~ In der Höhle der Bestie ~

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Der Soldat zog die junge Frau mit schnellem Schritt durch die Gänge des Palastes. Sein Griff um ihr Handgelenk war unnachgiebig. Scarlett hielt mit der freien Hand den Saum ihres Seidenkleides fest. Sie wusste ja schon, dass es Ser Lyan herzlich egal war, ob er sie laufend oder über den Steinboden schleifend hinter sich herzerrte.          
Aber der Rothaarigen war es nicht egal!
Sie bevorzugte es auf ihren eigenen Beinen hinter ihm her zu stolpern.

Die Gänge, durch die der Mann sie schleifte wurden Scarlett immer vertrauter. Einige Male hielt ein Dienstmädchen in ihrem Tun inne und starrte ihnen verdutzt nach. Scarlett erkannte sogar Grace, die ihr mit Sorge im Blick und in einigem Abstand langsam folgte. Aber Scarlett wusste nicht, wie ihr das Mädchen gegen Lyan helfen wollte.
„Öffnet die Türen. Rasch!" Lyan rief diese Worte den beiden, in schwarzes Eisen gehüllten, Wachen zu. Ohne zu zögern, ließen die Soldaten daraufhin die großen Flügeltüren aufschwingen. Scarlett stolperte direkt in den weitläufigen Saal.

Hätte das Mädchen den Thronsaal heute zum ersten Mal betreten, ihre Augen wären zuerst an der Decke hängen geblieben. Diese bestand zum Großteil aus hellen Marmorplatten. In der Deckenmitte allerdings war ein länglicher Streifen, frei gelassen worden. Dort erlaubte das durchsichtige Glass einen Blick in den Himmel. Sonnenstrahlen ergossen sich von oben in den Saal. Aber das Mädchen hatte keinen Blick für die Schönheit über sich.   

Ihre Augen wanderten hektisch durch den Raum. Huschten zwischen den breiten Steinsäulen zu beiden Seiten hindurch.
Natürlich war der Saal nicht gänzlich leer.
Das war er niemals.                       
Mit Interesse verfolgten die Anwesenden Hohen Lords und Ladys das Geschehen. Einige steckten gar leise tuschelnd die Köpfe zusammen. Wusste doch jeder hier, wer das Mädchen mit den flammend roten Haaren war.

Lyan hatte Scarlett durch den gesamten Raum gezogen. Schließlich blieb er vor den Stufen, welche zum Thron hinaufführten, stehen.           
Der Thron selbst, war aus grauem Stein gefertigt. Von den Armlehnen aus wanderten rote Steinrosen in die Höhe. Sie schlängelten sich von dort aus um den gesamten Thron.     
Eigentlich war es der Platz von Mylady Carfax. Aber es waren nicht ihre Augen, die Scarlett entgegenblickten.

Lyan neben ihr vollführte eine tiefe Verbeugung. Schnell sank auch sie in einen tiefen Knicks.                         
Wartete bis der Lord ihnen mit einer Handbewegung erlauben würde sich zu erheben. Der Moment kam ihr wie eine kleine Ewigkeit vor. Als Scarlett sich langsam wieder aufrichtet, sah Carim sie mit leicht gerunzelter Stirn an.      

„Kannst du mir das erklären, Lyan?"
Mit lauter Stimme, so dass ihn auch noch die anderen Anwesenden gut hören könnten, begann der Soldat zu sprechen, „Ich habe unsere Majesty in den Verließen gefunden. Soweit ich informiert bin, hat sie diese allein nicht zu betreten, Mylord."                               
Er machte eine kurze Pause um Carims Reaktion abzuwarten. Dieser nickte zustimmend mit dem Kopf. Dabei blickte der Lord Scarlett unentwegt an. Unter seinen Blick glitt eine Gänsehaut der Furcht über Scarletts Körper. Er war dem Mädchen schon immer unheimlich gewesen. Und jetzt gerade fühlte sie sich wie ein kleines Mäuschen unter den wachsamen Augen eines Greifvogels.
Dem schon wieder niemand zu Hilfe eilen würde!

Auf einmal leuchteten Carims Augen vor Vorfreude. Er setzte sich etwas aufrechter hin. Für einen winzigen Moment verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln. Es war kein nettes Lächeln. Eher eines, vor dem die junge Frau am liebsten schreiend davongelaufen wäre.
Aber eine falsche Bewegung und das Mäuschen wäre Tod!

Wie ein Raubtier erhob sich Carim und kam die Stufen zu ihr herunter. Ganz dicht vor Scarlett blieb er stehen.        
„Hast du etwas Schönes in meinen Verließen gefunden? Hast du Mara gefunden? Ja, sicher hast du das!"
Der Lord beugte sich noch näher zu ihr. Flüsterte in ihr Ohr. Als wolle er nur ihr dieses Geheimnis anvertrauen.
„Mara und ich sind in den vergangenen Wochen gute Freunde geworden. Selbst meinen Panther mag sie. Weißt du, mit den richtigen Druckmitteln singen alle. Und deine Schwester hat mir einiges über dich erzählt, Scarlett."
Carims Lippen streiften ihre Wange. Am liebsten hätte Scarlett sich auf den Fliesen erbrochen. Ihr war furchtbar schlecht.         

Chroniken von Lymera Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt