~ Abendessen unter Monstern ~

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Völlig lautlos schwangen die großen, aus dunklem Holz gefertigten Doppeltüren auf. Scarlett's Herz pochte so laut, dass sie glaubte alle Anwesenden müssten es deutlich hören. Der Raum, den die junge Frau nun betrat war prachtvoll eingerichtet.

An den Wänden hingen dunkelrote Wandbehänge. Auf jedem prangte aus Goldfäden gestickt eine Rose. Große mit Gold überzogene Kronleuchter warfen warme Schatten. Auf einer Seite war der Raum von Bogenförmigen Fenstern durchzogen. Am Tage würde er lichtdurchflutet sein. Aber es war nicht Tag. Nein, es war schon Abend.
Draußen vor den Fenstern, herrschte die Nacht über ihr schattiges Königreich.
Leise prasselte der Regen gegen die Scheiben.

In der Mitte des Raumes stand ein großer Tisch, ebenfalls aus dunklem Holz, wie die Türen. Um diesen saßen auf Stühlen mit hohen Lehnen drei Personen. Diese waren in ihrer Unterhaltung verstummt, als die junge Frau eingetreten war.
„Da ist ja unser Gast!" Cassandra Carfax erhob sich von ihrem Stuhl und ging dem Mädchen mit ausgebreiteten Armen einige Schritte entgegen. Ihr schwarzes ausladendes Kleid raschelte leise. Nah vor Scarlett blieb sie stehen, "Hat man dir kein Benehmen beigebracht? Mach gefälligst einen Knicks!"
Die Rothaarige sank augenblicklich in einen unbeholfenen Knicks. Ihr Blick blieb auf ihre Schuhspitzen gerichtet.
Was sollte das alles hier nur werden? Wollte man sich erst über sie lustig machen, um sie dann, später doch noch irgendwo einzusperren.
Scarlett wusste die Antwort nicht.

Die junge Frau spürte, wie ihr Kinn von zwei Fingern angehoben wurde. Mit angstvoll geweiteten blauen Augen, sah sie die Herrscherin an. Diese betrachtet sie mit leicht gerunzelter Stirn.
Ihre Augen waren kalt.
„Wie ist dein Name, Kind?"
Scarlett hatte schon die Befürchtung, keinen einzigen Ton heraus zu bekommen. Mit bebenden Nasenflügeln murmelte das arme Mädchen ihren Namen. Die Schwarzhaarige nickte zufrieden, dann entfernte sie ihre Finger von ihrem Kinn und ging einen langsamen Kreis um das Mädchen herum.

Dieses fühlte sich erneut, wie ein Schaf. Wie ein Schaf auf dem Markt, dass beschaut wurde. Bevor es für gut befunden und gekauft wurde.

„Na, da hast du ja einiges an Arbeit vor dir Francis. Es wird seine Zeit dauern, bis diese Straßengöre sich wie eine richtige Majesty zu verhalten weiß." Ein leicht zweifelnder Ton schwang in Mylady Carfax Stimme mit.
„Wer weiß, vielleicht wird sie dies auch nie lernen."
Einer der Männer am Tisch hatte dies gesagt. Scarlett wagte es, einen scheuen Blick auf ihn zu werfen. Der Mann war in rotes Leder gekleidet und die Ähnlichkeit mit Mylady Carfax ließ sich nicht leugnen.
In Scarlett's Ohren klang sein Satz beinahe nach einer Drohung.

„Wer weiß..., Carim." Diese Stimme erkannte die Frau wieder. Es war Lord Soledou der gesprochen hatte.
„Möchtet ihr Euch nicht zu uns setzten, Majesty Scarlett?" Francis schenkte der verängstigten Rothaarigen ein freundliches Lächeln, nur seine Augen vermochte es nicht zu erreichen.
Das Grün in ihnen war verwunden.
Jetzt waren sie kalt. Und sturmgrau.

Zaghaft nahm Scarlett Moreno auf dem noch freien Stuhl neben dem Lord Platz. Verschlang unsicher ihre Hände auf dem Schoß ineinander. Die Fingerknöchel traten weiß hervor.

Francis war diese Geste nicht verborgen geblieben, deshalb versuchte er erneut der Rothaarigen die Furcht zu nehmen. Er beugte sich ein Stück zu ihr herüber und sagte mit so viel Wärme in seiner Stimme, wie er im Moment aufbringen konnte, "Ihr braucht uns nicht zu fürchten, wir werden Euch nichts zu leide tun."
Vorsichtig hob die junge Frau den Kopf und sah Francis unsicher an.
Wusste nicht, ob sie seinen Worten glauben konnte.
Glauben sollte.

"Ihr werdet schließlich eines fernen Tages, die Nachfolge von Mylady Carfax antreten, Majesty."
Francis hätte gerne eine ihrer Hände ergriffen und aufmunternd gedrückt. Aber damit hätte er Scarlett wahrscheinlich nur noch mehr verschreckt. Also beließ er es erneut bei einem schmalen Lächeln.
Es würde noch genug Zeit bleiben, sich besser kennen zu lernen.

Leise tönte der Klang einer Glocke durch den Raum. Die Türen schwangen erneut auf und Dienstboten trugen den ersten Gang herein. Vor Scarlett wurde eine dampfende Schüssel mit Suppe abgesetzt. Mit leicht zitternden Fingern folgte sie dem Beispiel der anderen und begann zu essen.
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Irgendwann im Laufe des Abends hörte es zu regnen auf. Scarlett konnte gar nicht genau sagen, wann das gewesen war. Sie versuchte, so gut es ihr möglich war, dem Gespräch zwischen Carim und seiner Schwester zu folgen. Es ging wohl um zu unrecht angewandter Magie.
Ihr schwirrte der Kopf, es war einfach zu viel an neuen Informationen, welche sie gleichzeitig zu verarbeiten versuchte.
Sie und Majesty.
Das war einfach zu viel.
Sie fühlte sich entsetzlich müde.

Und auch das Lord Soledou, die Frau mit leicht schräg gelegtem Kopf und unergründlicher Mine beobachtet, trug nicht dazu bei, das Scarlett sich wohler fühlte.
„Wenn es Gestattet ist, würde ich die Majesty wieder zurück in ihre Gemächer geleiten?"
Richtete Lord Francis Soledou leise das Wort an Cassandra. Diese nickte, "Natürlich, das Mädchen ist sicher müde."
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Schweigend ging Francis neben der Rothaarigen her. In seiner Hand tanzte wieder eine kleine Flamme.
Morgen wird ein sehr anstrengender Tag für die junge Frau werden.
Da gibt es noch so viel, was das Mädchen wissen muss. Wissen muss, wenn sie innerhalb dieser Mauern am Leben bleiben wollte.

Das Paar war schließlich vor Scarlett's privaten Räumlichkeiten angekommen. Der Lord öffnete die Tür, "Bitte nach Euch."           Zaghaft betrat Scarlett ihr noch fremdes Gemach. Ihr Blick streifte ein großes Bett. Darauf waren einige Felle einladend ausgebreitet. Neben dem Bett stand ein aus hellem Holz gefertigter Beistelltisch mit einem Spiegel und zwei brennenden Kerzen. Im ganzen Raum hat jemand noch weitere Kerzen angezündet.
Als wolle man sie hier willkommen heißen.
Ihre blauen Augen blieben an den bogenförmigen Türen hängen. Ohne groß weiter darüber nachzudenken öffnete Scarlett eine dieser Türen.
Die frische Luft würde ihr gut tun.

Die junge Frau trat mit schnellen Schritten auf den steinernen Balkon hinaus. Ein Windstoß ließ ihr dunkelgrünes Kleid leise rascheln.
Die erste Träne rollte still ihre Wange hinab. Scarlett fühlte sich unendlich verloren. Wie eine Maus, die unvorsichtiger Weise kopfüber in eine Schlangengrube gefallen war.
„Ich möchte wieder nach Hause gehen."       Ihre Stimme klang erschöpft.
Hoffnungslos.

Völlig unbemerkt war der Lord dicht hinter die Rothaarige getreten. Francis widerstand dem Drang ihr eine verirrte Haarsträhne aus dem Nacken zu streichen. Stattdessen beugte er sich dicht zu ihrem Ohr, sagte mit ruhiger Stimme, "Ihr könnt nicht gehen. Nie wieder. Hier ist jetzt Euer Zuhause, Majesty."
Er war ihr viel zu nah.
Seine Stimme bescherte ihr am ganzen Körper Gänsehaut.
Er sollte gehen.
Scarlett alleine lassen!

Eine weitere Träne fiel zu Boden. Unendlich zart berührte Francis ihre Schultern. Legte ganz behutsam seine Hände darauf ab.
Ihr ganzer Körper wurde starr.
Ihr Herz raste.
„Fast mich nicht an, Ihr Monster!" Scarlett schleuderte dem Lord die Worte voller Hass entgegen. Voller Ablehnung.

Einen Wimpernschlag später waren seine Hände fort. Er hatte sich abgewendet, ihr Gemach schon fast verlassen, da drehte er sich doch nochmals um.
„Wir sind nicht alle die Monster, für die Ihr uns haltet. Seht hin! Hört zu!"
Scarlett schlang hilflos die Arme um sich selbst. Niemand würde kommen und die Maus retten.
Niemand!
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Fortsetzung folgt...

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