chapter 16

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Vio

Bevor Sariel meine Frage nach unserem Aufenthaltsort beantworten konnte, warf sich ein kleines Kind in ihre Arme.
„Hey Amaia", begrüßte sie die Kleine. Das Mädchen musterte mich aus ihren dunklen Augen.

„Hi", sagte ich vorsichtig. Sie streckte mir ihre Faust entgegen und ich hob meine ebenfalls und stieß leicht gegen ihre. Die Kleine guckte verdutzt, doch bevor ich mir selbst eine mentale Ohrfeige geben konnte, fing sie an zu kichern. Sie drehte sich um und lief mit wackligen Schritten zu einem Mann, der nicht weit von uns entfernt stand.

Irgendwie schien Amaia den Bann gebrochen zu haben, denn plötzlich stand da ein weiteres Kind vor mir. Der Junge sah mich an. „Ich bin Moran, kannst du mir beibringen, wie man kämpft?" Ich gab irgendeinen unverständlichen Laut von mir.

„Ich habe gehört, dass du sehr gut kämpfen kannst. Die meisten hier sind so verdammt pazifistisch." Er verdrehte die Augen. Sariel lachte leise und er warf ihr einen bösen Blick zu. „Du hast schließlich von so gut wie nichts anderem geredet. Vio hat dies, Vio hat das." Dann zuckte sein Blick plötzlich erschrocken zu mir. „Tut mir leid..."

Eine Frau war neben den Jungen getreten. „Seht es ihm bitte nach, Eure Hoheit. Wir... Es gibt hier selten Besuch... dieser Art."
Sariel war still geworden. Und ich auch. Sie wussten, wer ich war.

Ich wandte mich an Moran. „Ich bin selbst noch in der Ausbildung. Du müsstest mal... meine Lehrenden kämpfen sehen. Aber wenn du möchtest, bringe ich dir gerne ein paar Handgriffe bei." Der Junge strahlte und rannte davon.

„Ich habe ein Bild für dich gemalt." Das nächste Kind stand vor mir. Grüne Augen. Ich sah weg.
„Dankeschön." Das waren Kinder, also ließ ich die Höllen-Regeln mal unbeachtet.
„Das bist du." Sie deutete auf eine Gestalt auf einem Thron. „Und da ist Sariel." Man konnte eine Schlange erkennen, die größer war als ich. Ihre Schuppen leuchteten in allen Regenbogenfarben.

„Und du magst Sariel?", fragte ich das Mädchen lächelnd. Sariel kuschelte sich an meinen Arm und betrachtete das Bild. Es gefiel ihr.
„Oh ja! Aber dich auch."

Als ich zum Turmzimmer hochstieg, hatte ich längst den Überblick verloren. Da waren so viele Gesichter, so viele Namen. Und so viele Wunden. Nicht alle hatten körperliche Narben, aber es waren unglaublich viele. Ein Kind hatte einen verbrannten Arm. Eine Frau keine Finger mehr. Das Gesicht eines Mannes bestand nur noch aus Narben. Ihm fehlte ein Auge. Einige Leute saßen im Rollstuhl oder konnten sich nur mit Krücken bewegen. Ich konnte mir nicht vorstellen, was und wer solche bleibenden Wunden bei Dämonen bewirken konnte. Wie das überhaupt möglich war, die Selbstheilungskräfte zu umgehen.

Und ich verstand erst jetzt, dass das hier wirklich eine Zuflucht war. Dass diese Leute Schreckliches erlebt hatten und nun hier einen sicheren Ort gefunden hatten. Und ich hatte das Gefühl nicht zuordnen können, aber es ging mir auch so. Ich fühlte mich hier geborgen. Sicher. So irrational das auch sein mag.

Sariel war vor einiger Zeit schlafen gegangen und ich hatte sie sofort vermisst. Ich konnte nicht glauben, dass Chimi ein Kind war. Dass ein Kind mich aus der Wüste gerettet hatte. Dass ich mit einem Kind in Leviathas Reich geflogen war. Dass sie erkannt hatte, dass Barbados Ramiels Gestalt angenommen hatte, noch vor allen anderen. Chimi, die sich für ein kleines Wesen in eine Arena warf. Chimi, die versucht hatte mich zusammenzuhalten, als ich gebrochen war.

Als ich das Turmzimmer betrat, fiel mein Blick sofort auf die kleine Gestalt auf der Fensterbank. Eingerollt in die Decke, die immer da lag. Sariel schlief tief und fest. Ich lehnte mich an den Türrahmen. Mein Leben war außer Kontrolle. Aber eins hatte ich erkennen müssen. Ich hatte mir eingeredet nichts mehr zu verlieren zu haben. Aber da war immer etwas. Es würde immer etwas geben, was er mir nehmen könnte.

„Und wie gefällt dir dein Königinnenreich?" Sariels verschlafene Stimme holte mich aus meinen Gedanken.
„Da sind wir also? Im achten Höllenkreis?"

„Jep. Willkommen zuhause, Eure Majestät." Sie nuschelte und ihr Atem wurde wieder gleichmäßig. Sie hatte Ramiels mitternachtsschwarze Haare, seine Gesichtsform und auf jeden Fall sein Grinsen. Und wenn er von ihrer Existenz wüsste, würde er alles geben, um sie kennenzulernen. Am liebsten würde ich wieder diesen Spalt nutzen, den er in seiner Barriere offenhielt. Es war unfair, es ihm nicht sofort zu sagen. Aber mein Beschützerininstinkt hielt mich davon ab. Hielt mich davon ab, irgendwem zu erzählen, wer Sariel war.

Das Problem war nur, wenn ich nicht im Zirkel gewesen war, sondern die ganze Zeit hier. Beziehungsweise nur mein Körper. War dann alles echt? Dass ich mit meiner Oma gesprochen hatte. Die Drachen?

Alles, woran ich mich erinnerte, als ich aufgewacht war, war Schmerz. Ich war in einer Zelle gewesen, steril und weiß und Layken hatte mich mitgenommen. Die weißen Roben der Zirkelwächter bewegten sich um uns herum. Dann waren wir in einem anderen Raum. Ich wurde gewaschen, driftete dabei immer wieder weg. Zurück in eine Welt mit Drachen und Flügeln und Gipfelluft. Bis der Schmerz mich einholte. Schmerz, der alles in mir gleichzeitig angriff. Ich spürte das kühle Metall an meinen Schwingen, aber der Schmerz saß vor Allem in meinem Kopf.

„Vio?" Sariels Stimme ließ mich hochschrecken. Sie hatte sich aufgerichtet und sah mich an. „Kannst du herkommen?" Ich nickte und ging an den Schreibtischen vorbei zur Fensterbank. Zu dem Ort, der mal mein Lieblingsplatz war. An dem ich Stunden mit meinem Vater verbracht hatte, wenn das hier nicht der Zirkel war, sondern mein Fürstinnenreich. Dann war ich wirklich hier gewesen. In meinen Träumen und mit meinem Vater.

„Wollen wir reden?", fragte sie und breitete die Decke über uns beide aus, bevor sie sich an mich kuschelte.

„Bist du nicht müde?" Sie schüttelte den Kopf. „In meinem Kopf ist... so viel Chaos." Mein Blick wanderte über die Bilderwand und blieb an einem der Bilder hängen. Ein blondes Kind mit einem Drachenherz, das Geheimzeichen für die Zahl zehn daneben. Viele andere Bilder zeigten mich mit Mo, mich und Papa in diesem Zimmer. Runen. Und ein weiteres Motiv, was immer wieder kehrte, war ein Bild mit Strahlen. Sie sahen aus wie Sonnenstrahlen, aber ich wusste, dass es keine waren. Weil mir ihre Anordnung nur allzu bekannt war.

„Wie geht es Ramie? Und Ale, Azael und Cael?" Ihre Stimme klang vorsichtig und ich erkannte zu gut, dass sie Angst vor den Antworten hatte.

„Gut, soweit ich weiß. Layken hat viele Menschen gefangen genommen und sie haben sie befreit. Deshalb war er auf Rache aus und wollte in die Welt der Menschen einfallen." Ich hoffte nur, dass sich seine Wut dann nicht gleich auf Ramiel verlagert hat und er nicht stattdessen in sein Reich eingefallen war.

„Du hast das verhindert."
„Ich hoffe es."
„Hast du, Vio. Ich spüre das."
Ich spürte die Barriere auch. Fragte sich nur, wie lange sie halten würde. „Wie alt bist du, Sariel?"
„Ich bin elf. Der Teufel hat mich gleich nach meiner Geburt in Chimi verwandelt und nur kurze Zeit später habe ich mich an Ramiel gebunden. Ich wusste nicht, dass das genau das war, was er erreichen wollte." Sie schluckte. „Alles, was er Ramiel angetan hat, hat er auch mir angetan. Es muss ihm diebische Freude bereitet haben."

„Ramiel... er würde sich unglaublich freuen, dich kennenzulernen, Sariel." Es war mir wichtig, dass sie das wusste. „Ale, Cael und Azael, sie werden alle ausrasten und dann werden sie sich streiten, wer dich zuerst umarmen darf und wer dir Bogenschießen beibringt und reiten."

Sie blinzelte die Tränen weg. Ich drückte sie fester. Das hier veränderte gleichzeitig alles und nichts. Denn nun war es nur umso wichtiger, meinen Plan durchzuziehen. Es war die einzige Option, sie in Sicherheit zu wissen und nicht noch mehr in Gefahr zu bringen.

Queendom of AshWo Geschichten leben. Entdecke jetzt