24. Kapitel: Das Schwarze Tor

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Seit Amina geschrien hatte, tat sie rein gar nichts mehr. Würde sie nicht atmen, würde ihr Herz nicht schlagen, so könnte Legolas meinen, sie wäre tot. War sie nicht. Das nicht. Noch nicht. Was hatte der Ring getan? Wenn er das nur wüsste. Doch das tat er nicht und so konnte er nichts tun, außer zu hoffen, dass Amina ja wieder aufwachen würde. Blass und reglos lag sie da, nicht einmal ihre Wimpern flatterten. Einfach nichts. Das war nicht zum Aushalten, stellte Legolas fest. Es war. Einfach nicht. Zum. Aushalten. Sie waren hier in Mordor, in jeder Sekunde konnten alle möglichen Gefahren auftauchen, einmal davon abgesehen, dass Sméagol alias Gollum auch noch da war und jede weitere Sekunde der Herrschaft des Ringes für Amina gefährlich war. Wobei... Wenn er herrscht... Warum tut er es dann nicht wie sonst? Üblicherweise war es so, dass dann der Wahnsinn in ihrem Blick flammte wie ein Feuer. Aber dieser seltsame Zustand war neu und Legolas fand ihn um Klassen beunruhigender als jeder Wahn zuvor. Was hat der Eine nur getan? Ihre Gedanken ergaben nichts, wenn er mit seinen an ihnen entlangstrich. Nur verwischtes, undeutliches Grau. Ohne Form, Bewusstsein und Identität. Großer Manwe, der Eine wird sie doch nicht... Er wird doch ihre Seele nicht VOLLKOMMEN abgetötet haben?! Nein, nein. Vollkommen unmöglich. So schnell starb keine Seele. Vor allem nicht die einer Elbin. Nein, nein. Der Ring hatte ihre Seele selbstverständlich nicht getötet. Nein, nein. Aber... was denn dann?! Irgendetwas musste er doch getan haben, dass ihre Gedanken jegliche Form verloren und sie in einem Zustand war, der dem Tod näher war als dem Leben! Elben sterben nicht. Nicht von selbst. Doch wenn Amina nun starb, starb sie ja gar nicht 'von selbst'. Wenn sie jetzt starb, so starb sie, weil der Ring sie getötet hatte. Das wird er nicht! Er wird sie nicht töten! Niemals!! Zwar war Legolas wild entschlossen, Amina um keinen Preis sterben zu lassen, aber zeitgleich war ihm auch absolut klar, dass er nichts tun konnte, um das zu verhindern. Wenn sie nicht sterben soll, dann MUSS sie aufwachen! Sie MUSS einfach! Als der Schicksalsberg plötzlich wieder Feuer spie, zuckte Legolas' Kopf herum. Er verengte die Augen. Die Lava verharrte in der Luft. Schon wieder. Das hatte sie vorher schon einmal getan. Nun wieder. Das gleiche Schauspiel. Die Lava färbte sich golden und bildete den Einen Ring. Gleichzeitig schwappte Saurons Dunkelheit so heftig durch die Luft, dass der Elbenprinz nicht einmal seinen siebten Sinn benutzen musste, um sie zu spüren. Er hat eine neue Stufe von Stärke erreicht., dachte er düster. Nein. Das DARF und KANN nicht sein., er seufzte. Wach auf, Amina. Bitte. Im nächsten Moment geschahen zwei Dinge zugleich. Zum einen hoppelte Sméagol alias Gollum neben Amina, zischelte ein "Schatzzzz" und streckte eine Hand nach dem Ring aus, der golden gitzernd gegen Aminas linkes Schlüsselbein fiel. Zum anderen fuhr die junge Elbin in die Höhe wie von Morgoth persönlich gejagt, etwas blitzte silbern in ihrer Hand auf und in der nächsten Sekunde starrte Sméagol alias Gollum erstaunt auf den Dolch zwischen seinen Rippen. Heftig nach Atem ringend funkelte Amina ihn an. "Wage es nicht!", knurrte sie und mehr denn je schwang der Wahn in ihrer Stimme mit. "Wage. Es. Ja. Nicht." Sméagol alias Gollum zog sich zurück, Amina riss ein weiteres Messer hervor, warf es und... verfehlte ihn. Das war der Umstand, der Legolas mit am meisten irriterte, einmal davon abgesehen, dass er sich noch nicht von seinem Schrecken erholt hatte. Wie konnte sie Sméagol verfehlen? Ihre Finger zitterten. Vor Wut. Mit einem Sprung war sie auf den Beinen, riss Cala hervor und presste Sméagol die Spitze an die Kehle. Rotes Blut lief die Schwertklinge hinab und tropfte auf die des Messers, das am Boden lag. "Verschwinde.", zischte die junge Elbin. "Sonst bringe ich dich um und schicke dich in die Hallen von Valinor!" Sméagol alias Gollum riss die blauen Augen auf, sein Atem war rasselnder als jemals zuvor. "Aber Herrin...", wisperte er. "Schweig.", fauchte Amina. "Und geh. Sofort." Wie zum Beweis, dass sie ihre Drohung ernst meinte, nahm sie Cala weg und holte halb aus. Die blauen Augen weiteten sich noch mehr, dann wich Gollum noch weiter zurück und verschwand. "Lauf nur.", flüsterte Amina. "Ja, lauf nur. Der Eine ist mir." Dieser Satz war es, der Legolas dazu befähigte, sich endlich von seinem Schock zu erholen. "Amina!", rief er. Ihr Kopf flog zu ihm herum. "Was?" Sachte schüttelte der Prinz des Düsterwaldes den Kopf. Das hier war nicht Amina. Das war der Ring, der durch Amina sprach. Nichts anderes. Dennoch sagte er: "Der Eine ist Sauron." Ein ausgesprochen gefährliches Glitzern ließ ihre grünblauen Augen funkeln. "Ach ja? Wer sagt das, Thranduils Sohn? Du? Wie schön. Aber der Eine sagt etwas anderes. Er ist mein. Mein Schatz." Jeder Widerspruch war zwecklos. Also beschloss Legolas, die Taktik zu wechseln. "Na gut. Dann ist er eben dein. Aber ist dir klar, dass Sauron dann auch dein Meister ist?" Sie schnaubte. "Ja, und? Es ist das Beste für ganz Mittelerde." Das war jetzt hoffentlich nicht ihr Ernst. Doch war es. Wenn ich könnte, würde ich den Ring von ihr wegreißen. Aber das geht nicht. Dazu... hat er seine Gänge schon zu tief gegraben. Darum tat er das einzige, was er jetzt noch tun konnte: Mit erhobenem Kopf erwiderte er ihren Blick. Eine Zeit lang erwiderte sie ihn kalt und unnachgiebig. Dann flackerten ihre Augen leicht und mit ihnen flackerte auch wieder ein Funken Hoffnung in Legolas auf. Sei noch da. Irgendwo. Bitte, Amina. Bitte. "Du hast gesagt, wenn der Eine Ring mein ist, dann... ist Sauron mein Meister, richtig?", fragte sie plötzlich mit schwerer Stimme. Zögernd nickte der Waldelbenprinz. "Ja. Das habe ich." Die junge Elbin zögerte, ließ Cala in ihre Schwertscheide zurückgleiten und sammelte ihr Messer ein, ihre eine Augenbraue hob sich. "Ein Dolch weniger.", murmelte sie und strich sich ihre silberne Sternensträhne hinter ein Ohr. Dann sagte sie abrupt: "Das war wirklich ein neuer Negativrekord." Sie drehte sich um und blickte ihn unverwandt an. Das wahnsinnige Glitzern war aus ihren Augen gewichen. Noch unsicher hielt Legolas einen Moment inne, bevor er seine Frage aussprach: "Was hat er gemacht? Der Eine?" Aminas grünblauer Blick verdunkelte sich. "Ich weiß nicht. Er hat...", sie blinzelte und zuckte die Schultern "keine Ahnung. Auf jeden Fall war es... nicht schön." Das glaubte Legolas ihr sofort. "Wie dem auch sei, wir sind nicht mehr weit vom Schwarzen Tor weg.", fuhr sie fort. Ja, das stimmte. Allzu weit war es wirklich nicht mehr. Allerdings wusste der Prinz der Waldelben nicht, ob dieser Umstand eine Erleichterung oder Anlass zu noch mehr Sorge war. "Bevor wir", setzte Amina hinzu "auch nur einen Schritt in diese Richtung tun, will ich, dass du eines weißt." Blinzelnd sah er sie an. "Was denn?" Ihre grünblauen Augen blitzten vor Entschlossenheit und etwas, das er schon viel zu lange nicht mehr darin gesehen hatte: Willensstärke. "Egal, was der Eine Ring tut. Egal, wozu er mich treibt. Ich bin noch da. Nicht immer. Zeitweise. Vollkommen ungebrochen bin ich nicht. Aber er wird es nicht schaffen, mich, meinen Willen, im Gesamten zu zerbrechen." Das waren schöne Worte. Hoffnungsvolle Worte. Starke Worte. "Du kannst es mir nicht versprechen, oder?", fragte er sie. Wie er es erwartet hatte, schüttelte Amina sachte den Kopf. "Nein.", sagte sie. "Um genau zu sein, kann ich dir nicht einmal versprechen, dass wir beide das Ende dieser Mission erleben werden." Nun eindeutig noch mehr beunruhigt musterte er sie mit seinen blaugrauen Augen. "Wie meinst du das?", hakte er langsam nach. Amina seufzte tief, ihre Augen irrten zum Himmel, wo sich eine winzige Lücke auftat und ein schmaler Strahl von Sternenlicht hindurchfiel. In Mordor wurde es nicht nur viel später hell, sondern auch viel früher dunkel. Sofern in diesem Land überhaupt von unterschiedlichen Helligkeiten die Rede sein konnte. Die junge Elbin schwieg weiterhin und wartete, bis der dünne Lichtstrahl sich in ihrer silbernen Sternensträhne fing. Erst dann richtete sie ihren Blick dorthin, wo Barad-dûr, der Schicksalsberg und das Schwarze Tor lagen und erwiderte: "Wenn der Eine mich bis zu unserer Ankunft am Schicksalsberg und seiner Zerstörung in dessen Flammen zu sehr unter Kontrolle hat, dann wird meine Energie so sehr aufgebraucht sein, dass ich sterbe, wenn der Eine zerstört ist." Oh nein. Das durfte doch nicht wahr sein. "Nein.", heftig schüttelte Legolas den Kopf. "Nein. Du wirst nicht sterben." Sie schenkte ihm ein kleines, bitteres Lächeln. "Und wie gedenkst du, es zu verhindern?" Das war natürlich nur eine rhetorische Frage und so schwieg der Waldelbenprinz. "Du kannst es nicht.", sprach sie sanfter weiter und stellte sich nun an seine Seite. "Niemand kann es, wenn es so kommt. Aber es ist nicht gesagt, dass es in jedem Fall so kommen werden wird. Ich will nur nicht, dass du allzu erschrocken bist, wenn es so kommt." "Allzu erschrocken?", wiederholte Legolas und blickte sie an. "Wirklich jetzt? Ich werde nicht 'allzu erschrocken' sein. Oder 'sehr schockiert'. Amina! Wenn, hör zu, wenn du tatsächlich die Trennung des Einen Ringes von deiner Seele nicht... überleben solltest... Ich wäre mehr als erschrocken. Ich wäre am Boden." Darauf wich Amina seinem Blick aus. "Ich weiß.", flüsterte sie. Dann hob sie den Kopf wieder und begegnete seinem Blick mit trotzig erhobenem Kinn. "Ich sagte es schon zweimal und ich sage es ein drittes Mal: Wenn mein Leben der Preis sein soll, damit Sauron nicht wieder die Ketten der Unterwerfung um die freien Völker Mittelerdes legen kann, so ist dies ein Preis, den zu zahlen ich vollkommen gewillt bin. Der Tod ist nichts, dessen ich mich fürchte." Dazu sagte Legolas nichts. Was soll ich dazu auch sagen? Diese Entschlossenheit ist es, die sie braucht und die sie am Ende vielleicht auch retten wird. Anstatt ihr also Widerworte zu geben oder sonst etwas zu sagen, legte er eine Hand an ihre Wange und anschließend seine Stirn gegen ihre. "Tue, was du tun musst.", antwortete er nun doch. "Ich werde mit dir gehen, bis in die Flammen hinein." Amina lächelte. Ein bisschen nur, aber es war ein Lächeln. Ein winziges Licht in der Finsternis.

Die Ringträgerin -Die Macht des Einen- || Herr der Ringe FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt