und holen eilig meine silberne Schmuckschatulle. Sie legen mir meine, aus Italien importierte, Perlenkette um den Hals und beglücken meine Finger mit den teuren Silberringen, die ich vor zwei Jahren zu meinem 15.Geburtstag geschenkt bekommen habe.
„Ihr seht bezaubernd aus, euer Gnaden. Die Gäste werden ihre Augen nur auf euch gerichtet haben", sagt meine oberste Schneiderin, Ida, und seufzt theatralisch.
Ich lächle höflich, geschmeichelt und begebe mich dann nach unten in den Speisesaal.
Als ich unten ankomme erwarte ich eigentlich, dass eine Hand voll Grafen und Gräfinnen dort sitzt und sich mit meinem Vater köstlich amüsiert. Doch dem ist nicht so.
Stattdessen sitzt mein Vater ganz allein an der reich gedeckten Tafel und...weint?
Ich raffe meine Röcke und eile, so schnell es mit möglich ist, an seine Seite.
Ich berühre behutsam seinen Arm undknie mich neben ihn.
„Wo sind die Gäste, Vater?"
Er antwortet nicht.
„Ist es wegen Mutter? Ist das Fieber wieder gestiegen?"
Als er auf diese Frage noch mehr weintund den Kopf schüttelt, dämmert es mir bereits.
„Ist sie...?", das letzte Wort bringe ich nicht mehr über die Lippen, da er bereits nickt.
Sofort breche ich in Tränen aus undhabe das Gefühl meine gesamte Kraft zu verlieren. Nur zum weinen und schreien funktioniert diese noch.
Eine Dienerin tritt zu mir und fasst mich an die Schulter.
„Euer Gnaden..."
Ich schlage sie weg.
„Lasst mich!"
Dann stehe ich auf und renne aus unserem Speisesaal.
Ich bekomme durch das Rennen und Weinen beinahe keine Luft mehr und knicke in den hohen Schuhe mehrmals um. Ich ziehe diese deshalb aus und laufe nur in meinen Strümpfen weiter.
Ich dränge mich an allen Bediensteten vorbei und laufe schließlich nach draußen.
Immer weiter und weiter tragen mich meine Beine.
Die Wachen rufen mir nach, ich solle stehen bleiben, es sei zu gefährlich, doch ich achte gar nicht mehr auf diese.
Nach ein paar Minuten des Laufens,gelange ich zu einer Dornenmauer. Es muss jene sein, von der uns als Kinder gewarnt wurde. Man glaubt, dass sie ein Hexenwerk ist, doch ich glaube nicht an Zauberei.
Als ich mich ein wenig nach links umblicke, entdecke ich einen kleinen Eingang.
Etwas nervös durchquere ich eine der einzigen Stellen, die die Dornen nicht eingenommen haben.
Ich sagte, dass ich nicht an Zauberei glaube, doch wenn einem als Kind so viele Geschichten erzählt wurden, kann man diese nicht einfach löschen.
Hinter der Mauer verbirgt sich ein See.
Er ist nicht sonderlich breit, doch man könnte nicht an das andere Ufer schwimmen. Seine Enden kann man durch seine unfassbare Länge nicht erblicken.
Ich lasse mich an seinem Ufer auf einem großen Stein nieder und weine.
Ich weiß nicht wie lange ich da so saß. Minuten, Stunden?
Doch als mein Körper selbst zum Weinen zu erschöpft ist, schaue ich mich etwas um.
Ich bin nicht wirklich weit von unserem Schloss entfernt, höchstens ein paar Minuten zu Fuß und es wundert mich, dass die Wachen mir noch immer nicht gefolgt sind.
Ich sehe hinüber und erkenne einewinzige Person, die am anderen Ufer sitzt und mich nun auch ansieht.
Obwohl ich die Person, von der ich vermute, das sie weiblichen Geschlechts ist, nur vom weitem sehe,weiß ich eines trotzdem: Sie muss wunderschön sein.
Lange sitze ich da. Tue nichts, außer die Unbekannte anzusehen. Sie sieht zurück. Doch wir nehmen keinen anderen Kontakt auf.
Dieser See schenkt mir solch eine große Ruhe, solch einen großen Frieden, dass ich am liebsten hier leben würde.
Bis in die Abendstunden verweile ich hier, ehe ich mich auf den Heimweg mache. Sie ist so lang wie ich geblieben.Auf dem Schloss herrscht große Erleichterung, als ich zurückkehre.
Eine meiner Zofen berichtet mir, mein Vater habe gesagt, dass ich schon wissen werde was ich tue. Doch viele haben sich große Sorgen gemacht.
„Wo wart Ihr?"
Meine erste Zofe, namens Abda, kommt aufgeregt aus ihrer Zofenkammer, direkt neben meinem Zimmer.„Ich habe nur einen Spaziergang gemacht. Es war sehr ungefährlich. Ich habe mich noch nicht einmal weit vom Schloss entfernt", sage ich trocken und lasse mich in mein Bett sinken.
„Ich gedenke in Zukunft öfter Ausflüge, wie diesen, zu unternehmen. Ich hoffe mein Vater erlaubt es mir"
Eigentlich rede ich eher mit mir selbst als mit Abda. Sie nickt trotzdem.
„Solange es ungefährlich ist und Ihr trotzdem noch euren Pflichten nachgehen könnt, dürfte dies kein Problem sein"
„Nun denn, lassen Sie mir ein Bad ein"
Meine Zofe nickt und verschwindet hinter der Badezimmertür.
Ich muss derweil immer wieder an das Mädchen auf der anderen Seite des Sees denken.
Hat ihr Unglück sie auch zu diesem See geführt oder ist sie vielleicht auch einfach nur zum Fischen dagewesen?
Eigentlich sollte es mich nicht kümmern. Ich kenne dieses Mädchen überhaupt nicht, dennoch beschäftigt es mich auf gewisse Weise.
Außerdem muss ich dann später in meinem herrlich warmen Dampfbad auch noch einmal sehr viel weinen.
Ich habe schließlich vor ein paar Stunden meine Mutter verloren. Sie war so ein liebevoller,barmherziger und netter Mensch gewesen. Ich habe sie so sehr geliebt.Die warmen Sonnenstrahlen, die in mein Gemach dringen, wecken mich am nächsten Morgen so sanft, als wüssten sie, wie zerbrechlich ich gerade bin.
Schon ein paar Momente später, kommt Abda auch schon aus ihrer Zofenkammer und begrüßt mich mit einemfreundliche Lächeln.
„Einen schönen guten Morgen, Majestät. Ich hoffe Ihr hattet eine angenehme Nacht"
Ich nicke knapp, ehe ich aufstehe undsie darum bitte mir mein Kleid für den heutigen Tag zu bringen.
Schon einige Minuten später sitze ich dann gekleidet, frisiert und geschminkt an unserer stets reichgedeckten Tafel und verspeise ein vortreffliches Frühstück.
Vater ist jedoch nicht gekommen.
Also erkundige ich mich direkt bei einem der Diener, wo er denn sei und wie es ihm ginge.
„Euer Vater ist gestern Abend in seinem Gemach verschwunden und wurde bis jetzt nicht gesichtet. Es wird vermutet, dass er sich gestern Abend betrunken hat und nun womöglich seinen Rausch ausschläft", flüstert mir eine der Diener zu und tritt dann wieder an seinen Platz am Rande des Raumes.
Ich bin zwar unglaublich hungrig, bekomme jedoch keinen Bissen hinunter.
Ich muss nämlich andauernd zu dem, nun leeren, Platz am rechten Ende der Tafel denken. Dort wo einst meine Mutter gesessen hatte.
DU LIEST GERADE
Am anderen Ufer des Sees
RomanceAls die heranwachsende Frau Martha verheiratet werden soll, wird ihr alles zu viel. In Tränen getränkt, läuft sie einfach los. Irgendwo hin, hauptsache fort. Sie gelangt an einen See, an dessen anderer Seite eine geheimnis...