~ Der erste Spielzug ~

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Scarlett Moreno erwachte, als jemand dabei war die dunklen Vorhänge an den großen Fenstern zurückzuschieben. Für einen Moment blieb sie mit geschlossenen Augen einfach nur still liegen. Lauschte den Schritten des Dienstmädchens. Gestern war also nicht einfach nur ein böser Traum gewesen.
Sie war immer noch hier.
Im Rubinpalast.

Mit einem leisen Seufzen setzte sich die Rothaarige auf. Scarlett fühlte sich alles andere als ausgeschlafen. Sie wusste nicht einmal, wann sie am vorherigen Abend im Land der Träume versunken war.
Sie hatte geweint. Viel geweint.
Scarlett's Gedanken waren zu Mara gewandert. Ihre Schwester würde sich bestimmt entsetzliche Sorgen um sie machen, weil sie nicht am vereinbarten Treffpunkt erschienen war!
Hoffentlich ging es ihrer kleinen Schwester gut und ihr war nichts Schlimmes zu gestoßen.
Sei in Sicherheit Mara.

„Wie schön, Mylady ist erwacht."
Die helle Stimme des Dienstmädchens riss Scarlett aus ihren Gedanken. Das ganz in grau gekleidete Mädchen mit dem hellen Haar und den neugierigen Augen, hatte das grüne Kleid über dem Arm hängen.
Scarlett hatte es gestern Nacht, nach einer kleinen Ewigkeit geschafft die Schnürung am Rücken alleine zu öffnen. Dann war das schöne Kleidungsstück im angrenzenden Baderaum als ein Haufen dunkler Stoff liegen geblieben.

„Ich habe Mylady schon einmal eine Kleinigkeit zu essen gebracht."
Das Mädchen deutete auf das Tischlein neben dem Bett. Dort stand ein Teller mit Obst und einigen kleinen herrlich duftenden Törtchen. Die Rothaarige wagte es, ihr ein scheues Lächeln zu schenken.
„Vielen Dank, das ist sehr nett von dir." Scarlett schätzte, dass ihr Dienstmädchen nicht viel älter sein konnte, als sie selbst es war. Also auch um die neunzehn Sommer.

Das Mädchen in grau stand immer noch in dem Gemach und starrte Scarlett förmlich mit vor Neugier funkelndem Blick an. Es musste wieder an das völlig verdreckte Mädchen von gestern Abend denken.
An ihr völlig schmutziges Gesicht.
An ihr völlig verfilztes rotes Haar.
An ihre vor Überraschung geweiteten blaue Augen, als sie das Kleid gesehen hatte.

Dann räusperte sie sich schließlich doch leise um der jungen Frau eine Frage zu stellen, "Ihr seid anders, Mylady. Ganz anders als die letzten Mädchen, die hier gelebt haben. Ihr stammt nicht aus einem Hohen Haus, oder?"
Ganz anders als die Mädchen, die hier gestorben waren.

Scarlett musste laut auflachen.
Ihr Lachen klang selbst für ihre Ohren nicht richtig. Es war um mindestens zwei Tonlagen zu hoch.
Konnte man in nur einer Nacht seinen Verstand verlieren?
„Nein, ich komme nicht aus einem Hohen Haus. Ich bin auch keine vornehme Lady. Eigentlich bin ich nur ein gewöhnliches Waisenkind."

Die Augen des Dienstmädchens weiteten sich bei Scarlett's Worten für einen Moment vor Unglauben.
So etwas hatte es zuvor noch nie gegeben.
Eine Majesty, die nicht von adeligem Blut war. Somit nicht, einem der Hohen Häuser entstammte.
Scarlett konnte die Überraschung, in dem Mienenspiel der anderen Frau gut erkennen. Anscheinend hatte sie mit dieser Antwort nicht gerechnet.

Mit fester Stimme sagte die Rothaarige deswegen, „Es besteht also kein Anlass mich mit Mylady anzusprechen. Mein Name ist Scarlett, und wie heißt du?"
Daraufhin sank das Dienstmädchen in einen anmutigen Knicks, "Grace, Mylady."
Dann schlich sich ein kleines Lächeln in ihr Gesicht, "Esst euer Frühstück, Mylady Scarlett. Ich hole euch in der Zwischenzeit ein neues Kleid. Und dann müssen wir uns ein bisschen beeilen, man erwartet Euch in der Bibliothek."
Mit schnellen Schritten verließ Grace das Gemach des Mädchens.
Scarlett blickte ihrer Gestalt einen Moment Kopfschüttelnd nach.
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Kurze Zeit später, schritt Scarlett Moreno neben Grace eine der vielen Treppen aus hellem Marmor hinauf. Das Dienstmädchen plapperte dabei ohne Pause. Erzählte ihr, hinter welcher der Türen sich die geheimen Gänge der Dienerschaft verborgen. Den, die jetzige Majesty Mylady Carfax schätze es sehr, wenn man die Bediensteten weder sah noch hörte. Am obersten Absatz der Treppe blieb Grace abrupt stehen. Sie hatte einen Finger auf die Lippen gelegt, "Psst, seid jetzt ganz leise. In diesem Flur sind die privaten Räume von Lord Carfax." Das Mädchen beutete den angrenzenden Gang hinunter. Aber, dieser Geste interessierte die Rothaarige im Moment wenig.

Chroniken von Lymera Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt