~ Bitterer Sieg ~

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Das rothaarige Mädchen warf erneut einen angstvollen Blick auf die immer kleiner werdende Menge. In der Schlange waren nur noch zwei Personen vor ihr. Gleich war sie an der Reihe. Gleich würde sie vor den komplett in schwarz gekleideten Mann treten müssen. Das Herz in ihrer Brust pochte. Laut.       Pochte voller Angst.
Den Scarlett wusste, nach welchem Dieb er suchte. Nach welcher Diebin.

Mit zugeschnürter Kehle und gesenktem Haupt blieb sie vor dem Lord stehen.
„Hebe bitte den Blick, ich möchte deine Augen sehen." Seine Stimme klang leicht gelangweilt. Ganz langsam hob Scarlett den Blick. Begegnete den stechenden grüngrauen Augen.
„Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich finden werde. Meinen Ring und meine Goldstücke, bitte." Ein kleines zufriedenes Lächeln war auf Lord Soledou's Gesicht erschienen.

„Es tut mir sehr leid Mylord, aber ich habe eure Goldstücke verloren." Ihre Stimme war ein leises angstvolles Flüstern.
Der Hohe Lord legte leicht den Kopf zur Seite und betrachtete das Mädchen eingehender. Sein intensiver Blick gefiel Scarlett nicht. Als würde er nach etwas suchen.
Sie fühlte sich nackt und verwundbar.
Schutzlos.
„Wie bedauerlich." Seine Tonlage strafte ihn lügen. Es war keine Spur von bedauern zu hören.

Francis machte zwei schnelle Schritte auf das verwunderte Mädchen zu. Ergriff die große Kapuze an ihrem Mantel und streifte diese der Rothaarigen über das Gesicht. Dann winkte er einen der Soldaten heran. "Ser Lyan, bitte bringt diese junge Dame auf dem schnellsten Weg in den Palast. Man erwartet sie bereits." Der Soldat war ein regelrechter Riese, unter seinem Helm starrten zwei dunkle Augen auf Scarlett herab. Grob packte er die junge Frau am Arm und zerrte sie mit schnellen Schritten aus der Markthalle.

Draußen hatte es inzwischen angefangen zu Regnen. Der zuvor noch trockene Schlamm in den Gassen, war jetzt durchweicht und rutschig. Scarlett versuchte sich zu wehren, aber gegen diesen Riesen hatte sie keine Chance. Sie stolperte, versuchte sich noch unter leisem fluchen abzufangen. Aber vergebens. Die Rothaarige schlug mit den Knien auf der braunen Erde auf.
Sank ein Stück ein.
Den Ritter kümmerte das nicht.
Dieser zog sie einfach weiter.
Mitten durch den Matsch.

In den umliegenden Gassen hielten die Menschen in ihrem Tun inne und verfolgten gespannt das Geschehen. Niemand aber wagte es einzugreifen.
Der armen Frau gar zu helfen.
Sie zu retten!

Als er schließlich vor einem Pferd anhielt, streckte die Frau ihren freien Arm lang hinter sich, um ihren Schuh der im Schlamm stecken geblieben war aufzuheben.
Aber vergebens.
Mit einem überraschten Laut auf den Lippen wurde Scarlett vom Boden hochgerissen. Ser Lyan warf sich das Mädchen einfach über die linke Schulter. Als wäre sie ein Kartoffelsack.
Dann bestieg er das Pferd und verschwand mit wehendem Umhang.

Die junge Frau wurde auf seiner Schulter unsanft hin und her geschaukelt. Mühsam hob Scarlett den Kopf und sah, durch Regenschwaden hindurch, wie der Schwarzmarkt in der Ferne immer kleiner wurde.
Ihre Gedanken wanderten zu Mara.
Hoffentlich war ihr nichts passiert.
Hoffentlich hatte sie ein sicheres Versteck gefunden.
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Francis blickte der Rothaarigen nach. Seine Augen waren mehr grau als grün. Sein Kiefer war zu einer harten Linie angespannt. Ihm blieb nichts anderes übrig, als darauf zu Vertrauen, dass Richtige getan zu haben. Und trotzdem wollte es sich nicht nach einem Sieg anfühlen.
Behalte deine Wildheit, kleine Diebin.
Lass nicht zu, dass sie dich verändern.
Dich zu ihrer Marionette machen.
Deinen Willen brechen.

Mit diesen Gedanken wendete Lord Soledou sich ab. Sah sich suchend nach einem rot gefiederten Singvogel um. Es war an der Zeit, wieder in den Palast zurück zu kehren. Heute Abend würde es, gut verborgen hinter dicken Mauern ein Festessen geben.
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Leise huschten die beiden ganz in grau gekleideten Dienstmädchen aus dem Gemach. Ihre Arbeit hier war für den Moment erledigt. Sie liefen den langen Flur hinunter und verabschiedeten sich voneinander.

Grace richtete den Korb mit dreckiger Kleidung auf ihrer Hüfte in eine etwas angenehmere Position. Ein zufriedenes Lächeln erschien auf ihrer Miene.
Sie hatten in den zurückliegenden Stunden ein kleines Wunder vollbracht.
Keiner würde das Mädchen wieder erkennen.

Der Soldat hatte die junge Frau vor Stunden völlig Schlamm beschmutzt auf dem dicken flauschigen Teppich abgesetzt. Ohne sich nochmals nach ihr umzudrehen, hatte er den Raum im Anschluss verlassen. Grace hatte die Frau mit unverhohlener Neugier von Kopf bis Fuß gemustert.
Dann hatte sie schnell einen Knicks vor ihr gemacht, "Ich kümmere mich schon einmal um Wasser für ein Bad, Mylady." Hatte sie die Stimme des anderen Dienstmädchens vernommen. Daraufhin war diese in, dem Gemach angeschlossenen Bad verschwunden.
„Und ich helfe Mylady beim Ausziehen."
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Vor dem großen Spiegel stand eine junge Lady. Ihr zierlicher Körper wurde von einem prachtvollen, schulterfreien Kleid aus dunkelgrünem Stoff verhüllt. Die junge Frau zupfte die langen eng anliegenden Ärmel aus durchsichtiger, grüner Spitze etwas zurecht. Dann hob sie den Blick um ihr Antlitz anzusehen. 
Ihre langen roten Haare waren mit Nadeln zu einer eleganten Hochsteckfrisur aufgetürmt.
Beinahe hätte Scarlett sich nicht wiedererkannt. Hatte die junge Frau doch noch niemals in ihrem Leben solch etwas schönes getragen.
Solch ein Kleid getragen.

Sie schloss für einen Moment ihre Augen. Versuchte ihr rasch schlagendes Herz zu beruhigen.
Es wollte ihr nicht gelingen.
Scarlett hatte damit gerechnet, dass man sie in den Kerker werfen würde. Aber stattdessen stand sie hier und sah aus wie jemand anderes.
Beinahe wie eine Hohe Lady.
Sacht schüttelte die Rothaarige den Kopf. Vor lauter Unglauben. Das alles ergab für sie keinen Sinn.

Ein lautes Klopfen an der Türe ließ das Mädchen vor Schreck am ganzen Körper zusammen zucken. Immer noch in seiner Rüstung bekleidet stand der Ritter an der Schwelle zu ihrem Gemach. Nur den Helm hatte er abgenommen. Darunter waren kurze schwarze Haare und ein Gesicht mit ernsten Zügen zum Vorschein gekommen. Das Einzige, das nicht so richtig ins Bild passen wollte, war seine große Nase.
Ser Lyan machte eine höfliche Verbeugung, seine Rüstung klimperte leise. "Aus dem hässlichen Entlein ist ein schöner Schwan geworden."
Mit einem Arm deutet er den Flur hinunter, "Wenn Ihr mit bitte folgen mögt, Mylady."
Sein leiser belustigte Tonfall - bei Mylady - war dem Mädchen nicht verborgen geblieben.

Scarlett ging mit gerafftem Rock langsam, den nur von ein paar Fackeln erhellten Flur entlang. Ihre Hände waren ganz kalt vor lauter Anspannung.
Mit jedem Schritt vorwärts, nahm das ungute Gefühl in ihr zu.
Die Rothaarige fühlte sich wie ein Schaf. Wie ein Schaf auf dem Weg zur Schlachtbank.
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Fortsetzung folgt...

Chroniken von Lymera Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt