chapter 9

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Ramiel

Ihr Anblick hatte sich in meine Netzhaut gebrannt. Das Blut. Die Wunden. Der fremde, unbeteiligte Blick, aus den blauen Augen, die mir so vertraut waren. Ihre Haare silbern, ihre Haltung steif. Sie war sechs Wochen verschwunden gewesen, aber sie hatte ausgesehen, als wären Jahre vergangen. Der Blick war fremd. Selbst ihre Iriden wirkten heller als gewöhnlich. Ihre Haltung abgeklärt. Kein verstecktes Lächeln, kein Blinzeln, da war nichts, woran wir uns klammern konnten.

In einigen Mienen hatte ich Abscheu erkannt, in der von Craine und seiner Tochter. In Varaines und der des Zirkelführers, der ihn begleitet hatte. Hira war wütend gewesen, Balthazar wie so oft nicht anwesend. Iblis und Behemoth hatten die erste Gelegenheit ergriffen, um zu verschwinden. Was ein gutes Zeichen war. Einer Dämonin die Flügel abzuschneiden, war die schlimmste aller Strafen. Nicht nur führte es oft zu einem komatösen Zustand, der dem Tod sehr nahekam. Flügel waren eine Ehre, ein Privileg, das wir mehr schützten als all unsere Besitztümer. Sie waren heilig.

„Ich bin für Krieg." Ale stapfte neben mir durch das Schloss. Ihre Schritte schwer auf dem Marmor. „Lasst es uns einfach drauf ankommen lassen." Sie wirbelte mit den Dolchen in ihrer Hand und warf sie, ohne hinzusehen mit voller Wucht auf verschiedene Ziele, die wir zu Übungszwecken überall im Schloss angebracht hatten.

„Wir würden wahrscheinlich gewinnen." In Caels Stimme schwang das Aber mit, woraufhin Ale ihm einen mörderischen Blick zuwarf.

„Sie hat mich vor seiner beschissenen Mutter gerettet. Aus einem anderen Reich. Wie können wir hier sein und nicht bei ihr?" Ale schäumte vor Wut. Azael streckte eine Hand nach ihr aus, die sie ungeduldig abschüttelte. „Je länger wir warten, desto stärker wird er. Wir dürfen ihm keine Zeit geben seine Herrschaft zu festigen."

Damit hatte sie einen Punkt. „Wir müssen herausfinden, was mit ihr passiert ist." Cael schloss kurz die Augen. „Und ob es wieder rückgängig gemacht werden kann."

„Wir haben was gefunden." Nergals Eintreffen war eine willkommene Ablenkung.
„Sprich", forderte ich sie auf.
Die Kommandantin schloss zu uns auf. Ihre Haare waren kurz, ihr Blick fast immer finster. „Wir haben eine Barriere gefunden. Im achten Höllenkreis." Azael und Ale tauschten einen Blick. „Sie ist vorher nie aufgefallen, weil wir nie nach etwas gesucht haben. Aber sie ist fest, wirkt undurchdringlich. Ich habe so etwas noch nie gesehen", schloss sie ihren Bericht.

Ich seufzte. Ich konnte nicht sagen, dass ich etwas anderes erwartet hatte. „Was auch sonst", fragte ich niemand bestimmten. „Ihr Reich ist genauso verschlossen, wie sie selbst."

Nergals Blick ruckte zu mir. „Du meinst, das ist Vionas Reich?"
„Jep", bestätigte ich. Ale nickte zustimmend. Finsterer konnte ihr Blick kaum noch werden.
„Ach, du heilige Verdammnis."
„Er wird sie rehabilitieren. Er hat schon damit angefangen. Vielleicht ist es das, was sie erreichen will?"

„Verdammt unwichtig", unterbrach Ale wütend. „Wieso sitzen wir überhaupt hier? Sie würde das niemals machen, wenn jemand von uns in Gefahr wäre." Wieder ein Punkt an Azalee. „Ramiel!" Sie warf mir meinen Namen herausfordernd entgegen. Ihre Wut, unsere Wut nahm schon den ganzen Raum ein und dehnte sich immer weiter aus. Meine Selbstbeherrschung hing nur noch an einem losen Faden. Immer wieder, wurde ich in diesen Moment zurückgerissen, indem sie mich unbeteiligt ansah. Der Raum begann zu wackeln.

„Ale", zischte Cael vorwurfsvoll. „Das bringt uns gerade nicht weiter." Schatten nahmen den Raum ein und tauchten ihn zunehmend in Dunkelheit.

Azael räusperte sich. „Beruhige dich, Bruder", sagte er leise zu mir, dann lauter an alle: „Sie ist seine Schwachstelle. Die Einzige, die wir bisher kennen. Sie ist ihm wichtiger als der Thron, oder wenigstens so wichtig, dass er bereit ist, Verbündete zu verlieren, weil er sie rehabilitieren will. Er wollte sie schon immer auf seiner Seite haben." Die Dunkelheit vertiefte sich. Ich war mir sicher, dass die anderen kaum noch die Hand vor ihren Augen sehen konnten. Noch schlimmer war nur die Dunkelheit in mir drin. Noch finsterer. Noch unheilverkündender.

„Beratet mich", wies ich sie an. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, aber wir brauchten einen Plan. Wir hatten uns in die Sitzecke der Halle zurückgezogen.

„Wenn wir ihn angreifen, um sie zu holen, gibt es Krieg." Cael legte die Hände auf den Tisch vor uns. „Er hat Asmodais Haus und Unterstützung hinter sich, sowie die Armee seiner Mutter. Levitathas Leute haben uns schon immer gehasst. Jetzt hassen sie uns mehr und sie hassen Vio. Die Hohe Garde und die Elite halten sich bisher raus, sie sind aber auch nicht aus der Goldenen Stadt abgereist. Wem ihre Loyalität gehört, ist anscheinend noch nicht entschieden. Kein Volk wird bereit sein gegen Layken zu kämpfen. Ihre Zahlen und ihre Macht sind zu instabil. Sie können sich keinen Krieg leisten, wenn sie es nicht riskieren wollen, endgültig ausgelöscht zu werden. Zudem sind nicht alle von Vios Unschuld überzeugt." Varaine nickte zustimmend. Mein Blick zuckte zu seinen Fingern. Es waren blassrote Narben zurückgeblieben. Trotzt seiner Heilkunst und ich fragte mich, ob es eine Mahnung für mich sein sollte. Eine stetige Erinnerung an mein Versagen.

„Wir haben Hira, Balthazar und auch Iblis schien sich gut mit Vio zu verstehen", zählte Cael auf.

„Das heißt gar nichts", warf ich barsch ein. Wir konnten nicht auf Iblis vertrauen. Eigentlich auf niemanden. Nicht wenn es um Vio ging.

Cael fuhr fort. „Wenn wir in den Krieg ziehen, werden nicht nur Dämonen sterben. Layken wird die Menschen mit reinziehen und die anderen Völker, ob sie willig sind zu kämpfen oder nicht. Es werden tausende Unschuldige sterben. Geschweige von denen, die indirekt von den Auswirkungen betroffen sein werden. Von Klimakatastrophen, ansteigendem Hass und Rechtsradikalismus. Die Menschen werden sich weiter umbringen. Es wird noch mehr Kriege geben. Mehr Tote."

Ich wünschte, es wäre mir egal. Ein Teil von mir brüllte, dass es so war. Dass sie mir nichts bedeuteten.
„Wir müssen handeln, bevor die Krönung nächste Woche stattfindet. Bevor ihm alle die Treue schwören müssen." Azaels Worte klangen so falsch. Aber es stimmte. Wir hatten nicht viel Zeit.

Varaine räusperte sich. „Wir sind natürlich bereit, euch zu unterstützen." Azael drückte dankend Varaines Hand. 

„Und wir wissen ja, wie hilfreich eure Mittel sein können." Meine Stimme klang drohend, gefährlich und Varaine wich zurück. Ich schloss die Augen. „Machst du ihm gerade ernsthaft einen Vorwurf daraus, dass er den seelenlosen Dämon in dir ausgeschaltet hat?" Ich presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. Azael hatte recht. Das hätte ich nicht sagen sollen.

„Ich werde ihn herausfordern." Die Blicke am Tisch schnellten zu mir. „Ich werde ihn im Duell besiegen. Und auch wenn ich ihn nicht umbringen kann, mache ich ihm trotzdem das Leben zur Hölle." Zuerst konnte ich die Stille nicht deuten. Varaine sah auf Azaels Hand. Die anderen mieden meinen Blick. Ale wirkte besorgt. „Ihr glaubt, ich schaffe es nicht?" Bestürzung war gar kein Ausdruck, für das, was ich empfand. „Ihr glaubt, er würde gewinnen?" Ich war fassungslos. Doch ihre Gesichter sprachen Bände.

„Er hat die Magie des Teufels. Und wir alle wissen..." Azael sah mich an. Sein Blick purer Schmerz. „Wir alle wissen, wie stark seine Magie war und was sie... was sie ausrichten kann. Wir haben es gesehen." An dir. „Und jetzt hat Layken sie."

Die Narben auf meinen Rücken pochten. Die Narben in meiner Seele noch mehr. „Ich werde es tun." Meine Stimme war tonlos. Alles in mir fühlte sich verloren und dunkel an. Ich werde gegen ihn gewinnen oder dabei sterben.

Queendom of AshWo Geschichten leben. Entdecke jetzt