chapter 4

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Die Zeit verging und ich war in meinem Kopf gefangen, in meinen Erinnerungen. Ich schlief auf dem Boden neben der Tür des Turmzimmers. Beziehungsweise ich lag dort immer mal wieder für ein paar Stunden. Schlafen tat ich kaum jemals. Manchmal kam der Mann und erzählte mir noch mehr Geschichten. Eine davon kannte ich. Sie wurde mir vor nicht allzu langer Zeit erzählt. Sie handelte von einer Dämonin und einem Engel, die sich ineinander verliebten und einer Seherin, die sie mit ihrer Unsterblichkeit beschützte.

Das Zimmer bereitete mir Unbehagen. Jeder einzelne Gegenstand, der sich hier befand ebenfalls. Obwohl ich bereits seit einer ganzen Weile hier sein musste, die Zeit ließ sich schwer abschätzen, hatte ich noch nichts angefasst, außer die Decke, als ich die goldene Kugel abgelegt hatte.

Die drei Ringe, die den Weg hierher überstanden hatten, hatte ich gemeinsam mit meiner Uhr und meinem letzten Dolch auf einem der Schreibtische abgelegt. Ich brachte es nicht über mich irgendetwas davon anzusehen.

„Vio..." Ich zuckte so sehr, dass es mir bis in die Knochen wehtat. Die Stimme kam von weit weg und ich wusste sofort zu wem sie gehörte.
„Oma?" Stocksteif blieb ich im Türrahmen sitzen, hörte auf zu atmen, aus Angst, dass sie dann wieder verschwinden könnte.

„Hey mein Drachenherz."
„Du bist wach... geht es dir gut?" Es war mir egal, wie das sein konnte, dass wir miteinander sprechen. Egal, ob es eine Falle war.

„Wir haben nicht viel Zeit." Ihre Stimme war nun deutlicher zu hören. „Das ist das letzte Mal, dass wir miteinander sprechen können. Sie haben mich nun gefunden und ich habe keine Kraft mehr. Auch deine kleine Dämonin Freundin wird nichts gegen sie ausrichten können."
„Was... wovon..." Mein Stammeln ging unter.

„Ich wünschte, ich hätte Zeit dir alles zu erklären, aber ich habe gerade erst den Bann gebrochen. Ich habe dich immer sehr geliebt, Vio. Genau wie deine Eltern. Zweifle nie daran. Zweifle nie an dir." Ich bekam kaum Luft. „Du wirst ihn besiegen, hörst du? Den falschen Kronprinzen und alle, die sich in deinen Weg stellen. Du kannst alles schaffen. Denk an deine Drachenkraft." Ein schmerzhaftes Stöhnen schallte durch mein Bewusstsein, gefolgt von einem metallischen Klirren. „Es tut mir..." Dann war sie weg. Ich suchte nach ihr, versuchte ihrer Stimme zu folgen. Und dann sah ich es. Ihr Zimmer in der Clayton. Zwei Dämonen, wie sie meine Oma mit einem Dolch erstachen, einen Rubin und einen Spiegelsplitter in seinem Heft.

Die Schatten waren mir wohlgesinnt gewesen. Jetzt wohl kaum mehr. Dunkelheit nahm mich ein, fraß sich bis in mein Innerstes. Sie hatte mich vor Alicia gewarnt, nach Balthazar schicken lassen. Sie hatte mich zur Eile angetrieben, als wir Ale gerettet haben und ich habe zugesehen, wie sie umgebracht wird.

Es war der letzte Tropfen. Der letzte Tropfen Dunkelheit, der das Fass in mir zum Überlaufen brachte.

Ich hatte mich schon merkwürdig gefühlt. Aber es war kein Vergleich zu dem, wie ich jetzt war, als ich aufwachte. Ich rappelte mich hoch. Meine Finger waren eiskalt, als sie über die Kante der Schreibtische strichen, über die hölzernen Regalbretter, die Decke und die goldene Kugel. Zielsicher ging ich zu dem niedrigsten der Regale und schob die Bücher beiseite. Dahinter kam ein Heft zum Vorschein. Ein Heft mit einem lila bemalten Umschlag voller Schnörkel. Voller Runenmagie, die längst verloren geglaubt war.

Ich studierte das Heft und jedes einzelne Buch in dem Turmzimmer. Ich las alles und setzte die zahlreichen losen Fäden zu einem Ganzen zusammen.

Wie viel Grausamkeit kann ein Mensch ertragen, bis er darunter zusammenbricht? Bis er nachgibt und zu Brei wird. Oder bis sie ihn stählt, bis sie ihn härtet und formt und unwiderruflich verändert. Wie viel Verlust ist nötig? Wie viel Hass?

Als der Mann mich wieder mal besuchte und mich fragte, ob ich Lust auf einen Spaziergang hatte, ging ich mit. Ich folgte ihm, als er in der Burg immer tiefer stieg. Ich ignorierte seine besorgten Blicke, nahm zur Kenntnis was er mir erzählte, doch es war mir egal. Ich brauchte einen Weg hier raus und er war das einzige andere Wesen hier.

Er blieb vor einer hohen, massiven Holztür stehen. Ich nahm seine Unruhe wahr, obwohl er reglos stehen blieb. Fragend hob ich eine Augenbraue, woraufhin er seufzend die Tür öffnete. Nach einer Ewigkeit in dem Turmzimmer war das schon eine Reizüberflutung. Ich roch verschiedene Gewürze, hörte ein Hämmern und ein beständiges Summen. Der Mann, er hat sich irgendwann als Zif vorgestellt, ging voran und ich folgte ihm.

Das Summen wurde lauter und es kamen noch mehr Geräusche hinzu. Ein Klappern und Hacken, ein Schaben. Wir gingen an verschlossenen Türen vorbei, der ersten nicht unähnlich, nur weniger massiv. Dann blieben wir stehen. In einer geöffneten Tür und vor mir erstreckte sich ein Saal voller Leute.

Leute, die an langen Tischen aßen. Das Summen waren ihre Stimmen. Das Klappern kam vom Besteck und das Schaben von den Tellern. In der anliegenden Küche wurde Gemüse geschnitten. An der Essenausgabe stand eine Schlange mit noch mehr Leuten.

„Du fragst dich bestimmt, wer diese Leute sind."
Ich warf Zif einen kurzen Blick zu. Es war mir fast egal. Aber nur fast.
„Weißt du noch, wie du hierhergekommen bist? Woran hast du gedacht?"

Ich versteifte mich unwillkürlich. Das war ein unangenehmes Thema. Über das ich nicht nachdachte. An das ich überhaupt nicht dachte. Aber trotzdem wusste ich es sofort. Ich hatte an einen sicheren Ort gedacht.

Zif sah mich wissend an. Wie immer nicht freundlich, aber auch nicht feindselig. „Das hier ist ein sicherer Ort für alle, die einen brauchen." Inzwischen waren ein paar Leute auf uns aufmerksam geworden. Ein Kind winkte in meine Richtung. Eine Frau nickte mir im Vorbeigehen zu. Ich drehte mich um und ging. Das würde mir bei meiner Mission nicht helfen.

Queendom of AshWo Geschichten leben. Entdecke jetzt