12 - Verborgene Talente

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Die Stimmung zwischen Mile und mir ist merkwürdig. Irgendwie so angespannt und bedrückt.

Dieses Mal waren es aber nicht Miles Worte, die so scharf wie eine Messerklinge geschnitten haben, sondern meine.

Ob ich meine Aussagen bereue? Einerseits schon, weil ich Mile damit verletzt habe, andererseits auch nicht, denn sonst hätte er mich nicht von seiner Meinung überzeugen können.

Ich seufze und lasse meinen Blick in die obere, rechte Ecke wandern. Neben dem Akku-Symbol wird nur noch ein Wert von 48% angezeigt.

Verdammt! Wenn wir dieses Handy lebendig verlassen wollen, müssen wir uns ranhalten!

Da Mile ausnahmsweise mal nicht den Anschein erweckt, als würde er sich in den nächsten Minuten eine neue App aussuchen, übernehme ich diese Aufgabe. Mit schnellen Schritten eile ich über den unscharfen Untergrund und halte nach einer App Ausschau, die wir noch nicht besucht haben.

Es dauert ein paar Sekunden, bis ich fündig werde. Unter meinen Füßen ist nun eine grüne Kachel mit drei schwarzen Strichen zu sehen. Ich glaube, mich zu erinnern, dass das Logo eine stilisierte Schallwelle darstellen soll, die Musik und Klang miteinander vereint.

Wenn es eine App gibt, die die angespannte Stimmung zwischen Mile und mir wieder auflockern kann, dann ist das eindeutig Spotify!

Begleitet von einem Fünkchen Vorfreude berühre ich die grüne Kachel und lasse mich danach mit ausgebreiteten Armen in die Dunkelheit fallen. Einige Sekunden treibe ich orientierungslos in dem schwarzen Schleier, bis er sich langsam auflöst und ich vor einer riesigen Leinwand zum Stehen komme. Wie sollte es auch anders sein, befinden sich Mile und sein ekeliger Knoblauchsalamigestank unmittelbar neben mir.

„Interessante App-Auswahl", murmelt er leise. Seine blauen Augen sind währenddessen auf die acht verschiedenen Bands gerichtet, die mitsamt Foto auf der Leinwand aufploppen.

5 Seconds of Summer.

The Wanted.

One Direction.

LANY.

The Vamps.

Lovelytheband.

Why Don't We.

The Tide.

„Oh man." Mile schüttelt seinen Kopf, sodass seine honigblonden Locken wild herumwirbeln. Wie ein loderndes Feuer, das um sein Gesicht tanzt. „Das sind ja alles Boy Bands ..." Als hätte er in eine Zitrone gebissen, verzieht er seinen Mund zu einer Grimasse.

„Na und?", hake ich schnippisch nach. „Mir gefällt die Musik!"

„Dann hast du wohl noch keine richtige Musik gehört, Eiskönigin", provoziert mich Mile mit seinem dämlichen Grinsen.

„Ach ja?" Ich hebe skeptisch meine Augenbrauen. „Und was ist richtige Musik für dich?"

Angesichts seines Barbie-Girl-Klingeltons bezweifele ich, dass er einen besseren Musikgeschmack hat als ich.

Ohne mir eine Antwort zu geben, wandert Miles Blick zu der schwarzen Leiste, die sich ganz unten auf der Leinwand befindet. Dort sind ein Haus, eine Lupe, mehrere Bücher und das Schallwellen-Symbol zu sehen.

Mile klickt auf die Lupe, sodass einen Wimpernschlag später ein Suchfeld erscheint. Blitzschnell schweben seine Finger über die Tastatur und tippen Highway to Hell von AC/DC ein.

Oh Gott ... Nichts gegen die australische Hard-Rock-Band, aber ich befürchte, dass meine Ohren das Gegröle nicht überleben werden.

„Pass gut auf!" Mile funkelt mich aufgeregt aus seinen blauen Ozeanaugen an. „Jetzt siehst und hörst du endlich mal, was richtig gute Musik ist!"

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