Kapitel 36: Lissi

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»Nilim«, stellte ich mich vor und ergriff ihre ausgestreckte Hand. Das anschließende Schütteln renkte mir beinahe den Arm aus.

»Was für ein schöner Name! Hast du dir schon eine Blume ausgesucht?«

Ich sah hinab auf die Decke und entschied mich für ein Exemplar, dessen »Blüten« kunstvoll zusammengerollte Kastanienbaumblätter mit gelblicher oder bräunlicher Färbung waren. Die Dornen waren in Dreiergruppen am Stiel befestigt.

»Ah und wieso das?«

»In der Nähe meines alten Hauses waren Kastanienbäume.«

»Verstehe. Ich hätte gern das dort!« Lissi deutete auf eine Blume, dessen Blüten pechschwarz waren. Erst beim Aufheben bemerkte ich, das die toten Pflanzenteile mit Ruß angemalt waren. Die Stachen bestanden aus Stahl.

»Wirkt nicht sehr vergänglich«, meinte ich dazu nur.

Die alte Verkäuferin lachte wieder. »Gib es genug Zeit Kind. Auch Eisen rostet irgendwann.«

Nachdem unsere beiden Blumen behutsam in Papierstücke eingewickelt waren, schlenderten wir gemeinsam über den Marktplatz.

»Schwarzes Haar sieht man hier selten«, meinte das blonde Mädchen und strich wie selbstverständlich durch meine Strähnen. »Meine Mutter hätte dich sehr gemocht.«

»Wieso?«

»Sie liebte die Farbe schwarz. Sie meinte immer, es erinnere sie an meinem Vater. Woher kommst du?«

»Aus den östlichen Königreichen. Ich verließ mein Heimatdorf, nachdem meine Eltern verstorben sind.«

»Das ist aber weit weg! Wie kamst du hierher?«

»Ich kannte den Priester des Dorfes gut. Er hat mir das Lesen und Schreiben beigebracht. Er organisierte es, dass ich mit einer Handelskarawane nach Süden mitreisen dürfte. Schließlich landete ich hier.« Beim Lügen war es wichtig immer auch wahre Begebenheiten einfließen zu lassen. So konnte man mit mehr Überzeugung sprechen und verhedderte sich weniger in Widersprüche.

»So eine weite Reise! Ich selbst komme ja aus dem Süden, aber es ist immer noch die Westseite des Kontinents. Deine Eltern scheinen vom Himmel aus gut auf dich aufzupassen!«

»Vielleicht tun sie dies.«

»Nein«, erwiderte Lissi bestimmt und umpackte meinen Arm. »Ganz sicher passen sie auf dich auf!« Ihre blauen Augen, bis eben noch groß und unschuldig, besaßen nun eine gewisse Härte und ich erkannte, dass es eine Diskussion geben würde, wenn ich nicht nachgab.

»Tun sie«, sagte ich deswegen nur.

Das Mädchen strahlte und deutete dann zu einem Stand am Rande des Marktplatzes, der anscheinend so etwas wie Waffeln verkaufte. »Willst du welche? Ich zahle.«

»Nein, ich brauche...«

»Ich bestehe darauf! Wir sind ja jetzt Freunde?«

Sind wir das? Ich musste durchaus zugeben, dass mich die Situation langsam etwas überforderte. Eventuell war es besser einfach alles abzunicken, was dieses Mädchen wollte.

»Ich spendiere dann dir irgendwas... Lissi.«

Kaum hörte sie ihren Namen aus meinem Mund, da umarmte sie mich wie aus dem Nichts und dies tatsächlich sogar fester als Malin. Dann eilte sie zu dem Stand.

Mit einem Seufzen stellte ich mich in der Nähe eines Kontors am Marktplatzrand und wartete. Ich hatte inzwischen durchaus bemerkt, dass wir verfolgt wurden. Mehrere unscheinbar wirkende Gestalten, die es perfekt wussten in der Menge unterzugehen, doch Lissi und mich nicht aus den Augen ließen. Allerdings spürte ich von ihnen keine Aggressivität, auch wenn sie mitunter sehr dicke, schwarze Tropfen mit sich herumschleppten.

Leibwächter und auch nicht zu knapp. Das könnte hässlicher werden als gedacht. Ich schaute auf die Papiertüte mit der falschen Pflanze herab und ein Gedanke kam mir.

»Cecilia«, murmelte ich und hörte kurz darauf ein Rascheln in einer nahen Gasse. Sie trug nun einen schmutzigen Umhang und täuschte ein Humpeln vor. Ihr Gesicht war unter einer Kapuze verdeckt.

»Meisterin Nilim«, sagte sie leise und hob ihre Hand.

Ich gab ihr einige Münzen. So sollten alle Umstehenden denken, dass sie eine Bettlerin war. »Kaufe dir damit eine Blume und lege sie in einem Tempel für eine Eltern ab. Komm dann zur Bäckerstraße. Der Kampf wird ein größerer werden.«

Sie stockte als sie dies hörte und ich fürchtete schon einen überschwänglichen Dank zu bekommen. Doch sie beherrschte sich zum Glück.

»Ja, Meisterin Nilim.« Sie wandte sich ab, hielt aber noch einmal inne und flüsterte mir in einem trockenen Tonfall zu: »Sie scheinen immer leicht die Aufmerksamkeit hübscher Mädchen zu bekommen, Meisterin Nilim. Zuerst die Halbelfe und nun sie.«

Damit ging sie zur nächsten Gasse um dort mit der Dunkelheit zu verschmelzen. Ich blieb verwundert zurück, nicht wissend wie ich die Bemerkung einordnen sollte.

Zum Glück kam dann Lissi zurück und ihr ständiges Geplapper lenkte mich dann vom Denken ab.


Das Wispern aus dem AbgrundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt