Streit um den Mieder Kapitel 10

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2 Monate später, in meinem Zimmer

Ich weiß nicht zum wievielten Mal ich meine Augen öffne in der Hoffnung, dass ich wieder in meiner Welt aufwache.
Doch es ist wieder ein ganz normaler Tag, an dem ich aufstehe ins Badezimmer humpel, mein Gesicht in einer Schüssel Wasser wasche und darauf warte das Frederike kommt und mir dabei hilft mich anzuziehen.
Ich schaffe es immer noch nicht alleine meine Kleidung anzuziehen, ohne das ich sie vor Wut und Verzweiflung zerreißen will.
Mein Arm in einer Schlinge und mein Fuß an eine Schiene gebunden, sitze ich aufrecht auf der Bettkante und starte wieder gedankenverloren aus dem Fenster.
Ich höre wie Frederike unter mir in der Küche arbeitet und Schuldgefühle überkommen mich wieder.
Ich sitze hier und bin nur ein Klotz am Bein.
Wenigstens heilt mein Körper ziemlich gut. So kann ich ihr wenigstens bald zur Hand gehen.

Seit ein paar Wochen kann ich wieder ruhig atmen und zucke nicht bei jeder falschen Bewegung zusammen.
Meinem Bein scheint es auch deutlich besser zu gehen.
Ich kann es insgeheim kaum abwarten, die Schiene endlich von meinem Bein ab zunehmen.
Doch das einzige was immer noch nicht besser geworden ist sind meine Stimmbänder.
Ich würde wirklich zu gerne wissen, warum ich immer noch nicht sprechen kann, auch Frederike fängt langsam an sich Sorgen zu machen.
Wir alle dachten das ich einfach zu viel geschrien habe, als ich auf der Wiese vor der Klippe lag.
Wir dachten wirklich, dass deswegen meine Stimmbänder überstrapaziert wurden und das sich das nach ein oder zwei Wochen wieder beheben würde.
Aber Pustekuchen.
Ich bin immer noch stumm und humpel mit meiner Tafel unterm Arm, in meinem Zimmer herum.
Frederike hantiert immer noch in der Küche herum und ist total vertieft in ihre Arbeit.
Um auf mich aufmerksam zu machen, nehme ich ein Holzstühle vom Korb neben dem Ofen und klopfe damit auf den Boden.
Frederike und ich hatten ausgemacht, dass wenn ich früher aufwache und ihre Hilfe brauche würde, einfach mit einem Gegenstand auf den Boden klopfen sollte, damit sie mich in der Küche hört.
Das klappt immer und keine Minute später klopft es an der Tür und Frederike steckt ihren Kopf zur Tür herein.
„Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?"

Ich lächelte sie an und hielt ihr die Tafel hin.

„Ja danke, ich habe gut geschlafen"
„Das ist schön!"

Sie trat in mein Zimmer ein, mit einem Kleidungsstück ähnelndem Ding in der Hand und kam lächelnd auf mich zu.

„Schau mal ich habe doch noch ein Mieder von mir gefunden, leider aber kein passendes Kleid, du musst mit der Hosen und dem Oberteil meiner Söhne zurecht kommen, bis wir was passendes gefunden haben."

Ich verzog das Gesicht, nahm die Tafel wieder auf um etwas darauf zu schreiben.

Frederike sah meinen Gesichtsausdruck und deutete ihn falsch.
„Verzeih, ich werde nachher Leo bitten in der Stadt, bei meiner Freundin ein passendes Kleid auszuleihen."
Ich schüttelte schnell den Kopf und hielt ihr die Tafel hin.

„Muss der Mieder wirklich sein? Er sieht ungemütlich aus. Als ob er meine Taille zusammenquetscht, bis sie nur noch halb so groß ist.
Ich verstehe ja das der Mieder alles an seinen Platz halten soll und das jede junge Dame in meinem Alter einen trägt, aber er drückt so unangenehm an manchen Stellen."

„Aber Schätzen es ziemt sich nicht für eine junge Dame in deinem Alter ohne Mieder herum zu laufen. Was sollen die Leute von dir denken? Dein Renommee würde in Verruf geraten, wenn dich jemand ohne Mieder sehen würde."

„Was wäre so schlimm daran, mich sieht doch außer dir und Leo sowieso niemand.
Selbst Alessandro rennt vor mir weg, wenn ich am Fenster sitze und ihn Grüße.
Und heiraten will ich nicht."

Stille

Frederike starrt mich an, als komme ich von einer einer Welt.
Ich glaube ich habe sie in den letzten zwei Monaten noch nie entrüstet oder schockiert gesehen.
Aber jetzt schaut sie mich so entgeistert an und hält mir den Mieder weiterhin hin.
Ich nehme die Tafel wieder und suche nach den richtigen Worten, um Frederike nicht zu
verletzten, aber gleichzeitig nicht diesen schrecklichen Mieder tragen zu müssen.

„Frederike, es tut mir leid wenn ich dich verletzt habe, aber bitte!
Ich fühle mich nicht wohl diesen Mieder zu tragen, meine Rippen sind gerade erst verheilt.
Wie wäre es wenn wir ein Stück Stoff nehmen und den stattdessen um meine Brust binden, damit der halt immer noch bleibt, ich aber atmen kann?"

Mit einem kleinen Seufzer willigt sie ein und legt den Mieder zu Seite und verschwindet aus dem Zimmer.
Ich höre wie sie den Flur entlanggeht und wie eine Tür ins schloss fällt.
Ich dachte schon ich habe sie vergrault, als sie wieder zurück kommt, mit einem Stoff in der Hand.
Ich lächelte sie dankend an und nehme den Streifen Stoff, um meine Brust an Ort und Stelle zu halten.

Danach half sie mir in die Hosen, die sie aus der Kiste vom Dachboden mitgebracht hatte.
Es war aber ziemlich schnell klar, dass diese Hose für einen Jungen gemacht wurde.
Sie passten in der Länge perfekt, nur war mein Oberschenkel einfach breiter als die Hose hergab und so musste ich eine viel zu lange Hose anziehen.
Wir krempelten die Beine noch hoch und Frederike band mir ein Stück Schnur um die Knöchel, damit die Hosen mich nicht beim laufen behindern würden.
Um die Hose um meine Hüfte herum an Ort und Stelle zu halten, holte Frederike einen Gürtel aus ihrem Schlafzimmer und band ihn mir um die Hüfte.
Mit den großen Oberteilen war es leichter eine Lösung zu finden, damit ich nicht aussah als hätte ich einen Sack übergeworfen.
Ich knotete den überschüssigen Teil zusammen und klappte ihn nach innen, damit ich am Ende nicht von Picasso mit einem Futtersack verwechselt werde.
Schuhe konnte ich noch nicht tragen, dass machte aber nichts, ich würde sowieso nicht weit herum laufen können und im Haus trug sowieso niemand Schuhe.

Es ist so eine Erleichterung wenn Frederike mir beim Anziehen hilft, alleine wäre ich wirklich verzweifelt.
Schon nach kurzer Zeit stand ich angezogen vor ihr und wir wagten den ersten Versuch die Treppe herunter in die Küche zu laufen.

Die Macht der Beobachtung  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt