Kapitel 23: Durch die Nacht

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Die erste Saat war bereit gesät zu werden. Der Kontinent war mein Feld und die große Ernte, die mit Blut gedüngt werden musste, lag am fernen Horizont.

»Wollt Ihr denn alle Sklaven im Reich befreien?«, fragte Cecilia, während sie mit mir durch den dunklen Wald hastete. Ihre Bewegungen waren ungeschickt und sie hatte die Beine ausgebreitet, so als ob sie auf Eis balancieren würde. Aber trotzdem bewegte sie sich wie mich mit hoher Geschwindigkeit vorwärts.

»Nein«, antwortete ich und riss mit einigen dunklen Schwaden die Äste vor mir zur Seite. »Eine Sklavenrebellion ist zurzeit nicht mein Anliegen. Du kannst mich auch ruhig weniger förmlich ansprechen.«

»Dann wieso...?«

»Hast du den Grafen schonmal gesehen?«

»Ja. Habe ich. Aber wieso...«

»Wie starben deine Eltern?«

Cecilia blieb stehen. Ihr Anzug aus Dunkelheit verformte sich und nahm eine etwas stabilere Textur an. Da es nur das Licht der Sterne hier gab, wirkte ihre neue Haut wie schlecht gegerbtes Leder.

Wie befanden uns auf einer Lichtung.

Auch ich hielt an und drehte mich zur ihr.

»Ich will nicht...«, begann Cecilia und ihre Schultern zitterten nun leicht. Sie vermied Augenkontakt.

»Du hast gesagt, sie wurden zu Tode gearbeitet?«, fragte ich weiter. »Doch das nicht alles, oder?«

»Nein, es...«

»Erzähl es mir«, sprach ich nun bestimmt und sie zuckte zusammen. »Nur die Eulen hören uns hier. Lass die Schweigsamkeit dich nicht zerfressen und sag es mir.«

Stille. Nur der Wind und das Rascheln der Blätter. Insekten krochen von der Dunkelheit davon, die sich von uns ausbreitete.

»Meine Mutter wurde schwanger«, antwortete Cecilia schließlich und ihr Blick war gesenkt. »Sie arbeitete, solange sie konnte, doch sie schaffte immer weniger und ihr Bauch wurde auch immer dicker. Eines Tages ritt der Graf vorbei. Er fragte, was eine Schwangere hier mache und dass er gerade keine Sklavenkinder gebrauchen könnte. Er kaufe ja immer neue vom Markt. Meine Mutter würde bald nicht mehr arbeiten können und sich um mein Geschwisterchen kümmern müssen. Für ihn war dies Verschwendung. Er ließ meine Mutter also auf den Weg werfen und...«

»Weiter«, sagte ich, als ich ihr Stocken bemerkte.

»Er trat mit den Hufen seines Pferdes auf ihren Bauch. Meine Mutter platzte einfach wie eine Frucht und dann...« Cecilia schien sich an der Erinnerung übergeben zu wollen. Sie trat nach vorne und legte meine Hand über ihren Mund, damit ihr Mageninhalt drinblieb. Warme Tränen liefen dabei über meine Finger.

»Fahre fort«, sagte sie dann, als sie sich etwas gefasst hatte.

»Mein Vater war blind vor Wut und rannte schreiend auf den Grafen zu. Seine Männer packten ihn, schleppten ihn fort und pfählten ihn dann am Rande der Plantage. Ich musste von da an jeden Tag an ihm vorbei, um zur Arbeit zu kommen und zusehen, wie die Krähen ihn fraßen.«

»Und du hast nichts gemacht?«

»Ich konnte doch nichts machen! Ich war jung und schwach.« Sie fiel leicht nach vorne und ihr Gesicht grub sich in meine Schulter. »Klein und schwach.«

Ich begann ihren Hinterkopf zu streicheln. »Du hasst den Grafen?«

»Vom tiefsten Herzen.«

»Dann lassen wir diesen Hass heute heraus.« Vorsichtig schob ich sie von mir und sah in ihre verquollenen Augen. »Von heute an bin ich für dich da. Von heute an bist du nicht mehr schwach. Und ich gehe wegen dir heute zu den Ländereien des Grafen. Wegen dir, da du meine erste Kameradin und Freundin bist, Cecilia.«

Damit war für mich genug gesagt und ich wollte die Reise fortsetzen. Doch ehe ich mich versah, fand ich mich in einer festen Umarmung wieder.


Das Wispern aus dem AbgrundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt