Kapitel 8 Helja

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Am nächsten Tag muss ich andauernd lächeln. Ich habe ihren ersten Brief in mein Dekolletee geschoben, um ihn immer bei mir zu tragen.

Mittlerweile kann ich ihn auswendig.

Die Worte hallen mir wieder und wieder durch den Kopf und lösen bei mir ein warmes, wohliges Gefühl aus.

Ich bin mir selbst darüber bewusst, dass es nicht so sein sollte.

Mein Platz ist hier im Schloss. Mein Leben sollte einzig und allein hier stattfinden. Ich sollte hier meine besten und glücklichsten Momente haben. Doch nein.

Ich habe das Gefühl, dass ich nur wirklich ich bin, wenn ich meine Stunden am Seeufer verbringe und sie wiedersehe.

Hier auf dem Schloss muss ich immer erhaben, möglichst

gefühllos sein.

Heute ist ein recht besonderer Tag, denn ich muss mein Kleid, den Kuchen, die Musik und alles was dazugehört für meine Hochzeit entscheiden.

Ich bin gut im Entscheidungen treffen und tue dies gern, doch heute kann ich nur noch an Martha denken.

Ihre Handschrift, ihre Worte, ihr Leben. Außerdem frage ich mich tausend Dinge, die ich mich eigentlich nicht fragen sollte, doch sie kommen mir einfach in den Kopf, wie Ratten.

Wie hört sich ihre Stimme nur an? Wie wäre ihr Duft, wenn ich ihn riechen könnte? Geht es ihr gut? Was tut sie wohl gerade?

Wie wäre es sie zu...küssen?

Als mir diese Frage beim Frühstück in den Kopf schleicht, verschlucke ich mich an einem Stück Brot.

Eine Dienerin eilt zu mir.

„Ist alles in Ordnung?"

Ich nicke knapp.

„Ich habe womöglich nur etwas zu hastig gegessen. Ich weiß dies ist äußerst ungehobelt und gehört sich nicht für eine Baroness, doch es ist einfach zu köstlich. Richten Sie das der Küche aus", flüstere ich ihr zu, als wäre es mir äußerst unangenehm. Das ist es tatsächlich auch. Für eine Dame von Adel sind Tischmanieren eines der obersten Gebote.

Die Dienerin nickt und lächelt mich höflich an, ehe sie sich auch schon auf den Weg Richtung Küche macht.

„Und liebste Tochter, freut Ihr euch schon heute die Vorbereitungen für eure Hochzeit zu treffen?"

Ich war wohl in Sekundenschnelle wieder in den unsittlichen Gedanken geraten.

„Ja...ja, ich freue mich außer Ordentlich", antworte ich knapp.

Dann stehe ich auf.

„Ich habe keinen Hunger mehr und werde mich nun auf mein Zimmer begeben"

Eigentlich bin ich noch ziemlich hungrig. Ich habe lediglich nur zwei Happen Brot gegessen. Doch ich muss allein sein.

Ich muss über meine Gedanken nachdenken.

Ich kenne dieses Mädchen nicht, doch schon mit wenigen Worten hat sie mir mein Herz gestohlen.

Wie wäre es wohl, wenn sie jetzt neben mir in meinem weichen Himmelbett liegen würde...ich könnte ihren Duft einatmen. Ihn nie mehr vergessen und...

Abda kommt aus ihrer Kammer.

„Ihr seid ja bereits zurück, euer Gnaden , umso besser, denn jetzt können wir sofort mit der Planung loslegen"

Abda scheint sich reichlich mehr, als ich auf diese Heirat zu freuen.

Ich setze mich auf, der Rücken gerade, die Beine zusammen.

Wie es sich eben gehört. Die Maske ist wieder völlig aufgesetzt.

„Welche Blumen würdet Ihr denn präferieren? Diese bestimmen dann selbstverständlich auch das restliche Farbspektrum"

Margeriten...Martha würde Margeriten mögen. Ich habe es im Gefühl.

Ich schüttle mich. Ich darf nicht mehr an sie denken.

„Rosen...rosa Rosen", sage ich dann schnell.

Ich hätte dennoch am liebsten Margeriten genommen.

„Wie Ihr wünscht"

Abda notiert sich etwas auf einem Papier.

„Gut, kommen wir zur Auswahl eures Schmucks. Dafür habe ich..."

Die nächsten Stunden bin ich damit beschäftigt, Entscheidungen zu treffen, Kleider anzuprobieren, Frisuren auszuprobieren, mir Musik anzuhören.

Am späten Nachmittag gehe ich dann meiner gewohnten Routine nach.

Ich mache einen Spaziergang.

Ich laufe also zur Dornenhecke, schlüpfe durch meine Lücke und lasse mich auf meinem Stein nieder.

Das kleine Boot und Dinge zum Schreiben habe ich selbstverständlich auch mitgenommen. Wir haben reichlich davon im Schloss. Federn, Tinte, Papier.

Ich spähe zum anderen Ufer, um zu sehen, ob sie schon da ist.

Martha ist noch nicht gekommen, deshalb warte ich. Es ist die gewöhnliche Zeit, deshalb müsste sie ja bald hier erscheinen.

Also warte ich und warte.

Ich ziehe meine Schuhe und Strümpfe aus, spüre den warmen Sand unter meinen Zehen.

Ich fahre Kreise mit den Fingern durch den Sand, summe Melodien und warte.

Sie hat bestimmt noch etwas zu tun und wird jeden Moment...

Doch meine Hoffnung schwindet von Sekunde zu Sekunde.

So lang habe ich noch nie gewartet.

Haben meine Worte sie vielleicht abgeschreckt? Ist ihr etwas zu gestoßen?

Diese Fragen schießen mir schmerzlich durch den Kopf, als ich an unserem See sitze und die Hoffnung nicht aufgeben möchte.

Ich hole schließlich den Zettel mit den letzten Worten, die sie gestern schrieb heraus und lese sie noch einmal:

Ich muss gehen, bis morgen

Sie wollte wiederkommen. Hier steht es.

Wieso ist sie dann nicht hier?

Frustriert werfe ich den Zettel in den Sand.

Wenigstens kann ich hier frustriert sein. Ohne jegliche Scharm.

Als es beinahe ganz dunkel ist, mache ich mich schließlich auf den Rückweg.

Nun stehe ich in meinem Gemach vor meinem Spiegelbild, das mir einen traurigen Blick zuwirft.

Ich sollte so nicht wegen eines Mädchens fühlen.

Erst recht nicht wegen eines der unteren Schicht. Einer Bauerntochter.

Meine Unterlippe bebt und mein Blick ist Tränen verschleiert.

Ich muss sie vergessen. Sie hat mich auf falsche Gedanken gebracht. Ich sollte diese Gefühle nur für meinen Ehemann, Denkar, hegen. Doch ich weiß selber, dass ich das nie können werde. Meinen Körper können nur Frauen verzaubern. Ich hatte noch nie Gefühle für einen Mann. Ich darf die Gefühle, die ich für Martha empfinde nicht fühlen. Ich könnte auf die Guillotine kommen.

Ich lasse mich in die weichen Kissen meines Bettes singen. Es ist nach meinem Gefühl schon kurz vor Mitternacht und ich bin noch hellwach. Ich sollte insbesondere heute tief und lange schlafen, da morgen schon, viel zu schnell, mein großer Tag auf mich wartet. Meine Hochzeit.


Am anderen Ufer des SeesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt