Bonuskapitel: Die erste Begegnung (Legolas' Sicht)

23 3 0
                                    

Umringt von den Elben seines Vaters saß Legolas da und ließ seine graublauen Augen über die versammelten Anwesenden schweifen. Menschen, Zwerge, sogar zwei Hobbits. Und- Er hielt inne. Sie. Eine Elbin mit schwarzem Haar. Den Rücken an das Geländer gelehnt, den Kopf so geneigt, dass ihr Haar ihr Profil verdeckte. Auch wenn er deswegen nicht viel von ihr sah... Er hatte sie noch nie gesehen. Noch nie. Kein Bogen, stellte er fest, keine Pfeile. Stattdessen ein Elbenschwert, sechs Dolche, sechs Messer. Der Prinz des Düsterwaldes spürte die scharfen Blicke der Zwerge wie tausend Pfeile. Sein siebter Sinn meldete ihm das geladene Knistern von Feindseligkeit. Ruckartig wandte er seinen Blick von der Elbin und fixierte den nächstbesten der Zwerge, der seinen bohrenden Blick düster erwiderte. Die zwei Hobbits tuschelten miteinander, beiläufig schnappten Legolas' scharfe Ohren so etwas wie 'fürchtet sich ohne uns', 'arme Äpfel' und 'das gute zweite Frühstück' auf. Sachte schüttelte er den Kopf, sah jedoch zu Elrond, als der nun die Stimme erhob: "Ich habe euch heute hier zusammengerufen, weil es sehr ernstzunehmende Entwicklungen gegeben hat. Vor dreitausend Jahren wurde der dunkle Herrscher besiegt und sein Ring verschwand mit Isildurs Tod. Doch nun ist er wieder da." "Wer? Isildur?", fragte einer der beiden Hobbits. Innerlich verdrehte Legolas die Augen. Der Ring natürlich! Seine Aufmerksamkeit wurde jedoch schlagartig beansprucht, denn nun sprach Elrond zu der geheimnisvollen, fremden Elbin: "Nein. Amina, den Ring, bitte." Amina. Sie hieß Amina. Nun stand sie vom Boden auf und strich sich einige schwarze Strähnen aus dem Gesicht. Elegant schritt sie zur Steinplatte in der Mitte und jeder ihrer Schritte war, als würde sie den Boden kaum berühren, typisch für Elben. Bei jedem ihrer Schritte glitzerten ihre Messer und Dolche, sie blieb stehen und ließ den Ring, den Einen Ring, golden funkelnd von einer Kette gleiten. Leise klirrend traf er die Steinplatte und das leise Geräusch hallte in seinen Ohren nach. Es ist wahrhaftig der Eine. Die Elbin - Amina - hob den Kopf und ließ langsam den Blick wandern. "Was ist das denn? Doch nicht etwa Saurons Ring?", rief Tharinel, einer der hochrangisten Elben von Legolas' Vater. Ein Atemzug verging, dann nickte die Elbin. "Doch. Das ist der Meisterring." Legolas atmete angespannt aus. Sein Gespür hatte ihn nicht getäuscht. Natürlich nicht. Er blickte den Ring nachdenklich an. Unschuldig schimmerte er golden in der Sonne, doch just in dem Moment, in dem Amina (er beschloss, sie jetzt beim Namen zu nennen) ihre schlankem Finger auf die Steinplatte senkte, blitzten Flammen auf dem Ring auf, für den Moment ein flammendes Auge. Und da begriff Legolas. Der Ring hat sich seine Trägerin schon längst ausgesucht. Jene, die ihn ertragen muss. Aber sie weiß es nicht. Noch nicht. Vielleicht ahnt sie es? "Wir können ihn wohl nicht einfach hier herumliegen lassen, was?", brummte dann einer der Zwerge. "Also los, zerstören wir ihn!" Verächtlich hob der Prinz des Düsterwaldes die Augenbrauen. Du Narr. Das können wir nicht. Nichts kann den Einen zerstören. "Der Ring", sagte Gandalf und stand auf "ist nicht so leicht zu zerstören. Keine Axt kann ihn spalten, kein Schwert zerschmettern, kein Pfeil durchbohren." "Und wie", fragte einer der Menschen und Legolas erkannte in ihm Boromir, den Sohn von Denethor, dem Truchsess von Gondor, herausfordernd "wollen wir ihn dann überhaupt zerstören?" "Der Ring wurde von Sauron in den Feuern des Schicksalsberges geschmiedet.", antwortete Gandalf. "Und nur dort kann er wieder zerstört werden." Nur dort. Kurz hielt der Elbenprinz den Atem an. Das war mehr als schrecklich. Jemand würde den Ring nach Mordor tragen müssen! Und das, während der Einfluss des Einen und so Saurons Macht beständig wuchs! Nein. Das Wissen, das ihn nun überkam war kalt wie Eis. Nicht jemand. SIE. Der Ring hat sie ausgesucht. Er WILL, dass sie ihn trägt. Nach Mordor. Kurz überlief es ihn eiskalt. "Also müssen wir nach Mordor?", wollte einer der Hobbits wissen. Schwermut und Hoffnungslosigkeit legten sich wie zäher Schlamm über die Anwesenden. "In der Tat. Der Ring muss nach Mordor gebracht und in den Abgrund des Schicksalsberges geworfen werden.", bestätigte Elrond. "Wir brauchen also jemanden, der den Ring dorthin bringt." Jemanden. Jemanden, jemanden, jemanden. Der Ring hatte seine Wahl längst getroffen! Nur kannte niemand sie. Vermutlich nicht einmal Amina selbst. "Es muss jemand starkes sein!", sagte einer der Zwerge und Legolas verdrehte die Augen, Tharinel seufzte entnervt. "Schonmal nichts für uns!", stellte einer der Hobbits fest. "Nicht unbedingt körperlich stark.", warf Gandalf ein. "Aber seelisch." Die Hobbits tauschten verängstigte Blicke, die Zwerge blickten sich spöttisch an und die Menschen rund um Boromir tauschten spöttische Blicke. Aber Legolas wusste, dass der Istari recht hatte. Der Ring wirkte mehr auf die Seele, als auf den Körper. Er zerriss sie und erst, wenn er das getan hatte, wurde sein Wirken physisch sichtbar. So, wie bei Sméagol. "Beides wäre doch optimal.", protestierte nun einer der Menschen. "Der Ring wirkt auf die Seele. Nicht unbedingt auf den Körper.", erwiderte Aragorn, Legolas hatte ihn sofort erkannt. Sie hatten sich schon öfter gesehen. "Wer bist du überhaupt, dass du das zu behaupten wagst?", fragte der gleiche Mensch, der so eben gegen Gandalfs Einwand protestiert hatte. "Ein Waldläufer!", rief der andere Mensch. Das reichte dem Prinz des Düsterwaldes, er strich sich die blonden Haare zurück und erhob sich. "Nein!", widersprach er energisch. "Das", fuhr er ruhiger fort "ist Aragorn. Arathorns Sohn und rechtmäßiger Thronerbe von Gondor!" Aragorn senkte den Kopf und biss die Zähne aufeinander. Er hasste diesen Titel und Legolas blinzelte entschuldigend. "Ach.", brummte Boromir und Spott schwang in seiner Stimme mit. "Und warum ist er dann hier und nicht auf dem Thron in Minas Tirith?" "Das", stellte Elrond klar und Legolas stimmte ihm völlig zu "steht nun wirklich nicht zur Debatte." Boromir schnaubte voller Verachtung, nickte aber unwirsch, die Menschen um ihn herum genauso. "Also", ergriff Gandalf wieder das Wort "wer wird den Ring an sich nehmen? Ich warne euch jedoch: Das ist keine einfache Aufgabe, die mal nebenbei schnell erledigt werden kann. Den Ring nach Mordor zu bringen und so der Ringträger zu werden, ist eine schwere Last." Sofort begann eine wilde Diskussion. "Gondor", tönte Boromir "soll den Ring nehmen! Wir werden ihn sicher verwahren!" "Bist du taub?", brüllte einer der Zwerge. "Das Ding muss zerstört werden, nicht in deinem Schmuckkasten rumliegen!" Boromirs Augen sprühten Funken vor Wut. "Wir", fuhr der Zwerg fort "sollten den Ring nehmen! Denn im Gegensatz zu euch Menschen", er maß Boromir spottend "konnten die Ringe der Macht uns nie verführen! Ihr seid willentlich viel zu schwach!" "Natürlich. Ihr allein seid dazu in der Lage, den Einen zu nehmen.", Tharinel lachte ein klares Elben-Lachen. "Nein. Wir waren es, die Saurons Geist gespürt haben und die Ringe vor Sauron versteckt haben. Die neun Ringe der Menschen - haben die Nazgûl, die Saurons Diener sind. Die sieben Ringe der Zwerge - wurden entweder zerstört oder Sauron hat sie wieder an sich genommen. Nein Wir sollten den Ring nehmen, nicht irgendein grobschlächtiger Zwerg!" "Ich spalte dir gleich deinen hübschen Schädel, mal sehen, ob du dann immer noch so schön grinst. Ihr wollt den Einen nehmen? Ihr?", der braunhaarige Zwerg, der die ganze Zeit schon sprach, lachte rau. "Ihr seid doch nur aalglatte Schönlinge, ohne große Widerstandskraft!" Empört rang Legolas nach Atem. Das geht zu weit! "Unser Leben ist unendlich! Aber ihr seid sterblich!", entgegnete Tharinel. Schmerzlich verzog der Elbenprinz das Gesicht und seufzte. Solch einen Spruch hatte er schon einmal gehört. Vater ist wirklich gut darin, anderen seine Überzeugungungen beizubringen. Er hatte seinen Vater nicht getroffen, hatte nur die, die jetzt hinter ihm standen, an der Grenze des Düsterwaldes abgeholt und war hierher gekommen. "Sterblich? Lieber sterblich und griffig als schlüpfrig wie ein Fisch!", schoss der Zwerg zurück. Irgendwo anders donnerte Boromir gerade: "Der Eine wird in Minas Tirith sicher sein! Sicherer als auf dieser aussichtslosen Reise nach Mordor!" Plötzlich nahm Legolas', ziemlich belagertes, Gespür ein Aufwallen von eiserner Entschlossenheit war. Die hitzige Diskussion zwischen Tharinel und dem Zwerg ignorierend so gut er es konnte hob der Prinz den Kopf und sah auf. Woher war diese scharfe, alles durchschneidende Emotion gekommen? Er sah Amina. Sie hatte den Kopf gedreht und blickte starr auf den Ring, nun nahm er deutlich die Wellen von eisernem Willen und unendlich verzweifelter Entschlossenheit wahr. Jetzt hob sie den Blick und er sah, wie sie schluckte, dann sprach sie.
"Ich nehme den Ring."
Am liebsten hätte er die Augen geschlossen vor Schmerz. Der Ring hatte seinen Willen bekommen. Er hatte sich seine Trägerin ausgesucht und hatte sie, wie auch immer, gerufen und sie hatte ihn erhört.  "Warum du? Eine Elbin?", fragte einer der Zwerge, er war hörbar entrüstet. "Nicht, weil ich glaube, er würde mir gehören. Oder... Oder weil ich mich für etwas Besseres als ihr anderen halte.", versicherte Amina, ihre Stimme war ruhig, bestimmt und sanft zugleich. "Aber der Ring ist Saurons Werk und somit böse. Nun, und wir reden und reden und mit jeder Sekunde, die verrinnt, erreicht Sauron wieder ein bisschen mehr seiner alten Macht. Mit jeder Sekunde steigen seine Chancen, dass er diesen Krieg gewinnen kann, gewinnen wird, mit jeder Sekunde wird die Sehnsucht des Ringes nach seinem Herren größer. Wir haben keine Zeit. Ich will nur, dass wir endlich handeln können. Darum, bevor alles verloren geht: Ich nehme den Ring." Sie hatte eine Art, Worte zu benutzen, die Legolas faszinierte. Es war ihr nicht anzusehen, wie alt sie war, aber sein siebter Sinn sagte ihm, dass sie noch jung war. Sehr jung. Und dennoch umgab sie eine Aura, die darauf schließen ließ, dass sie mehr wusste, als jemand vielleicht meinen könnte. Einige Atemzüge vergingen in angespanntem Schweigen, die Zwerge sahen einander an und nickten leicht, Boromir verzog unwillig das Gesicht. Legolas wandte den Kopf und blickte Tharinel an, der fragend eine Augenbraue hob. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, nickte Legolas leicht. Gandalf seufzte schwer, als sehe er bereits die Zukunft. "Wenn du dich wahrhaftig mit dieser Bürde belasten willst, Amina, so werde ich an deiner Seite sein.", versprach er ihr und stellte sich neben sie. "Ich auch. Du hast mein Schwert.", Aragorn erhob sich ebenfalls und trat neben die beiden. "Und meine Axt. Ihr braucht einen Zwerg.", meldete sich da ein rothaariger Zwerg und der Elbenprinz erkannte ihn als Gimli, Sohn von Gloin. "Gondor wird ebenfalls nicht fehlen.", mit erhobenem Kinn trat Boromir vor und stellte sich zu Aragorn und Gandalf. "Du hast Schwert, Axt und Stab. Aber einer von uns fehlt noch.", sagte Tharinel und Legolas spürte, dass er gehen wollte. Aber aus irgendeinem Grund gefiel ihm dieser Gedanke überhaupt nicht und bevor Tharinel auch nur einen Schritt vormachen konnte, schritt er selbst aus den Reihen der anderen Elben. "Ich gehe.", bestimmte er ruhig. Große Augen, selbst Amina sah kurz überrascht aus. Wahrscheinlich wusste sie, wer er war. Er ignorierte die aufwallende Überraschung und Irritation, ging zu Amina und blieb vor ihr stehen, sah sie an. Sie hatte grüne Augen, so grün wie die Blätter der Bäume des Düsterwaldes es einst gewesen waren, als er noch Grünwald hieß, mit blauen Sprenkeln. Ein Blau so tief wie das Meer vor der Westküste von Mittelerde. "Du hast meinen Bogen.", fuhr er fort. Amina blinzelte, er stellte sich neben Gandalf. "Nun", sprach Elrond "dann seid ihr sechs von nun an die Gemeinschaft des Ringes. Bringt ihn nach Mordor und werft ihn in die Flammen des Schicksalsberges. Wenn ihr scheitert, werden die Tage wieder dunkel werden." Von hinten sah er, wie sie die feingliedrige, silberne Kette in ihrem Nacken schloss und das leise Klirren verriet dem Prinz der Waldelben, dass der Ring an der Kette hing. "Wenn mein Leben dafür nötig ist, dass wir siegen, so soll es der Preis sein. Ich mag eine Elbin sein, doch ich kenne den Tod und ich fürchte ihn nicht. Wenn er mich holen sollte, allein um den Willen von Mittelerde, dann soll er das tun.", sie sagte es ganz gelassen und doch lag unterschwelliger Schmerz in ihren Worten. Sie hat den Tod gesehen. Bei jemandem, den sie liebt., wurde ihm klar. "Der Tod wird euch durchaus begegnen.", gab Elrond zurück. "Schlachten werden euch folgen. Denn der Weg nach Mordor ist lang und grausam, deine Last schwer. Ihr, die ihr sie begleitet: Steht hinter ihr und seid bereit, sie zu verteidigen. Die Ringträgerin muss ihr Ziel in jedem Fall erreichen." Legolas biss sich auf die Lippen und sah kurz zu Elrond, der wiederum Amina ernst ansah. Ich werde dafür sorgen, dass sie ihr Ziel erreicht. Das werde ich., er bemerkte Boromirs finstere Miene und bedachte ihn mit einem langen Blick aus den Augenwinkeln. Sie wird den Ring zerstören. Niemand wird sie daran hindern, auch ER nicht! Ich werde dafür sorgen. Und wenn es das letzte ist, was ich tue! Goldene Lichtreflexe glänzten auf tiefem Schwarz, als Amina vor ihm sich einige Strähnen zurückstrich. Der Elbenprinz spürte ihren eisernen Willen wie einen Wall aus Mithril. Der Ring mochte sie dazu gebracht haben, ihn zu nehmen. Aber dieser Wille... Legolas konnte nur hoffen, dass der Eine Ring ihre Ringträgerin nicht brechen würde.

Die Ringträgerin -Die Macht des Einen- || Herr der Ringe FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt