Kapitel 19 Martha

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Bis spät in die Nacht liege ich wach und starre an die Decke. Mein Körper liegt auf einer harten Matratze, die mich an meine unzählbaren Nächte auf unserem Heuboden erinnert.

Auf einmal fällt mir der Gedanke, den ich die ganze Zeit unterdrückt ließ, wieder ein.

Ich werde meine Familie wahrscheinlich nie mehr wiedersehen.

Mir fließen Tränen über das Gesicht. Die Schmerzen sind groß und, wenn ich nicht wüsste, dass Helja nur eine Wand breit von mir entfernt liegt, hätten sie mich wahrscheinlich getötet. Beziehungsweise, ich hätte mich getötet.

Ich halte es irgendwann nicht mehr aus. Was wäre denn, wenn...

Ich weiß, dass dieser Gedanke seltsam sein mag. Aber die Liebe ist nun einmal seltsam.

Was wäre, wenn ich jetzt aufstehen und ihr beim Schlafen zusehen würde...

Meine Verstand hat anscheinend meinen Körper verlassen, denn ohne, dass ich mich selbst daran hindere, öffne ich die Tür und trete in Heljas Zimmer.

Das silberne Mondlicht strahlt durch das Fenster genau auf ihren elfenartigen Körper.

Leise schleiche ich mich näher an sie heran.

Es ist einfach magisch, wie sie dort liegt und vom Mondlicht umspielt wird.

Ich knie mich neben ihr Bett. Ihr Brustkorb senkt und hebt sich langsam und gleichmäßig.

Einige Strähnen ihres hellblonden, engelsartigem Haar, hängen in ihrem Gesicht. Vor ihren geschlossenen Augen.

Ich habe das dringende Bedürfnis, es ihr hinter die Ohren zu streichen, was ich dann auch tue.

Ich bekomme meine Hand dann nicht mehr von ihrem Gesicht.

Sie muss einfach noch dort verweilen. Mein Körper weigert sich, sie wegzunehmen.

Mein kleiner Finger fährt über ihre Nase, hinunter zu den rosa Lippen, die ich schon küssen durfte.

Er fährt über ihre Augenlider, ihre wunderschöne Stirn mit der winzigen Narbe. Ich frage mich, was ihr wohl passiert ist.

Vielleicht ist sie als Kind gestürzt?

Behutsam berühre ich auch diese.

Auf einmal öffnen sich ihre Augen.

Verflucht!

So schnell ich kann, stehe ich auf und versuche mich in die Kammer zu flüchten, doch Helja hat meine Hand bereits ergriffen.

Ich drehe mich um und bin froh, dass man in der Nacht nicht wirklich Farben erkennen kann. Sonst würde sie jetzt meine heißen Wangen sehen.

Sie zieht mich näher zu sich heran. So nah, dass ich nun über sie gebeugt bin.

Mein Herzschlag wird schneller.

Zwischen unseren Gesichtern ist nur noch ein winziger Abstand. Ich kann ihren warmen Atem auf meiner Wange spüren. Das bereitet mir eine angenehme Gänsehaut.

„Martha"

In ihrer Stimme liegt beinahe kein Druck. Es ist eher ein geformter Atemzug.

Ich beginne zu zittern.

„Du konntest auch nicht schlafen"

Ich hätte ihr gerne geantwortet. Ebenfalls etwas gesagt, doch als ich den Mund öffnen und etwas sagen möchte, kommt nur ein beinahe stummes Krächzen aus meiner Kehle.

Sie greift mit der freien Hand meine Wange und zieht meinen Kopf nun so nahe an mich heran, dass sich unsere Lippen berühren und wir uns küssen.

Die Küsse sind erst leicht und sanft, doch werden dann immer leidenschaftlicher.

Ich kann gar nicht genug von ihr bekommen.

Wir küssen uns im sanften Mondschein auf ihrem Himmelbett.

Ich fahre mit den Händen unter ihr Nachthemd, worauf sie aufatmet und ich befürchte zu weit gegangen zu sein, doch sie zieht mich nur noch näher zu sich heran, gierig, animalisch.

Ich greife den Stoff und ziehe ihr das Hemd vorsichtig über den Kopf. Sie tut dasselbe bei mir, was mich auf keuchen lässt.

Unsere Zungen tanzen miteinander und unsere Seelen, die irgendwann zu einer verschmelzen.

Der Moment ist einfach zu magisch, um wahr zu sein.

Irgendwann rolle ich mich von ihr hinunter und kuschle mich an meine Geliebte, als wolle ich sie nie wieder loslassen.

Ich schmiege mich an ihren sanften, lieblichen Körper, lasse alles hinter mir. Nur sie und ihr warmer, gleichmäßiger Atem auf meiner Haut sind jetzt noch wichtig.

Lange liegen wir so da. Ich darf bloß nicht einschlafen, auch wenn mein Körper mittlerweile nach Schlaf schreit. Wenn ich jetzt einschlafe werden sie uns so finden und wir sind aufgeschmissen.

Ich könnte jetzt natürlich genauso gut wieder zurück in Abdas Kammer gehen, aber das möchte ich nicht.

Ich möchte bei ihr sein und nie mehr fort.

Jetzt gerade brauche ich sie am meisten. Ich habe so viel in so kurzer Zeit verloren. Mein Kind, meine Familie. Sie ist das Einzige, was ich gewonnen habe. Was mir bleibt.

Ich kuschle mich noch näher an sie und wische meine Tränen an dem weichen Stoff ihrer Bettdecke ab.

Als das Blau der Nacht langsam rötlich wird, gehe ich schließlich. Es muss sein, so schade es auch ist.

Denn wir dürfen nicht sein.

Am anderen Ufer des SeesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt