10. Kapitel: Dem Wahnsinn geweiht

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Ich bin dem Wahnsinn geweiht.
Das hatte Amina gesagt. Stimmte es? Legolas hatte in ihren Augen gesehen, wie sehr sie den Ring hasste. Sie hasste ihn, sie hasste Sauron. Und doch hätte sie sich den Ring beinahe an den Finger gesteckt. Weil die Macht der Verführung zu den Fähigkeiten des Ringes gehörte. Ja, Amina hatte Recht: Der Ring hatte Isildur und Gollum in den Wahnsinn getrieben, Letzteren sogar noch mehr als den erst genannten. Aber sie, Amina? Wieder rief der Prinz des Düsterwaldes sich in Erinnerung, dass Amina eine Elbin war. Nur war das wahrscheinlich egal. Der Ring war der Eine Ring, Saurons Ring, er verführte alles und jeden, der in seiner Nähe war. Vorhin hatte Amina eine Ausdrucksweise der Menschen benutzt. 'Der Ring', hatte sie zu ihm und den anderen gesagt 'verführt alles und jeden, der nicht bei drei auf den Bäumen ist.' Das war natürlich nicht wortwörtlich gemeint. Baumklettertouren würden Amina nicht vor der Macht des Ringes schützen. Sie war die Ringträgerin und sie zog seinen Wahn zu sich. Selbstverständlich spürten auch die anderen den Ring, nicht nur er selbst, da war Legolas sich sicher. An ihnen anderen hatte der Ring nur kein besonders großes Interesse. Denn er hatte die eine gefunden, die ihn trug, nach Mordor, zu seinem Herren. Die eine, deren Seele er zerreißen, deren Verstand er zerstören und deren Vernunft er brechen konnte. Noch hielt sich das einigermaßen in Grenzen. Dennoch, vor einigen Stunden hätte Amina den Ring beinahe angezogen. Jetzt schon! Wie viel schlimmer würde das dann erst werden, wenn die Gemeinschaft des Ringes in Mordor war?! Vermutlich würde es Ausmaße annehmen, die Legolas sich im Vorfeld nicht allzu genau ausmalen wollte. Ich bin dem Wahnsinn geweiht. Das hatte Amina gesagt.
Als sie vor dem Anführer der Nazgûl, dem Hexenkönig von Angmar, zurückgewichen war und ihren Willenskampf mit dem Ring ausgefochten hatte... Tatsächlich war da eine Spur von Wahnsinn in ihren Augen gewesen. Nur kurz, denn dann war dieser Wahnsinn ersetzt worden durch blanke Verzweiflung. Sie hatte den Ring wirklich nicht überziehen wollen, aber er hatte ihr keine Wahl gelassen. Legolas war froh, sich so entschieden zu haben, wie er es getan hatte. Denn sie hatten es nun wirklich nicht gebrauchen können, dass Sauron seine volle Aufmerksamkeit auf sie fünf richtete. Nein. Außerdem... Amina hatte recht. Jedes Mal, da sie den Ring benutzen würde, würde er ihr ein Stück ihrer Seele rauben. Vielleicht nicht ganz so drastisch. Aber doch so ähnlich. Mit jedem Mal würde der Ring ihre Seele mehr zerreißen, ihren Verstand mehr zerstören und ihre Vernunft mehr brechen. Das tat er ohnehin schon. Er raubte ihr die Kraft. Aber das Überstreifen des Ringes würde ihm das Brechen seines Trägers nur noch leichter machen, es nur noch schneller von Statten gehen lassen.
Nein.
Nicht bei Amina. Einer Elbin. Nein, nein, nein. Legolas wandte den Kopf zur Seite. Die Gefährten hatten, trotz der mehr als ungünstigen und absolut unsicheren Umgebung, einen Stopp eingelegt. Keiner der fünf - nun gut, außer ihm selbst - hätte noch einen Schritt weiter tun können. Selbst Aragorn sah aus, als wäre er am Ende. Amina sowieso. Schwer atmend lehnte sie an einem Felsen, ihre linke Hand umklammerte den Ring an seiner Kette, ihre grünblauen Augen starrten ins Nichts. Jetzt schnappte sie nach Luft wie eine Ertrinkende und stieß hervor: "Er ist... nicht. Begeistert." "Wer?", Boromir hob den Kopf. Amina blinzelte, ließ die Hand sinken und stützte sich mit einem Arm ab. "Sauron.", erwiderte sie, nun ruhiger. "Die Nazgûl sind zu ihm zurückgekehrt und haben ihm Bericht erstattet." "Will er uns jetzt eine Orkarmee nachjagen?", donnerte Gimli und sah wild um sich. Eine Orkarmee... Alles, nur das nicht. Allerdings sorgte Aminas Antwort für noch mehr Entsetzen. "Nein.", sagte sie nämlich. "Er wird uns nicht aufhalten, nach Mordor zu kommen." "Wie bitte?", Aragorn riss den Kopf hoch und starrte Amina an. "Was hast du gesagt?" Sie seufzte. "Er wird uns nicht aufhalten." Legolas blinzelte mehrmals. Das war noch schlimmer als alle Orkarmeen Isengarts und Mordors und Morias zusammen. Wenn Sauron sie nicht aufhielt... "Du willst uns doch jetzt nicht etwa sagen", fragte er "dass Sauron will, dass wir kommen?" Darauf lächelte Amina müde. "Was sonst? Ich habe seinen Ring, ich habe seinen Schatz." Wieder flackerte ein Hauch Wahnsinn in ihren Augen und Legolas wurde eiskalt. Nein. Nicht jetzt schon. Nicht. Doch da blinzelte sie, zog die Augenbrauen zusammen und biss sich offenkundig wütend auf die Lippen. "Er will, dass wir kommen.", fuhr sie fort. "Und den Ring quasi eins-A vor seiner Haustür ablegen.", sprach sie weiter und Gimli stieß ein seltsam überdrehtes Lachen aus, das ihm einen schiefen Seitenblick von Boromir sowie hochgezogene Augenbrauen von Legolas einbrachte. "Was sind wir denn?!", entrüstete sich der Zwerg. "Ein Lieferdienst?!" "Für Sauron schon.", antwortete Amina und Legolas sah, wie ihre Finger sich in den Fels krallten, an dem sie sich nach wie vor festhielt. Als würde sie zusammenbrechen, wenn sie ihn losließe. "Na super. Einmal den Boten für den dunklen Fürst spielen. Wollte ich schon immer mal machen.", murmelte Gimli und blickte Amina an. Die erwiderte seinen Blick und senkte leicht das Kinn. In stummem Einverständnis nickten sie einander zu und Legolas hatte das Gefühl, etwas verpasst zu haben. "Sind uns jetzt eigentlich Orks auf den Fersen oder nicht, Ringträgerin?", fragte Boromir schließlich, nachdem alle eine Weile geschwiegen hatten. Aus Schock, Erschöpfung oder Frustration. Oder allem zusammen. "Nein.", Amina schüttelte den Kopf. "Keine Orks." Zwar war ihre Antwort ruhig, aber Legolas bemerkte einen seltsamen Ton in ihrer Stimme und hakte darum nach: "Etwas anderes?" Ihre grünblauen Augen richteten sich auf ihn und ihr Blick war so kühl wie das Eis zur Zeit der Schlacht der fünf Heere. "Ja.", gab sie zurück und ließ sich langsam, den Rücken gegen den Felsen, zu Boden gleiten. "Ich glaube, ich weiß es.", meldete sich Aragorn, zog sein Schwert und begutachtete die Klinge. "Jemand, der den Ring vor dir hatte. Und noch lebt. Jemand, der den Ring über allem anderen begehrt. Jemand, der ihn viel zu lange hatte." "Richtig.", sagte Amina und lehnte den Kopf zurück, ihre Augen schlossen sich halb. "Ich kann ihn spüren, wenn auch nicht sehen oder hören. Er verfolgt uns seit einer Weile, aber er wird nicht allzu nah an uns heran kommen. Zumindest vorerst nicht." "Kann der uns denn hören?", wollte Gimli wissen. "Nein. Er ist kein Elb und wenn selbst ich ihn nicht hören oder sehen kann, so kann er das erstrecht nicht.", antwortete Amina, verzog dann das Gesicht und blinzelte. "Verzeih. Es sollte nicht arrogant klingen. Nur..." Sie beendete den Satz zwar nicht, aber Legolas las ihn auf ihrem Gesicht. 'Nur dieser verfluchte Ring...' "Solange du dir sicher bist, dass er auf Abstand bleibt... und solange er das auch tut, können wir sowieso nichts tun.", sagte Aragorn. "Jaaaah.", sie zog das Wort unnatürlich lang und stieß ein kurzes Auflachen aus. Ganz anders wie das Lachen, das die Elben eigentlich lachten, stellte Legolas fest. Nicht melodisch und sanft, sondern ein ersticktes, zitterndes Lachen. Gezeichnet von dem Einen Ring. Bei dem Gedanken daran, dass der Ring Amina bereits zu zerreißen begann, musste Legolas den Blick von ihr nehmen. Er konnte es nicht ertragen, sie so zu sehen. Warum ihm das ausgerechnet bei ihr so viel ausmachte, wusste er nicht. Nachdenklich warf Legolas einen kurzen Blick zu Amina hinüber und beschloss, gleich noch einmal mit ihr zu reden. Entweder telepathisch oder lautsprachlich, wenn die anderen schliefen. Was wahrscheinlich, wenn er die anderen drei, müde von dem Kampf gegen die Nazgûl, betrachtete, nicht mehr lange dauern würde. Der Elbenprinz selbst dagegen spürte kaum den Anflug von Erschöpfung. Elben waren gegen dieses Gefühl fast immun. Zumindest... eigentlich. Aber körperliche Belastung war eine andere als die ständige psychische Folter, die Amina als Ringträgerin durchstehen musste. Doch das musste sie. Sie musste stark genug sein. Niemand konnte ihr die Last des Ringes abnehmen. Auch wenn Legolas sich das wünschte. Warum konnten sie nicht schon in Mordor sein? Warum konnten sie nicht schon im Inneren des Schicksalsberges sein? Warum konnte der Ring nicht schon in den lodernden Tiefen verschwunden sein? So wunderbar wäre das. Aber es war nicht so. Nein. Stattdessen waren sie irgendwo in Mittelerde, auf dem Weg nach Osten, nach Mordor, der Ring zerrte an Amina. Reglos blieb Legolas stehen, ließ seine scharfen Elbensinne die Umgebung absuchen. Und auch er spürte Gollums Anwesenheit. Entfernt, wie eine Wolke am Horizont, aber da.
Keine Orks.
Keine Nazgûl.
Nur der Wind strich fauchend durch das Gras. Die Stille war fast schon unheimlich und würde Legolas nicht wissen, dass wirklich alles in Ordnung war, würde er glauben, es wäre die Ruhe vor dem Sturm. War es nicht. Zumindest nicht wirklich. Denn ganz genau gesehen war das alles hier die Ruhe vor dem Sturm. Die Ruhe vor dem Sturm, der losbrechen würde, sobald sie Mordor oder auch nur die Grenzen davon erreichten. Immer wieder auch den siebten Sinn der Elben benutzend hielt der Prinz der Waldelben Wache. Minutenlang, bis ihm das ruhige Atmen der anderen verriet, dass sie schliefen. Prüfend wandte er den Kopf. Gimli, Aragorn und Boromir lagen alle drei in mehr oder weniger komfortabelen Positionen da und schliefen tief und fest. Amina lehnte nach wie vor an dem Felsen. Doch ihre Augen waren offen und ausdruckslos an ihm vorbeigerichtet. Würde sie nicht atmen, so könnte Legolas vermuten, dass sie tot war, denn sie blinzelte nicht. Plötzlich zuckte sie zusammen und blinzelte gleich mehrere Male hintereinander, als wollte sie das zuvor versäumte Blinzeln nachholen. Ihre rechte Hand glitt von den Griffen ihrer Messer und unwillkürlich musste der Prinz daran denken, wie sie ihm in den Minen von Moria die kalte Klinge an den Hals gepresst hatte. "Ich habe einen Zauber auf dich gelegt, weil du mein bist." Amina flüsterte die Worte nur, fast lautlos. "Das sagt er fast jedes Mal, wenn ich ihn, na ja, sehe." Nun lag ihr Blick auf ihm. Grünblau, klar, ohne Wahnsinn, fixiert. Nach kurzem Zögern verließ der Elbenprinz seinen Wachposten und trat neben sie. "Sauron?", fragte er leise, auf Elbisch. Sie nickte. "Ja. Und ich glaube, ich weiß auch, was er meint.", erwiderte sie, ebenfalls in der Sprach der Elben, ihre Hand zupfte an der Kette und sie hielt sich den Ring vor die Augen. Abscheu verzog ihre Mundwinkel. "Ich hasse ihn. Den Ring. Und Sauron. Beide.", sie ließ die Kette abrupt los und der Ring fiel klirrend gegen ihre Rippen. "Trotzdem verführt er mich.", sie schnaubte. "Das hasse ich auch." Langsam hob sie den Kopf und stemmte sich hoch. Sie war fast so groß wie Legolas, nur ein bisschen kleiner, aber dennoch auf Augenhöhe mit ihm. "Er raubt mir die Kraft, weißt du. Gerade ist es besonders schlimm. Vielleicht wegen den Nazgûl vor ein paar Stunden." Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und sah ihn an. Das Funkeln in ihren Augen war erloschen. "Er wird mich brechen, Legolas. Früher oder später.", hauchte sie. "Nein, wird er nicht!", widersprach er sofort und senkte dann wieder die Stimme, aber die anderen schliefen weiter wie Steine. "Ich bin da... Wir sind da." "Das wohl.", Amina nickte und legte einen Arm über den Felsen neben ihr, der ungefähr so hoch war wie ihre Schultern, als wäre er das einzige in der Welt, das sie aufrecht erhielt. "Aber ihr könnt mir den Ring nicht abnehmen. Ihr könnt mir seine Last nicht erträglicher machen." "Vielleicht ja doch, Amina, Ringträgerin.", sagte Legolas. "Ach ja?", sie hob eine Augenbraue. "Und wie?" "Du hast recht, wir können dir den Ring nicht abnehmen.", flüsterte er sanft. "Aber hilft es dir nicht auch schon, wenn wir dir eine mentale Stütze sind?" Wortlos erwiderte sie seinen Blick, ihre Augen schimmerten. "Einer zerbrechenden Brücke noch einen Pfeiler zu bauen, hält sie nicht immer vom Einstürzen ab.", antwortete sie schließlich und verengte dann die Augen. "Nur manchmal." "Ein Versuch ist es wert, nicht?", wollte Legolas wissen und ließ seine Augen über ihre Gesichtszüge wandern. So perfekt und makellos wie die aller Elben. Die silberne Sternensträhne fiel ihr an die Schläfe, genauso gewellt wie der Rest ihrer Haare. "Ja.", sie blinzelte und ein Funke blitzte in ihrem grünblauen Blick auf. "Gib nicht auf, Amina.", fuhr der Prinz des Düsterwaldes fort und war für einen Moment mehr als sehr versucht, ihr eine Haarsträhne zurückzustreichen. Doch er hielt sich in letzter Sekunde zurück. "Denn wir sind hier." "Einen", Aminas Stimme schwankte leicht "haben wir schon verloren." "Das haben wir. Vielleicht werden es noch mehr. Aber du wirst uns nicht alle verlieren, Amina. Halte uns nicht auf Abstand, Ringträgerin. Wir sind deine Gefährten.", er legte den Kopf schräg und durchbohrte sie mit seinen graublauen Augen. "Wenn du nicht uns vertraust, wem dann?" Starr blickte sie ihn an, ihre Lippen teilten sich. "Mir.", flüsterte sie dann. Legolas schüttelte den Kopf. "Dir selbst zu vertrauen ist gut. Doch alleine wirst du nicht nach Mordor kommen, Ringträgerin." Kurz hielt sie ihm reglos stand, dann flackerte etwas in ihren Augen. Wie eine einsame, eisige Flamme. Welches Gefühl es war, konnte der Waldelbenprinz nicht sagen. "Ringträgerin.", zischte sie schließlich und die Abscheu, mit dem sie dieses Wort aussprach ließ ihn einen Schritt zurückweichen. "Bin ich das für euch alle? Die Ringträgerin? Oh ja, und sonst nichts, nicht wahr? 'Ja, seht, das ist die Ringträgerin. Wir wissen gerade nicht, wie sie eigentlich heißt. Aber sie trägt den Ring. Mehr muss man nicht wissen.' Das ist es!" Von ihren heftigen Worten waren die anderen drei aufgewacht, hatten sich aufgesetzt. Mit schreckgeweiteten Augen verfolgten die vier nun, wie Amina den Ring an seiner Kette hervorzog. Sie blickte auf und lächelte. Ein düsteres Lächeln. "Ich bin nicht die Ringträgerin. Ich bin mehr als das!" Damit zog sie den Einen Ring von der Kette und steckte ihn sich blitzschnell an den Finger. "Nein!" Alle vier anderen Gefährten schrien dieses Wort durcheinander, auch Boromir. In der selben Sekunde, in der Amina sich den Ring an den Finger geschoben hatte, war sie verschwunden. "Oh ja, die Ringträgerin!", kam nun ihre Stimme aus dem Nichts, triefend vor Ironie und Zorn. "Sonst nichts, nicht wahr?" Aragorn blinzelte, es hatte ihm genauso die Sprache verschlagen wie Legolas und Gimli und Boromir. Stille. Der Wind fauchte wie ein wild gewordener Nazgûl über die Landschaft.
Gold blitzte im verblassenden Tageslicht.
Dann ein leises Klirren, als der Ring, an die Kette gebunden, wieder um Aminas Hals lag und die junge Elbin selbst wieder sichtbar da stand.
Die Augen geweitet, keuchend nach Atem ringend, am ganzen Körper zitternd. Legolas sah Aragorn an, der fragend eine Augenbraue hochzog, woraufhin der Prinz den Kopf schüttelte. Gimli sah aus, als wollte er seufzen, ließ es dann aber doch sein, Boromir strich sich die Haare aus dem Gesicht und sah halb erschrocken, halb skeptisch drein. Urplötzlich drehte Amina sich um. Blanker Hass stand in ihren Augen, spiegelte sich auf ihrem Gesicht. Doch sie sah nicht die Gemeinschaft des Ringes an, wie Legolas erleichtert feststellte. Sondern den Himmel. Um genau zu sein, den östlichen. "Ich bin nicht dein!", knurrte sie. "Und auch nicht deinem Ring, Sauron, Lehrling Morgoths, der sich früher Melkor nannte, der Abtrünnige der Valars. Ich bin mir selbst und sonst keinem! Ich bin mein. Aber das verstehst du nicht, ich weiß.", ihre Stimme wurde weicher und Gimli sah Legolas beunruhigt an, als würde er ihn bitten, ihm doch bitte zu erklären, was hier gerade vor sich ging. Aber das wusste Legolas selbst nicht. Sprach sie gerade telepathisch mit Sauron und wiederholte nur das, was sie sagte? Möglich. "Du kannst nur unterwerfen.", fuhr Amina nun fort. "Und darauf bist du auch noch stolz, ja, ja. Ich aber finde das geradzu bemitleidenswert, Maia, der du auf finstere Pfade geraten bist. Du erinnerst dich an eines der ersten Dinge, dich zu dir sagte? 'Der Eine wird fallen und du mit ihm!'. Ich werde mich daran halten.", ihre Augenbrauen hoben sich. "Ja, lache nur. Denn ich habe einen Vorteil.", sie lächelte. "Ich bin nicht alleine. Ich habe wahre Verbündete an meiner Seite. Im Gegensatz zu dir. Sie alle folgen dir nur aus Angst oder um dir dann in den Rücken fallen zu wollen. Das, Sauron, sind keine wahren Verbündeten, wie ich sie habe. Ich gebe zu: Du hast da wahrlich ein Meisterwerk geschaffen, mit deinem Einen Ring. Er wird mich wieder verführen. Immer wieder. Er wird mich brechen. Nur nicht vollkommen. Er wird mich nicht vollkommen brechen." Dann schwieg sie, schloss die Augen und blinzelte schließlich. Ihr Blick richtete sich auf die Gefährten und Boromir sah aus, als überlegte er, ob er sein Schwert ziehen sollte. "Die Nazgûl werden nicht kommen.", sagte Amina jetzt. "Obwohl sie es natürlich gespürt haben - dass ich den Ring benutzt habe. Sie werden nicht kommen." Legolas blickte sie an. Ruhig erwiderte sie seinen Blick mit ihren grünblauen Augen. Ohne Wahnsinn. Ohne Zorn. Ohne Hass. "Warum?", fragte er. "Sauron hat es ihnen verboten.", erklärte Amina. "Er will sich persönlich um 'das freche Elblein' kümmern, das es gewagt hat, das 'mächtigste Wesen in Mittelerde' herauszufordern." "Oh.", Aragorn sah beeindruckt aus. "Das war... riskant." "Ja, war es.", die junge Elbin nickte und warf sich das schwarze Haar in den Nacken. "Aber der einzige Weg, mich aus den Klauen des Ringes zu befreien." "Das ist dir gelungen.", brummte Gimli und sah sie an. "Wahrhaftig, das ist es. Das war eine schöne Rede, Amina." Sie lächelte. Es war ein Elben-Lächeln. Sanft und anmutig. "Danke.", erwiderte sie. "Für heute hat der Ring wahrscheinlich genug.", fuhr sie fort, wandte sich ab und sprang elegant auf den Felsen. "Ich werde wachen. Geht und holt euren Schlaf nach, um den ich euch gebracht habe." "Nichts lieber als das.", kommentierte Gimli. "Nazgûl, Ringe, Anti-Sauron-Reden... Alles ermüdend." Vor sich hin brummelnd legte der Zwerg sich wieder hin. Aragorn sah Legolas an und zuckte die Schultern, Boromir bedachte Aminas Rücken mit einem misstrauischen Blick, bevor er zu sich selbst murmelte: "Wenn sie mich im Schlaf umbringt, bring ich sie um." Das war absolut kontrovers, aber Legolas überließ den Sohn Denethors seinen Selbstgesprächen. Der Waldelbenprinz wartete kurz, bis die drei um ihn herum wieder in Schlafpositionen da lagen, bevor er sich leise zu Amina auf den Felsen gesellte. "Boromir will dich umbringen, wenn du ihn umbringst.", sagte er leise. Ohne den Blick vom Horizont zu nehmen, hob die junge Elbin eine Augenbraue. "Wirklich? Dann kann ich ihn beruhigen. Ich werde ihn nicht umbringen. Mindestens für heute wird der Ring mich in Ruhe lassen. Sauron hat noch an dem zu knabbern, was ich ihm gerade an den Kopf geworfen habe. Ist sein Herr auf etwas anderes konzentriert als den Ring, zumindest solange Sauron noch gestaltlos ist, so bin ich stark genug, mich gegen den Einen zu wehren." Sie fügte nicht hinzu 'Noch' oder 'Fraglich nur, wie lange noch'. Sie sagte es einfach so, ruhig und gelassen. Keine Spur mehr von dem Zorn. Dem Hass. Dem... Wahnsinn. "Du hast uns ganz schön erschreckt, Amina.", murmelte Legolas, nun auf Elbisch. Darauf wandte sie den Blick nach Westen und senkte leicht den Kopf. "Ich mich auch.", erwiderte sie schließlich. "Ich wollte es nicht. Nicht... Nicht wirklich. Der Ring wollte es und... Nach den Nazgûl heute tagsüber... Er war so stark und ich so schwach. Ich konnte mich nicht mehr wehren." Die untergehende Sonne malte orange-rote Lichtreflexe auf ihr schwarzes Haar und die silberne Sternensträhne. Gerade, als der Prinz des Düsterwaldes zu einer Antwort ansetzte, drehte Amina den Kopf und sah ihn an, mit ihren grünblauen Augen. Grün mit blauen Sprenkeln, und Legolas durchzuckte der Gedanke, warum ihm das nicht schon früher aufgefallen war. "Ich will euch nicht wehtun. Keinem von euch. Aber der Ring will es. Und manchmal... zwingt er mir seinen Willen auf, obwohl ich mich wehre. Oder dann, wenn ich mich nicht wehren kann. So, wie jetzt.", ihre Stimme war nur ein Flüstern. "Keiner von euch muss mir das vergeben, was ich gerade tat. Du musst mir das, was ich tat nicht auch noch vergeben.", sie seufzte leise. "Ich ahnte, was geschehen würde, als ich den Ring an mich nahm. Hoffentlich wusstet ihr es auch." Ihre Augen glänzten, wenn auch nicht von Tränen. "Die Ringträgerin zu sein bedeutet, zerrissen zu werden. Abwechselnd von dem Ring und von dem eigenen Gewissen. Trotzdem würde ich es wieder tun.", sie senkte halb die Lider und ihre dunklen Wimpern warfen sanfte Schatten auf ihre hohen Wangenknochen. "Nicht, weil ich mich für so besonders halte. Sondern weil ich nicht will, dass ein anderer das hier durchmachen muss. Niemand soll das jemals durchmachen müssen." Kurz sah Legolas sie schweigend an. "Du bist eine gute Ringträgerin. Wir könnten keine bessere haben.", antwortete er dann. Amina verzog ihre Lippen zu einem bitteren Lächeln. "Nicht?" Nein, könnten sie nicht. Wo sonst würden sie eine Ringträgerin herbekommen, die Sauron die Stirn bot um den Einfluss seines Ringes abzuschütteln? "Könnten wir nicht.", antwortete der Elbenprinz darum. "Auch wenn ich meine Gefährten mit Messern bedrohe? Auch wenn ich aus irgendwelchen, nicht nachvollziehbaren Gründen, seltsame Dinge über meine Berufung als Ringträgerin erzähle?", hakte Amina nach, ihre Stimme vibrierte leicht. "Das warst nicht du.", gab Legolas sanft zurück. "Das war der Ring. Die Grausamkeit Saurons, die durch den Ring aus dir sprach. Du bist nicht wie er. Überhaupt nicht, Amina." Sie blinzelte und ließ ihre Augen über den westlichen Horizont wandern. Als sie zur Sonne blickte, verengten ihre Pupillen sich, bevor sie sich wieder weiteten, als sie ihren Blick weiterschweifen ließ. "Ich hoffe, du wirst recht behalten.", erwiderte sie dann. "Wieso sollte ich nicht?", wollte der Prinz der Waldelben wissen. Daraufhin richteten sich Aminas Augen auf ihn. Ihr Lächeln war unendlich bitter. "Weil der Ring das Licht zur Dunkelheit kehrt. Er ergreift von den Seelen jener, die ihn tragen, Besitz. Der Ring ist böse, Legolas. Genau wie sein Herr. Er lässt die Träger genauso böse Dinge tun.", sie senkte die Stimme. "Ich hoffe, dass wir den Schicksalsberg erreichen, bevor das letzte Licht in meiner Seele vergeht." "Du meinst", nachdenklich verengte Legolas die Augen "er würde dich auf Dauer... böse machen?"
Einige Sekunden lang gab die junge Elbin ihm keine Antwort. Dann hob sie das Kinn und nickte. "Ja. Das wird er, wenn wir zu lange brauchen. Er wird mich böse machen." "Es gibt keine bösen Elben!", protestierte der Prinz. "Wir sind Kinder des Lichts, wir... Wir können gar nicht böse sein!" Amina senkte mit einem traurigen Lächeln den Blick. "Es gibt für alles einen Anfang und ein Ende.", flüsterte sie. Erschrocken starrte Legolas sie an. Nein. Das kann nicht sein! "Nein.", stieß er leise aus. Die einzige Antwort der jungen Elbin war, dass sie seinem Blick standhielt ohne zu blinzeln. Nach einem Moment senkte der Prinz des Düsterwaldes den Kopf.
Ich bin dem Wahnsinn geweiht.
Das hatte Amina gesagt. Er biss sich auf die Lippen. Sollte sie am Ende etwa recht haben?

Die Ringträgerin -Die Macht des Einen- || Herr der Ringe FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt