Die junge Frau wartete im Schutz der letzten ärmlichen kleinen Holzhütten auf eine günstige Gelegenheit. Sie war dem Mann vom Herzen Rubias aus bis hier hin gefolgt. Völlig unbemerkt. Lautlos. Wie ein Schatten.
Es war fast schon zu einfach gewesen. Eine leise Stimme in ihrem Kopf flüsterte ihr unaufhörlich zu, sich ein anderes Opfer zu suchen! Mit einem energetischen Kopfschütteln vertrieb Scarlett Moreno die letzten Zweifel, brachte die Stimme zum Verstummen. Konzentrierte sich auf das Geschehen vor ihr.
Der Mann war in dunkle Stoffe gekleidet. Als er den Äußeren Ring fast erreicht hatte, wurde das Mädchen Zeuge von etwas wirklich ungewöhnlichem. Der Hohe Lord hatte alles, was ihn als solch Einen sofort zu erkennen gegeben hätte, in einem Lederbeutel an seinem Gürtel verschwinden lassen. Als Erstes war der Goldring mit dem großen violett farbenem Stein verschwunden. Als Nächstes war eine ebenfalls aus Gold gefertigte Brosche gefolgt. Jetzt trug der Mann kein einziges Schmuckstück mehr sichtbar am Körper. Mit einer fließenden Bewegung streifte er sich den dunklen Mantel mit den Goldknöpfen und dem Fellbesatz von den Schultern, wendete den Stoff. Was er sich nun überstreifte war einfach gearbeitet graue Wolle mit einigen Matschflecken auf der Vorderseite. Schließlich durchschritt er das große aus massivem dunklen Stein gefertigte Tor. Zeigte den Wachen, wie jeder andere gewöhnliche Bürger auch seinen Passierschein.
Dann blickte er sich nochmals aufmerksam um, strich sich eine dunkelblonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Streifte sich im Anschluss die große graue Kapuze über und tauchte in den schmalen Gassen unter. Zielstrebig war er in dem Gewirr verschwunden. Die junge Frau beeilte sich ihm zu folgen. Eines war Gewiss, der Hohe Lord kannte sich hier aus. Und er wollte unerkannt bleiben.
So war Scarlett dem Mann bis hier hin gefolgt. Bis zu dem Ort, ganz am Ende des Äußeren Rings. Gerade eben erst, war der Lord in einem großen aus dunklem Tuch bestehenden Zeltes verschwunden. Schnell wie eine Katze schlüpfte das Mädchen ebenfalls in das große Zelt.
Nicht ahnend, dass es diese Entscheidung war, welche ihr bis dahin für Lymera gänzlich unbedeutendes Leben völlig verändern würde...
~~~~~~~~Das gewaltige Zelt aus dunklem Tuch war bis auf den letzten Platz besetzt. Es kam schließlich nicht allzu oft vor, dass sich eine Theatergruppe bis fast an den äußeren Ring von Rubia heran traute. Das letzte mal musste schon etliche Jahre her sein. Lord Francis Soledou sah sich nach einem noch freien Sitzplatz auf den, um die kleine Bühne aufgestellten Bänken um. Schließlich wurde der Lord fündig und ließ sich im halbdunkeln auf einer der Bänke nieder. Die vereinzelt in den Boden gerammten Fackeln warfen flackernd ihre Schatten an die Zeltwände.
Kurze Zeit später begann die Aufführung der Theatergruppe, mit einem kleinen Mann. Dieser war in bunte Kleidung gehüllt, sein Gesicht war mit weißer und roter Farbe bemalt. Und auf seiner Schulter trug er einen kleinen braunen Affen. Dieses blickte sich mit neugierigen Augen in der Manege um. Vor allem die anwesenden Kinder waren ganz begeistert von den Kunststücken des Tieres. Als der Mann sich schließlich vor dem Publikum verbeugte und unter großem Applaus die Bühne verließ, bemerkte Francis, dass sich eine junge Frau neben ihm auf der Bank niedergelassen hatte.
Mit einem kurzen Blick zu beiden Seiten, stellte Francis mit Zufriedenheit fest, dass alle Augen auf das Schauspiel gerichtet waren. Niemand beachtete ihn. Und das war gut so. Sollten diese unschuldigen Menschen ihre letzten Atemzüge bei etwas Verbringen, dass ihnen Freude brachte. Nochmals glitt sein Blick zu der jungen Frau direkt neben ihm. Mit großen Augen und vor Anspannung geballten Fäusten, hatte sie den Kopf in Richtung Zeltdach erhoben. Hoch unter dem Dach tanzte eine Frau über ein gespanntes Seil. Voller Anmut und mit leichtfüßigen Schritten. Als gehöre sie dort hinauf.
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Chroniken von Lymera
FantasyAusschnitt: "Ich möchte nach Hause gehen." Ihre Stimme klang hoffnungslos. Völlig unbemerkt war der Lord dicht hinter die Rothaarige getreten. Francis widerstand dem Drang ihr eine verirrte Haarsträhne aus dem Nacken zu streichen. Stattdessen beugt...