Kapitel 39: Die Abgesandten der Elfen

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Es dauerte einige Sekunden, bis der Griff gelockert wurde. Ich schaute auf und sah in ein schönes Gesicht mit hohen Wangenknochen und einer ungewohnt purpurnen Augenfarbe. Es war eine Elfe, die mich in eine Umarmung gerissen hatte.

Im Gegensatz zu Malin, die ein menschliches Elternteil besaß, waren ihre Ohren nicht nur Spitz, sondern auch lang. Beinahe wie Hörner ragten, sie nach hinten weg und bewegten sich sogar etwas auf und ab in Aufregung.

Das Haar war wallend und von einem satten Rot. Zwischen den Strähnen waren einige Grashalme verheddert. Das Kleid war grün und mit Erdflecken bedeckt.

Vermutlich hatte ich einige Erwartungen aus meiner alten Welt in diese Begegnung hineingenommen, aber die Elfe wirkte weder weise, graziös oder ehrwürdig. Stattdessen war da beinahe etwas kindhaftes in ihrer Aufregung mich zu sehen.

»Ah, wie reizend du doch bist!«, sprach sie weiter und ihre Stimme schien jeden Moment in einen Gesang ausbrechen zu wollen. Jedes Wort hatte etwas Melodisches an sich. Ihre Finger strichen über meine Wange. »Und wie weich deine Haut ist!«

»Ähm«, brachte ich hervor und schaute nach oben. Nur ein sehr kleiner, dunkler Tropfen hing über sie und wurde sofort von mir aufgezogen. Sie schien also zumindest keinerlei zwieträchtigen Absichten zu haben. Ich spähte dann hinüber zu Lissi, deren Kopf gerade von einer zweigen Elfe getätschelt wurde.

Dieses Spitzohr hatte braunes Haar und ein tiefrotes Kleid. Ihre Augen waren blau, aber von solch einer Intensivität, dass sie zu leuchten schienen.

Ein dritter Elf, der eine Kettenhemd trug, das mit fein geschnitzten Holzblättern verziert war, kam kopfschüttelnd heran. An seiner Seite war ein Kurzschwert.

»Tut mir leid, Menschen«, meinte er seufzend. »Kinder sind eine Seltenheit in unserem Volk. Manche unserer Frauen warten hunderte von Jahren bevor sie endlich schwanger werden. Ein starker Kindeswunsch über solch eine lange Zeit... hat einige Konsequenzen.«

»Es macht nichts«, entgegnete ich, während ich versuchte die Elfin wegzudrücken, die nun ihr eigene Wange gegen mein Gesicht reiben wollte.

Seine Augen waren von einem Grün, das glitzernde wie Smaragde. Alle Elfen schienen wohl sehr außergewöhnliche Pupillen zu haben.

»Ich passe schon den ganzen Tag auf die beiden auf, um zu verhindern, dass sie sich auf jedes Menschenkind stürzen, was unsere Wege kreuzt. Aber leider war ich eben abgelenkt. Komm jetzt, Skyllia. Lass sie in Ruhe«

»Kann ich sie vielleicht zu etwas Süßem einladen«, entgegnete die Elfe, die zögerlich Abstand von mir nahm. »Oder ein Spielzeug kaufen?«

»So jung bin ich nun auch nicht mehr«, entgegnete ich trocken.

»Was macht ihr denn hier in der Stadt?«, fragte Lissi ganz unbefangen.

»Was man so in Drywheg macht«, entgegnete die Elfe im roten Kleid, die weit weniger energisch war als mein Gegenüber. »Wir besuchen einige Händler für Routen in den Norden in unser Reich. Aber hiernach gehen wir nach Wheinthrum, die Hauptstadt, für eine Audienz mit dem Kaiser.«

»Ihr seid Diplomaten?«, sagte ich und schaute mich um. »Ganz allein?«

»Wir sind mehr«, meinte der männliche Elf, der meine Überraschung zu verstehen schien. »Aber diese beiden ließen sich nicht davon abhalten, die Stadt zu erkunden.«

»Wir Elfen haben nämlich keine Städte«, sagte die rothaarige Elfe, die sich nicht davon abhalten ließ, meine Hand zu ergreifen, so als wolle sie mich gleich mit sich ziehen. »Nur zu großen Festen kommen wir in hoher Zahl zusammen. Deswegen ist es so faszinierend zu sehen, dass zehntausende Menschen dauerhaft an einen Ort leben können!«

»Eine Audienz beim Kaiser!«, rief Lissi derweil aus. »Weswegen denn? Heirat vielleicht?«

»Ah«, meinte die brünette Elfe und ihre Hand verschwand endlich vom Kopf meiner Begleiterin.

Auch das Gesicht des Spitzohres bei mir verlor an Heiterkeit.

»Wir wollen um potentielle Unterstützung bitten«, meinte der männliche Elf. »Die Spaltung zwischen uns und den Dunkelelfen hat sich in den letzten Monaten verschärft. Ein Bürgerkrieg droht.«


Das Wispern aus dem AbgrundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt