Kapitel 25

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Wo bin ich? Hier ist es so dunkel, eine erdrückene Dunkelheit. So dunkel...So dunkel, das es mir Angst macht. Angst, eine andere Art von Angst. Eine Angst die ich lange nichtmehr gespürt habe. Ich bewegte mich. Einen Fuß nach dem anderen, obwohl ich nichtmal wusste wohin oder in welche Richtung. Ich sah ein Licht, ein kleiner Punkt, der immer größer wird. Ganz langsam, je weiter ich laufe desto mehr wird diese Angst in mir stärker.

Alles fühlt sich so seltsam an. So leer und doch so bekannt. So heimisch und doch so fremd. Was ist das für ein Ort? Dieser Punkt, es ist kein Punkt mehr. Auch kein Licht, es wird nach und nach größer. Es ist aus Glas, vielleicht Plexiglas.

Ein riesiges Viereck, da drin ist jemand. Ich kann diese Person nicht ganz erkennen, dieser Käfig aus Glas erleuchtet diesen dunklen Ort. Sie kauert am Boden. Ein Mädchen mit hell brauen Haaren die ihr bis zum Schlüsselbein gehen, blasse Haut und weißes Kleid. Wie ein helles Gewand aus Leinen was ihr bis zu den Knien geht, sonnst trägt sie nichts, Nichtmal Schuhe. Ich höre sie wimmern, weint sie? Hat sie Angst?

Ich trete näher. Sie bemerkt mich. Sie offenbart sich mir. Ich schrecke zurück, das bin ich. Wie kann das sein? Ungläubig gucke ich die Gestalt an. Sie erhebt sich, hat immernoch Angst. Sie sieht aus wie ich, sie hat sogar die gleiche Brandverletzung am Arm.

Aber dann auch wieder nicht. Keine Tattoos, keine weißen Haare, keine Narben und sie redet. Und sie hört sich genauso an wie meine, aber fester, kein stottern oder Satzabbrüche. „Hilfe..." ein einfaches Wort, aber so viel Bedeutung.

Ich öffne zitternt meinen Mund. Ich trete wieder näher ran, sie tut es mir gleich. Ich kann nichts sagen. So ähnlich und doch so verschieden.
Sie guckt mich so flehend an, als wäre ich ihre einzige Rettung. Bin ich das? Warum ist sie eingesperrt? Wer ist sie?

„Du hast mich gefunden" Eine Mischung aus Freude und Trauer. So verzweifelt und doch so glücklich.
Ich lege meine rechte Handfläche ans Glas. Gefunden? Wusste sie das ich hierher komme?

Vorsichtig legt sie ihre Handfläche auf meine. „Ich bin die Stimme in deinem Kopf. Dein anderes ich." Es durchfuhr mich wie ein elektrischer Schlag. Selbst durch das Glas kann ich jede Ader in ihr spüren. Sie ist ich. Ich bin sie und sie ist ich. Warum ist sie hier eingesperrt? „Es tut mir leid. Ich musste dich irgendwie aufhalten, du hättest sonnst alles vernichtet. " Schuld ist zu spüren. Was meint sie damit?

Verwirrt gucke ich sie an. „Ich musste dich verstummen. Ich hatte keine andere Wahl!" Rief sie verzweifelt. Sie ist der Grund warum ich nichtmehr sprechen kann? „Wie eine Blockade. Es hindert dich. Ein Schutzmechanismus, derselbe wie damals." Sie ist der Grund warum ich nicht nichtmehr gesprochen habe?

Schon immer hatte ich mich gefragt warum ich nie gesprochen habe. Ich wusste es irgendwie, aber dann auch nicht. Es war die ganze Zeit ein Schutzmechanismus gewesen. Der Verlust meiner Stimme beschützte mich. Wenn ich jemals sprechen würde, würde es mich offen und verwundet zurücklassen. Ich habe es endlich verstanden.

„Lydia." Eine fremde Stimme nehme ich hinter mir war. Sie ist ruhig, aber auch Messerscharf. Als würde sie diesen dunklen Raum einfach durchschneiden können. „Lydia Cassandra Sánchez-Medina. Du hast es hierher geschafft, ich habe nichts anderes von dir erwartet. "

Mein anderes ich guckt verstört nach vorne. Ihre Handfläche driftet langsam von der Scheibe ab.
Sie nickt, ohne mich dabei anzugucken. Sie Weiß was ich gerade denke. Langsam drehe ich mich um. Reya, ich habe nicht gerade schönes von dir gehört.

„Als ich dich das letztes mal sah, warst du noch ein Baby. So klein und schwach, kurz vor deinen Tod. " Ich fühle alles auf einmal.

Soll ich ihr dankbar sein das sie mir dieses Leben geschenkt hat? Soll ich ihr dankbar für die ganzen Traumas die ich in laufe der Jahre gekriegt habe sein? Soll ich ihr dankbar sein, dass ich meine beste Freundin, die erste die mich nicht wie Dreck behandelt hat, soll ich ihr dankbar sein das ich sie beinahe getötet habe?

Soll ich ihr dankbar sein, dass ich zwei unschuldige Menschen auf der Straße getötet habe? Soll ich ihr dankbar sein das ich dadurch die Liebe meines Lebens getroffen habe? Das sie mir gezeigt hat wie die Welt funktioniert, mir das unnatürliche gezeigt hat, sie mir das sprechen beigebracht hat. Ich dadurch meine Halbschwester und meinen Vater kennengelernt habe. Soll ich glücklich oder wütend sein?

Um ehrlich zu sein, weiß ich es nicht. Ich fühle so vieles auf einmal, weswegen ich beschließe meinen monotonen Blick zu behalten. „Ich dachte die Dornkrone lässt mich in dein Reich eindringen." Ich gucke hinter mir zu meinem anderen Ich. Sie guckt mich wissend an, wir teilen uns einen Körper, einen Verstand, sie ist meine Stimme.

„Das habe ich nicht zugelassen. Mein Reich wird bald nicht mehr das sein was es einmal war. "
Was ich als nächstes sah, war ihre Verfassung. Sie hat tiefe Furchen, als hätte sie eine Ewigkeit nicht geschlafen. Sie sieht erschöpft aus, als hätte ihr jemand alles genommen. Alle Macht, alle Kraft und jeden Willen. Trotzdem redet sie zu mir ruhig, beinahe friedlich. Als wäre sie die Ruhe selbst.

Als hätte sie mit allem abgeschlossen. Ihr Gewand ist kein strahlendes weiß, wie es einst mal war. Es ist dreckig, grau, wenn ich mich nicht täusche sehe ich kleine Bluttropfen auf ihren Gewand. Sie sieht nicht mehr stark aus, viel mehr ausgelaugt, kurz vor ihren Tod.

„Meine Kraft schwindet, ich habe nicht mehr viel Zeit. In diesen Moment werden die Nonnen angegriffen, von niemand anderen als Adriel. "
Adriel? Ich dachte er wäre vernichtet. Ich dachte...
Das heißt, er wird wieder versuchen unsere Welt zu beherrschen. Werden diese Kämpfe niemals enden...

„Adriel hat mir das letzte bißchen meiner Kraft geraubt, zumindest dachte er das." Ich trete einen Schritt zurück, ich spüre das Glas hinter mir.
„Du, Lydia, hast meine Kraft in dir. Du, bist meine Nachfolgerin. Du, bist auserwählt, um durch meine und deine Welt zu reisen, um mit der Kriegernonne für Frieden zu sorgen. " Ich spüre die Präsens meines anderen Ichs hinter mir. Wieso...wieso...

„Aber solange du sie hier einsperrst, wirst du niemals in der Lage sein dein volles Potential zu erreichen. " Sie guckt nach hinten. Ich will mich nicht umdrehen, es ist zu viel. Ich spüre die Angst in mir. „Du hast sie vor langer Zeit hier eingesperrt und jetzt ist es an der Zeit sie wieder freizulassen. Lass los, Lydia. " Ich weiß nicht was ich machen soll. Es fühlt sich so surreal an, Träume ich das alles?

Mit zittrigen Atem und Händen drehe ich mich wieder zu ihr um. Ich sehe Ihren sanften und wissenen Blick, es beruhigt mich auf eine komische Weise. „Lass los Lilli, sie ist Tod und wird nie wieder zurück kommen. " Ich will dieser Situation entfliehen. Ich möchte das nicht hören! Sie soll aufhören! Ich bin böse! Ich hätte Ava beinahe umgebracht!

Eine Träne verlässt mein Auge als mein Atem sich immer mehr beschleunigt. Ich kneife meine Augen zu, als das bekannte ziehen in der Brust immer stärker wird, während ich meine Ohren zu halte in der Hoffnung nichts mehr zu hören. Seiht leise, seiht leise, seiht leise!

Stille, wieder diese erdrückene Stille, ich höre nichtmal mehr meinen Atem. Alles ist verstummt, ich öffne wieder meine Augen und sehe sie wieder vor mir. Sie lächelt mich an, als ich langsam meine Hände wieder runter nehme.

Es zerbrach, das war das erste was ich bemerkte. Das Geräusch der Scherben, die auf den schwarzen Boden fallen. Es zerbrach, es sind nurnoch kleine Splitter, die einst mal in einer Form waren, aber jetzt nicht mehr. Sie lächelt immernoch, stolz ist zu sehen in diesen brauen Augen. Sie braucht nur einen kleinen Schritt zu gehen und schon wurde ich in ihre Arme genommen.

„Ich bin stolz auf dich." 5 Wörter, 5 einfache Wörter die so viel Bedeutung haben. 5 Wörter auf die ich unbewusst so lange gewartet habe. Es fühlte sich schön an, ich fühlte mich frei, erlöst und glücklich. Ich fühlte mich komplett, zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich vollständig.

Eine unbekannte Kraft staut sich in mir auf. Neu und unbekannt, aber trotzdem so bekannt. Es erfüllt mich. Ohne es zu bemerken war sie verschwunden. Mein anderes Ich hat sich aufgelöst, in kleine, winzige Partikel. Ich war nicht traurig, sondern glücklich. „Deine Zeit hier ist vorüber. Du wirst gebraucht." Ich drehte mich mit einem grinsen zu Reya um.

„Dankeschön"

In this life or the next  ||Warrior NunWo Geschichten leben. Entdecke jetzt