{6. Kapitel}

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Da stand er. Ganze drei Meter entfernt. Er war nicht direkt hinter mir und trotzdem konnte ich ihn spüren. Gefühlte fünf Minuten beobachtete ich ihn dabei, wie er einkaufte. Tomaten, Salat, Gurken. Damit hätte ich nicht gerechnet. Ich runzelte gerade meine Stirn, als er seinen Blick hob und mich direkt ansah.

Blau traf auf Braun.

Kälte traf auf Wärme.

Wie in Zeitlupe kam er langsam auf mich zu - ohne dabei den Blick abzuwenden. Noch drei Sekunden dann würde er vor mir stehen. Mich überkam Panik als er direkt vor mir stehen blieb und mir somit die Sicht auf sämtliche Menschen versperrte.

»Warum starrst du mich so an?«, fragte er. Ein Hauch von Kälte schwang in seiner Stimme mit, doch ich hatte das bereits erwartet. »Ich starre dich nicht an«, gab ich schnell zurück. »Achja, das sah aber gerade anders aus. Weißt du was? Am besten ist es, wenn du mich gar nicht mehr ansiehst. Ich will das nicht. Halte dich einfach von mir fern. Das ist die beste Entscheidung, die du treffen kannst«, erwiderte er ruhig. »Was habe ich dir getan, dass du so scheiße zu mir bist?«, fragte ich. Ich hatte es satt, dass er mich so behandelte. Wenn er mich nicht leiden konnte, dann brauchte er doch auch überhaupt nicht mit mir reden! »Es ist besser so. Hass mich einfach«, sagte er nur noch, bevor er auch schon an mir vorbei ging. Seine Finger berührten ganz leicht meine und auf einmal verspürte ich nur noch Hass. Ich hasste ihn. Er war ein eiskaltes Arschloch. In mir war nichts anderes als purer Hass. Ich wollte ihm noch etwas gegen den Kopf werfen, doch ich sah ihn nicht mehr. Wahrscheinlich ist das wirklich besser.

»Das wären dann 46,07$, Miss.« Ich kramte meinen Geldbeutel hervor und gab der Verkäuferin ihr Geld. Als ich draußen war, schaute ich nochmal hinein. In meinem Geldbeutel waren noch genau 29,93$. Seufzend steckte ich den Geldbeutel ein und schleppte die Einkaufstüten zu der Bushaltestelle. Am Anfang hatten mich die Menschen noch komisch angeschaut. Nun ja, normalerweise nahm man ja auch das Auto, wenn man einkaufen ging, aber ich hatte keins. Die Uhr zeigte 13:26 an, als ich das nächste Mal darauf sah. Über eine halbe Stunde stand ich hier schon und mir tat alles weh.

»Warum stehst du denn hier so alleine, mein Mädchen?«, fragte jemand rechts neben mir. Ich drehte mich leicht und blickte in das fröhliche Gesicht einer jungen Frau. An ihrer Hand hing ein kleines Mädchen, das mich genauso freundlich anstrahlte. »Ich warte auf meinen Bus«, gab ich mit einem leichten Lächeln zurück. »Oh, die Busse fahren heute nicht mehr. Weißt du das nicht? Heute ist doch das große Fest in der Stadt. Deswegen fallen alle Busse aus. Aber warte mal, irgendwo her kenne ich dich doch?«, fragte sie und runzelte dabei ihre Stirn. Sie kannte mich? Ich kannte sie nicht. »Ich heiße Summer. Summer Ashton.« Ihre Augen wurden groß und sie hob ihre Hand an um sie auf ihren Mund zu legen. Was ist? Brachte sie mit meinem Namen irgendetwas Schlechtes in Verbindung oder hatte ich irgendetwas in der Vergangenheit gemacht, dass ganz schlimm war?

»Du bist die Tochter von Alice, richtig? Deine Mom und ich waren damals in der Highschool beste Freunde. Ich vermisse sie«, gab sie kleinlaut von sich.

»Ich vermisse sie auch. So sehr.«

Wir standen bestimmt fünf Minuten da und keiner sagte etwas. Erst ihr kleines Mädchen brach die Stille. »Mama, ich hab Hunger und du hast mir versprochen, dass ich ein Eis bekomme!«, quengelte sie. »Ich hab nämlich eine eins in Mathe bekommen«, sagte sie stolz zu mir. Das blondhaarige kleine Mädchen war so niedlich, dass ich leise auflachte.

»Ich möchte nicht weiter stören. Ich werde dann jetzt mal nach Hause gehen. Es war nett ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte ich höflich und streckte der Frau zum Abschied die Hand entgegen. Doch sie gab mir nicht die Hand, sondern zog mich in eine liebevolle Umarmung. Eigentlich mochte ich den Körperkontakt mit fremden Leuten nicht so, doch diese Frau strahlte Freundlichkeit und Liebe aus. Das war auch der Grund warum ich meine Arme zärtlich um sie schlang.

»Wie wäre es wenn du mit mir und Tamara ein Eis isst und anschließend fahre ich dich nach Hause«, schlug sie vor. Zuerst wollte ich dankend ablehnen, doch dann überlegte ich es mir anders. Bis nach Hause waren es über zehn Kilometer und die Einkaufstüten waren schwer.

»Das wäre nett von Ihnen, aber nur wenn es keine Umstände macht!«, sagte ich noch schnell. Sie lachte auf. »Nenn mich doch bitte Zara und natürlich macht das keine Umstände! Ich mach das sogar sehr gerne.«
Sie gab mir gar keine Zeit noch etwas zu erwidern, sondern zog mich gleich an der Hand weiter. Tamara quiekte leise auf und rief immer wieder:
»Ich bekomme ein Eis! Ich bekomme ein Eis!« Ich fand die Kleine richtig niedlich und so kam es, dass ich anfing sie zu kitzeln und sie sich freute. Ich war glücklich. Hier und jetzt fühlte ich mich glücklich. Ich vergaß all meine Sorgen und Probleme.

»Was möchtest du für ein Eis, Summer?«, fragte mich Zara. Kurz ließ ich meinen Blick über die Auswahl schweifen. Hier gab es fast alles - von dem normalen Vanille bis zum Nutella.
»Ich nehme einmal Mango in der Waffel«, sagte ich schließlich. Der Verkäufer lächelte mich schüchtern an und mein Gesicht wurde wahrscheinlich gerade knallrot.

»Das geht auf mich«, sagte er und gab mir das Eis. »N-Nein, das kann ich nicht annehmen«, stotterte ich.
»Doch. Ich bezahle dir dein Eis und dafür bekomme ich deine Handynummer«, gab er selbstbewusst von sich. Allerdings wirkte er dabei nicht arrogant.
Warum eigentlich nicht?
Aus dem Augenwinkel heraus sah ich wie Zara schmunzelte.

Zaghaft nickte ich und er streckte mir sein Handy entgegen. Langsam tippte ich die Zahlen ein und gab ihm sein Handy schließlich zurück.
»Ich bin übrigens Cole«, sagte er.
»Summer«, gab ich schüchtern zurück. Irgendwie konnte ich das hier noch nicht so richtig glauben. Ein hübscher Junge hatte mich gefragt, ob er meine Nummer bekommen durfte. Das war schon eine Zeit lang her, dass das jemand getan hatte.

Ich lächelte noch ein letztes Mal und stellte mich schließlich neben Zara, die mir ihre Hand sanft auf den Oberarm legte. Sie wollte etwas sagen, Tamara unterbrach sie allerdings. »Jetzt bin ich dran!«, rief sie und klatschte aufgeregt in die Hände. Ihre Wangen waren schon leicht gerötet durch die Freude.

»Ich nehme«, sie holte ein paar Mal tief Luft, »Vanille, Schoko, Erdbeer, Mango, Strac-« »Tam! Nicht so viel!«, rief seine Mom aufgebracht und lächelte den Verkäufer entschuldigend an. »Aber Mama, du hast es mir versprochen«, jammerte Tamara und ihre Augen wurden groß. Man sah deutlich, dass Zara mit sich kämpfte. Durchaus nachvollziehbar - Tam hatte den Dackelblick perfektioniert.

»Drei Kugeln. Du darfst dir drei Kugeln heraussuchen«, sagte Zara mit einem tiefe Seufzer schlussendlich.
Rasch nickte sie und sagte dem süßen Verkäufer, welche Sorten sie gerne hätte. Meine Wangen färbten sich immer wieder rot, sobald mich Cole anschaute. Sein Gesichtsausdruck änderte sich allerdings sobald die Tür aufging. Cole lächelte mich noch einmal schwach an, bevor ich mich umdrehte.

War ja klar.

Seine Augen bohrten sich regelrecht in meine. Wir starrten uns wahrscheinlich lange an, denn Tam war schließlich derjenige der mich an der Hand packte und aus dem Laden zerrte. »Mensch, dein Eis tropft herunter«, rief er aufgebracht. Schnell leckte ich ein wenig ab, bevor noch ein weiteres Teil auf den Boden fiel.

»Besser?«, fragte ich und lächelte das niedliche kleine Mädchen vor mir an. Sie nickte zufrieden und sprang ihrer Mom entgegen. Diese lächelte sie an und wischte ihr lachend das Eis um ihre Mundwinkel weg. Vor meinen inneren Augen sah ich meine Mom und mich und das war der Grund warum ich schmerzhaft mein Gesicht verzog. Das war wieder einmal einer dieser Momente, wo mein Herz anfing zu bluten.

Nach ein paar Sekunden wandte ich meinen Blick von den Beiden ab. Meine Augen stoppten wie von alleine bei dem Augenpaar, welches zehn Meter links von mir stand und direkt auf mich zulief. Ich hasste ihn. So sehr.
Kurz blieb er vor mir stehen, schüttelte dann allerdings den Kopf und lief weiter. Auch wenn der Hass auf ihn so groß war, rebellierte eine Seite in mir. Sie schrie regelrecht, dass ich nachforschen sollte. Irgendetwas war mit ihm nicht in Ordnung. Logan wollte allerdings, dass ich ihn hasste? Er hatte er es mir regelrecht befohlen. In diesem Moment kämpfte ich innerlich mit mir. Sollte ich es wirklich tun?

Ja, schrie sie, seit wann macht eine Summer Ashton das was man ihr sagt?

Sie hatte recht. Ich würde das mit Logan nicht einfach ruhen lassen. Ich wollte sein Geheimnis wissen und das würde ich auch herausfinden egal wie tief es verborgen war.

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