4 - Die Jagd beginnt

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Weil Mile schon die ersten beiden Apps ausgesucht hat, reiße ich das Zepter nun an mich. Es wird allerhöchste Zeit, etwas weniger von meinem Leben preiszugeben und dem Idioten zu zeigen, was das Wort Privatsphäre bedeutet. So, wie er sich in der Galerie und auf WhatsApp benommen hat, scheint er dieses Wort nämlich nicht zu kennen.

Mit zielstrebigen Schritten steuere ich eine Kachel an, unter der in geschwungenen Buchstaben Subway Surfers geschrieben steht. Auf dem Bild ist ein animierter Comic-Mann zu sehen, der eine pinke Cap mit drei Herzen trägt und eine Graffiti-Sprühdose in der Hand hält. Im Hintergrund erkenne ich einen griechischen Tempel.

„Oh, interessante Wahl, Eiskönigin", ertönt Miles Stimme hinter mir, weshalb ich zusammenzucke. Ich hasse es, so ein kleiner Angsthase zu sein, der total leicht und schnell zu erschrecken ist. Ändern kann ich das aber leider nicht. „Wusstest du, dass ich als Kind der Subway Surfers König war?" Er funkelt mich herausfordernd aus seinen blauen Augen an.

„Ach echt?", frage ich ihn möglichst unbeeindruckt. „Ich war nicht nur als Kind die Subway Surfers Königin, sondern bin es heute immer noch!"

Ohne Mile die Chance zu geben, etwas auf meine Kampfansage zu erwidern, tippe ich auf die Kachel mit dem Sprühdosen-Mann. Sofort werde ich von der Dunkelheit begrüßt und gleite schwerelos durch die schwarze Farbe hindurch.

Von langer Dauer ist dieser Zustand allerdings nicht, denn schon nach wenigen Sekunden lande ich wieder auf einem festen Untergrund und beobachte, wie sich die Finsternis in langen Bindfäden auflöst.

Zum Vorschein kommt nun ein blauer Zugwagon, der mit einem Graffiti besprüht ist. In schnörkeliger Schrift steht dort Greece. Subway Surfers. Love Odyssey geschrieben. Passend zum Valentinstag, der in wenigen Tagen bevorsteht, ist das v von dem Wort Love zu einem Herzen geformt.

Wie romantisch ...

Vor dem Zug hüpft der animierte Comic-Mann mit seiner Cap und seiner Sprühdose herum. Wenn ich mich richtig erinnere, heißt dieser Charakter Jake.

Rechts, links, unter- und oberhalb des Wagons sind mehrere Symbole abgebildet, denen ich allerdings keine Beachtung schenke. Es ist mir egal, welche Missionen ich erfüllen soll oder was für neue Events es gibt. Ich möchte einfach nur spielen und Mile besiegen. Und zwar haushoch!

Was genau Subway Surfers eigentlich ist? Ein endloses Runner-Spiel, bei dem ein ausgewählter Charakter einem Wachmann entkommen muss, indem er über Züge und Hindernisse in einer U-Bahn-Umgebung springt. Während des Spiels sammelt der Charakter Münzen und verschiedene Power-Ups, um die Punktzahl zu erhöhen und länger zu überleben.

„Echt abgefahren!", höre ich Mile irgendwann aufgeregt neben mir sagen. Ein Funkeln breitet sich in seinen ozeanblauen Augen aus und lässt sie erstrahlen. Wie einen Stern, der den Nachthimmel erleuchtet.

„Da hast du Recht", stimme ich ihm ausnahmsweise mal zu.

Es fühlt sich surreal an, in einem Handyspiel gefangen zu sein, das ich als Kind teilweise mehrere Stunden am Tag durchgesuchtet habe. Trotzdem ist es auch verdammt cool, hier zu sein.

„Also ... Wer fängt an?", fragt mich Mile neugierig und voller Tatendrang. Dass er am liebsten sofort loslaufen und über die Züge springen würde, ist nicht zu übersehen.

„Können wir nicht gleichzeitig spielen?"

„Ich denke nicht." Mile schüttelt den Kopf, sodass seine honigblonden Locken aufgeregt hin und her hüpfen. „Hier. Schau!" Er deutet auf ein kleines Handy, das sich in seiner rechten Hand befindet. Auf dem Display ist das Spiel Subway Surfers geöffnet.

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